hr2 ZUSPRUCH
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Eine Sendung von

Journalistin und Autorin im Ruhestand, evangelisch, Frankfurt

Briefe schreiben – ein Nachruf.

Briefe schreiben – ein Nachruf.

Bekommen Sie noch Briefe? Ich meine jetzt nicht: Werbebotschaften. Ich meine auch nicht jene knappen E-mails, die Sie am Computer lesen und die auch die von mir bevorzugte schnelle Form der Kommunikation sind. Nein, ich meine richtige Briefe. Auf Papier geschrieben, möglichst mit der Hand. Gefaltet, in einen Umschlag gesteckt, frankiert, in den Briefkasten eingeworfen und der deutschen Post zur Weiterbeförderung anvertraut.

Ich jedenfalls habe in meinem ganzen Bekanntenkreis nur noch eine Freundin, die in diesem altmodischen Sinne wirklich noch eine Briefschreiberin ist. Viele Seiten pflegt sie mit ihrer steilen Schrift zu bedecken, erzählt von Kindern und Enkeln, dem Garten, von sozialen Aktivitäten, Leseerfahrungen, Reiseplänen. Legt ab und an auch etwas bei: eine gepresste Blume, einen handgeschnittenen Stern…

Ich liebe diese Briefe und war ganz beunruhigt, als ich zu meinem Geburtstag in diesem Jahr statt eines Briefes einen Telefon-Anruf von ihr bekam. Das Telefon, heute das handy, war und ist der große Mörder der Briefkultur, und das Internet mit seinem sekundenschnellen Nachrichten-Austausch hat ihr vollends den Garaus gemacht.

Von den Briefen der Apostel an die ersten christlichen Gemeinden bis tief ins 20. Jahrhundert hinein war der Brief das zentrale Medium, über das Menschen Verbindung zueinander hielten. Liebesbriefe, Ehebriefe, Feldpostbriefe, Familienbriefe, Geburtstagsbriefe, Kondolenzbriefe – im Brief hielten Menschen fest, was sie bewegte und klärten ihre Position dazu. Das Gespräch verweht.

Das Kommunikationsbedürfnis im digitalen Zeitalter entfaltet sich im Netz. Es drückt sich aus in E-mails, vor allem aber in Blogs und Foren, in der Zugehörigkeit zu sozialen Netzwerken, über die man in Austausch mit Hunderten von meist nicht persönlich bekannten „Freunden“ tritt.

Doch es macht einen grundsätzlichen Unterschied, ob ich für einen möglichst großen Empfängerkreis schreibe, in der Hoffnung, Ideen zu verbreiten und ein vermarktbares Profil zu gewinnen oder für eine einzige Person und einen kleinen, vertrauten Kreis. Goethe nennt, in den „Wahlverwandtschaften“, den Brief einmal „den schönsten, und unmittelbarsten Lebenshauch“, und wer je alte Familienbriefe in der Hand hatte, kennt den melancholischen Zauber, der von diesen Lebenszeugnissen ausgeht.

Denn Briefe, die diesen Namen verdienen, sind nicht nur Information, nicht nur Text. Briefe sind sinnlich erfahrbare Persönlichkeiten. Die Wahl des Schreibgeräts, die Tagessform der Schriftzüge, die Papierformate und Papier-Qualitäten, der Umgang mit dem zur Verfügung stehenden Platz – das alles spricht mit und rührt uns an wie ein Händedruck.

Der Brief ist aus der Mode gekommen. Ebenso wie das Bedürfnis nach Privatheit Beides hat miteinander zu tun. Das Mindeste aber, was wir der dahingeschiedenen Briefkultur schulden, ist das Bewusstsein, dass es eine Kultur war.