hr2 ZUSPRUCH
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Wöllenstein, Andrea

Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Marburg

„Ruhebänkle“

„Ruhebänkle“

„Wisst ihr, was das ist?“ Eine Kollegin zeigt ein Bild, das sie von einer internationalen Tagung mitgebracht hat. An alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz war zuvor die Bitte gegangen, ein Hoffnungszeichen mitzubringen. Ein Bild, ein Symbol, einen Gegenstand, mit dem sie etwas von dem erzählen können, was ihnen Mut macht und ihre Hoffnung stärkt. Dieses Bild hatte ein Mann aus Indien mitgebracht. An einem Feldrand, vor dem Hintergrund verschiedener Bäume und Sträucher, steht eine Art Tisch. Drei schmale Steinplatten, zwei senkrecht aufgestellt und eine waagrecht darüber gelegt. Aber für einen Tisch viel zu hoch, selbst für einen Stehtisch – das war mindestens Brusthöhe. Was für ein Teil sollte das sein?

Während ich noch rätsele, ruft eine andere: „Des isch a Ruhebänkle!“ Sie kommt von der schwäbischen Alb und erzählt, dass es dort an den Wegen die „Ruhebänkle“ gibt. „Sie sehen ganz ähnlich aus wie das da“, sagt sie. „Vielleicht nicht ganz so hoch. Früher dienten sie dazu, dass die Bäuerinnen auf dem Weg vom Feld nach Hause zwischendrin ihre Kraxen abstellen konnten, ohne sich dabei zu bücken. Darum die Höhe. Sie stellten sich mit dem Rücken an das „Ruhebänkle“ und setzten dort ihre Lasten ab. Und dann, nach der Pause, konnten sie den Tragekorb wieder aufnehmen und weitergehen.“

Das war es. So etwas, erzählt die Kollegin, gibt es auch in Indien. Da die Inderinnen ihre Lasten aber auf dem Kopf und nicht auf dem Rücken tragen, ist das indische „Ruhebänkle“ entsprechend höher. Und oft, so hat der Mann aus Indien berichtet, tragen diese Steinbänke den Namen einer Frau. Sie sind der Erinnerung an Mütter gewidmet, die während der Geburt ihres Kindes gestorben sind. Die ihre Last nicht ablegen konnten.

Unter dem Bild steht ein Satz aus der Bibel: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“. (Matthäus 11,28)

Bei Christus kann ich meine Lasten ablegen. Und zwar in der richtigen Höhe. Ich muss mich nicht erst klein machen und dann sehen, wie ich wieder hoch komme, mühsam den Glauben mit dem Leben zusammenbringen. Sondern im Glauben finde ich die Unterstützung, die ich brauche, damit ich meinen Alltag bestehen kann. Das ist die Erfahrung, die der Inder mit den anderen auf der Tagung teilen wollte.

Was ist für uns ein „Ruhebänkle“? haben wir uns gefragt. Was hilft mir, Lasten abzulegen und neue Kräfte zu schöpfen auf dem Weg? „Für mich ist das die stille Zeit, die ich mir am Morgen nehme“, sagt eine in der Runde.“Mir tut es gut, immer wieder bewusst den Augenblick wahrzunehmen. Achtsam zu sein für das Schöne, was mir begegnet“, meint eine andere. Und Elisabeth, eine temperamentvolle Kollegin aus Ghana, erzählt: „Wenn ich verwirrt bin und nicht mehr weiter weiß, dann stelle ich meinen Computer aus, stehe auf und fange an zu singen, bis mir neue Ideen kommen. Das ist mein ‚Ruhebänkle‘“