hr2 ZUSPRUCH
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von Winterfeld, Charlotte

Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Frankfurt

Rosen für Otto Anonyme Bestattung

Rosen für Otto Anonyme Bestattung

Der Parkfriedhof Heiligenstock in Frankfurt ist ein schönes Gelände mit grünen Wiesen und großen Bäumen. Es ist ein sonniger, kalter Tag. Ich soll den letzten Weg eines Menschen mitgehen bis zur letzten Ruhestätte. Ein siebzigjähriger Herr aus unserer Gemeinde ist gestorben, ich nenne ihn hier mal Otto M.. Auf dem Formular vom Bestatter steht bei Kontakt: Keine Angehörigen. Der Bestatter sagt vorher noch zu mir: „Machen Sie es kurz, ja?“

Ich warte vor dem Sarg und überlege mir, wie einsam dieser Mann doch gewesen sein muss. Er war evangelisch, und deshalb habe wenigstens ich von seinem Tod Nachricht bekommen und kann ihm zum Abschied noch ein Vaterunser und einen Segen sprechen.

Immer häufiger gibt es in den Großstädten Beerdigungen ohne Angehörige. Oft werden die Pfarrer und Pfarrerinnen gar nicht gerufen. „Da fehlt etwas“, hat mir mal ein Friedhofsbeamter gesagt.

Innerlich will ich schon schimpfen „Was ist das nur für eine Gesellschaft, die Menschen so allein lässt!“

Und dann kommen plötzlich doch noch Trauergäste. Ein Ehepaar, ein alter Herr und ein junger Mann mit Trainingsjacke. „Sind wir die einzigen?“, fragen sie erstaunt. Dann erzählen sie: „Der Otto war unser Nachbar. Wir haben schon viel mit ihm durchgemacht. Er hatte es nicht leicht. Jeden Tag hat er bei uns im Wohnzimmer gesessen. Vor zwei Wochen noch haben wir auf dem Balkon gegrillt.“ Ich will wissen, woher die vier von dem Beerdigungstermin wissen. „Da muss man hartnäckig sein“, sagt der junge Mann mit der Trainingsjacke. „Ich habe ja den Otto ins Krankenhaus gefahren, als es ihm schlecht ging. Am nächsten Tag habe ich vom Krankenhaus erfahren, dass er in der Nacht gestorben ist. Erst wollten sie mir den Namen des Beerdigungsinstitutes nicht sagen. „Sie sind ja kein Angehöriger!“ Aber ich bin ein guter Freund, habe ich gesagt, und ich will auf die Beerdigung gehen. Da haben sie dann die Informationen rausgerückt.“

Später bekomme ich noch heraus, dass Otto dreimal verheiratet war und einen Sohn und eine Tochter hatte. Die scheinen aber den Kontakt abgebrochen zu haben.

Zusammen gehen wir alle ans Grab. Ich lese den Psalm 23 „Der Herr ist mein Hirte“, ein Gebet und einen Segen. Die Frau hat Tränen in den Augen. Am Ende danke ich den vier Nachbarn, dass sie gekommen sind. Sie haben Rosen mitgebracht und werfen sie ins Grab. Sie waren offenbar die neue Familie von Otto gewesen, ohne es zu wissen. Sie haben ihn aufgenommen, ohne zu fragen. Im Grunde haben sie ohne, dass es ihnen groß bewusst war, das Gebot der Nächstenliebe befolgt. Was für ein Segen diese Nachbarn für Otto gewesen sind!