Zu spät
„Alles hat seine Zeit.“ Auch die Abfahrt des Schulbusses nicht weit vom Pfarrhaus hat ihre Zeit. Die Kinder der fünften Klasse sind immer die ersten. Sie kommen früher, weil sie eifrig sind. Außerdem treffen sie ihre Freunde. Da kann man noch kurz Yo-Gi-Oh Karten tauschen. Wenn man die Sporttasche vergessen hat, kann man schnell noch nach Hause laufen. Darüber sind die Siebtklässler schon hinaus. Wenn die ihre Sporttasche vergessen haben, fällt ihnen das wahrscheinlich erst fünf Minuten vor der Turnhalle ein. Als letzte gehen die Oberstufenschüler aus dem Haus. Gemessenen Schrittes gehen sie zum Bushäuschen. Eile legt ihnen fern, das überlassen sie den Jüngeren. Die Zeit, die sie brauchen, um dort anzulangen, ist genau ausgezirkelt. Die Zeit zum Aufstehen; die Zeit für Frühstück und Mama um Geld für eine neue Karte bitten; die Zeit, die es braucht, die Treppe hinunter zu gehen; die Wegstrecke zur Haltestelle. Ihr Ideal ist: Wenn sie an der Bordsteinkante stehen, soll sich eben in dem Moment die Tür des Busses öffnen. Leider ist es manchmal so, dass sie nur noch auf die Rücklichter des Busses starren. Nicht immer verläuft der Morgen nämlich so ideal, wie es gedacht war. Zum Glück für die Schüler haben sie eine zweite Chance. Der Bus fährt eine große Schleife durch Neubaustraßen. Während dieser Zeit kann der Schüler unter teilweiser Zurücklassung seiner Würde zur 300 Meter entfernten übernächsten Bushaltestelle eilen. Er ist dann doch nicht zu spät.
Kennt der Glaube eigentlich ein „Zu spät“? Natürlich gibt es ein Zu spät. Wir haben nicht alle Zeit der Welt. Zeit ist sicher nicht Geld. Kostbar ist sie schon. Nicht zu allen Zeiten stehen dieselben Türen offen. Ich bin fest davon überzeugt, dass es Berufungen im Leben gibt, denen man nur begrenzte Zeit Möglichkeit hat zu folgen. Die Zeit, in der man sinnend den Rücklichtern hinterher starrt, kann dann lang werden. Wer in so einer Situation steckt, sollte vielleicht nicht zu lange über die verpassten Möglichkeiten nachdenken. Es könnte ja sein, dass eine höhere Weisheit als unsere eigene Vernunft noch eine übernächste Haltestelle eingerichtet hat. Denn Gott, so habe ich es erfahren, gibt den Dingen seine Zeit. Für diejenigen, aber die spät kommen, fährt er gerne Schleifen.