Trösten wie eine Mutter
Seit ich Mutter bin, weiß ich ein bisschen mehr, was es wirklich heißt, Mutter zu sein. Vorher hatte ich jede Menge Theorien dazu, wie man ein Kind zum Essen oder zum Schlafen bringt oder wie man ein Kind konsequent erzieht. Seit der Geburt meiner Tochter habe ich viele Theorien schnell vergessen. Ich habe eine Hochachtung vor allen Müttern und natürlich auch vor den Vätern. Und ich weiß besser, was meine Mutter für mich getan hat.
Es gibt natürlich nicht nur liebevolle Mütter und es gibt natürlich auch die vielen Fehler, die man als Mutter macht. Und doch leisten die meisten in der Kleinkindzeit ziemlich viel, entbehren Schlaf und Selbstbestimmung und wachsen beim Trösten bei kleinen und großen Wehwehchen über sich hinaus.
Ein wunderbares Bilderbuch: „Wenn du einmal groß bist…“beschreibt die Mutter-Tochter-Beziehung von Anfang bis Ende in wenigen Stichworten. Auf der ersten Seite sieht man eine Mutter, die liebevoll ihre frisch geborene Tochter im Arm hält. Darunter steht: „Als du noch ganz klein warst, habe ich deine Finger gezählt und jeden einzelnen geküsst.“ Auf der nächsten Seite liest man weiter: „Als du noch ganz klein warst und zum ersten Mal in deinem Leben Schnee fiel, sah ich zu, wie die Schneeflocken auf deiner rosigen Haut schmolzen.“ Bei diesen Seiten denke ich sofort daran, wie meine Mutter mir Schlaflieder gesungen hat oder meine kindlichen Wutanfälle ertragen hat. Und daran, dass ich mich jetzt über jeden neuen Ton meiner Kleinen freue und über den ersten Löffel Karottenbrei und mitleide beim ersten Schnupfen. Die Mutter im Bilderbuch sitzt irgendwann am Bett ihrer schlafenden Tochter und denkt an die Zukunft, wenn das Kind groß ist: „Eines Tages wirst du durch einen tiefen dunklen Wald gehen müssen.“ Ich denke dabei an meine Ängste und Krisen während der Examenszeit: Während der schriftlichen Prüfungen hat meine Mutter bei mir übernachtet, für mich gekocht und mich abgefragt. „Eines Tages wirst du selbst ein kleines Bündel auf deinem Rücken tragen“, heißt es später im Bilderbuch. Auch das weckt eigene Erinnerungen: Meine Mutter war die erste im Krankenhaus nach der Geburt meiner Tochter und hat die ersten Stillprobleme mit mir gelöst. Sie gibt mir Geborgenheit und ist für mich ein Hinweis auf Gott.
Von Gott heißt es in der Bibel: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ (Jes.66,13) Gott als Mutter. Gott hat bestimmt keine Theorie darüber, wie der Mensch im Allgemeinen ist, sondern reagiert spontan in der Beziehung zu mir. Und Gott ist bestimmt auch nicht immer konsequent, sondern lässt sich erweichen von meinen Tränen. Gott freut sich mit mir, wenn mich freue. Und tröstet mich wie eine Mutter, wenn ich traurig bin oder Angst habe. Gott begleitet mich in meiner Selbstständigkeit hinaus in die Welt.
Quelle: Alison McGhee / Peter H. Reynolds, Wenn du einmal groß bist, Hildesheim 2008.