Von „To Do’s“ zu „todos“
„Hilfe! Ich komme meinen Listen nicht mehr hinterher!“, stößt eine junge Mutter aus, halb belustigt, halb erschöpft. Jeden Morgen macht sie sich ihre „To-do-Liste“: was ist einzukaufen, welche Rechnung muss bezahlt werden, an welche Geburtstage will sie denken, welche Anrufe und Mails muss sie beantworten, welche Routine-Arzttermine für ihr Baby sind zu absolvieren, welche Projekte jenseits von Kind und Haushalt will sie verfolgen. Das englische „To do“, also was ist zu tun, wird ganz schnell zum spanischen „todos“, und das heißt übersetzt einfach alles. Einfach alles ist zu tun. Jeder einzelne Punkt in sich scheint harmlos und eigentlich gar nicht viel Mühe und Zeitaufwand zu bedeuten. Und trotzdem kann sie am Abend nur zwei oder drei Punkte von ihrer Liste streichen. Die übrigen fünf, sechs, sieben wandern unerledigt und treu auf die Liste für den nächsten Tag. Und das Spiel beginnt von vorne.
„Wir müssen uns Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen“, meinte der Schriftsteller und Philosoph Albert Camus. Sisyphus war von den Göttern dazu verdammt, einen Felsblock einen steilen Hang hinaufzurollen. Kurz vor dem Ende des Hangs entglitt ihm jedes Mal der Fels und rollte wieder hinunter. Sisyphus musste von vorne anfangen. Camus meint, dass zwar das Ende jedes Mal fatal ist. Auf dem Weg den Hang hinauf aber ist Sisyphus sein eigener Herr, die treibende Kraft, der Gestalter, der den Stein pusht. Nun gut, das ist eine erfrischend andere Sichtweise. Doch am Ende des Tages angesichts halberledigter To-do-Listen stellen sich Glücksgefühle nicht immer ganz so leicht ein.
Listen haben eine lange Geschichte. Im Alten Testament zur Zeit des Königs Salomo, also vor über 3.000 Jahren gab es die sogenannte Listen-Weisheit. Um das Leben zu erfassen und handhabbar zu machen, sammelten die damaligen Gelehrten in langen Listen alles, was sie über das Verhalten des Menschen und die Phänomene der Natur beobachten konnten. Sie suchten nach Zusammenhängen und wollten deshalb möglichst vollständig auflisten, was sie entdeckt hatten. Die damalige Weisheit war nicht abgehoben, sondern von Haus aus praktisch ausgerichtet. Sie hoffte: Wenn man die Welt und die menschlichen Möglichkeiten in Listen erfasst, dann kann man daraus lernen, wie man sich richtig verhält. Listen, von den Weisheitslisten am Hof von König Salomo bis hin zu den „To-do-Listen“ unserer Tage sind also ein uraltes, bewährtes Instrument, um die Welt zu begreifen und den Alltag zu bewältigen. Sie helfen, den Überblick zu behalten.
Echte salomonische Weisheit weiß immer auch um die Grenze der eigenen Kräfte. Wir können eben nicht „todos“, nicht alles. „Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der Herr allein lenkt seinen Schritt“, heißt es in einem Weisheitsbuch des Alten Testaments (Sprüche 16, 9). Sklave oder Sklavin der eigenen To-Do-Listen zu werden, wäre fatal. Dranbleiben an dem, was wir in der uns gegebenen Zeit schaffen können, das Ja! Aber zugleich wissen, dass wir nicht allmächtige Schöpfer sind, die alles schaffen. Das Wissen um die eigenen Grenzen schenkt Freiheit. Dann kann man am Ende des Tages genüsslich die erledigten Punkte von der Liste streichen und am nächsten Morgen mit frischem Schwung zu neuen Taten schreiten. Neuer Tag, neues Glück. Mit den Worten von Jesus gesagt: „Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.“ (Matthäus 7, 34)