hr2 ZUSPRUCH
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Tönges-Braungart, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Bad Homburg

PID

PID

In den vielen Talkshows auf allen Kanälen bekommt man ja oft Belangloses zu hören oder zu sehen. Aber es geht auch anders. Neulich z.B. bei einer Talkshow zum Thema Präimplantationsdiagnostik, kurz PID. Da saßen sie einander gegenüber: die Mutter eines behinderten Kindes – und die Frau, die bereits mehrere Kinder während der Schwangerschaft verloren hat. Die eine sagt: Ich möchte meine Tochter nicht mehr missen. Unser Leben ist reich geworden durch sie. Deswegen darf es nicht möglich sein, bei einer künstlichen Befruchtung darüber zu entscheiden, ob aus der Eizelle ein Kind entstehen soll oder nicht – und dann behinderte Kinder auszuschließen. Und die andere sagt: Wir wünschen uns nichts sehnlicher als ein Kind. Aber noch eine Fehlgeburt? Vor allem, wenn man im Vorhinein erkennen könnte, dass ein Kind nicht lebensfähig sein wird?

Da sitzen sie einander gegenüber – und ich kann beide verstehen. Beide haben Recht. Beide haben gründlich nachgedacht. Und beide Positionen sind gedeckt durch Lebenserfahrung.

PID zulassen oder nicht – das ist keine einfache Entscheidung, vor der die Bundestagsabgeordneten in der nächsten Zeit stehen. Zumal, wenn es nicht um Einzelfälle geht, sondern darum, ein Gesetz zu formulieren, das später für alle gelten soll. Einig sind sich alle in zwei Punkten: Es darf bei uns keine Unterscheidung zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben geben. Und es darf auch nicht dahin kommen, dass Eltern behinderter Kinder sich später den Vorwurf gefallen lassen müssen: War das nötig, so ein Kind in die Welt zu setzen?

Weil alle darin übereinstimmen, ist auch klar, dass die PID – wenn überhaupt – dann nur in ganz engem Rahmen und unter genau definierten Voraussetzungen zugelassen wird.

Trotzdem bleibt die Frage: PID in solchen engen Grenzen zulassen und damit möglicherweise doch irgendwann später einer Selektion Tor und Tür öffnen? Oder PID kategorisch verbieten und damit die Chance nicht wahrnehmen, das Leid von Paaren zu lindern, die sich ein Kind wünschen. Bei denen es eben nicht ohne ärztliche Hilfe zu einer Schwangerschaft kommt und bei denen obendrein ein großes Risiko besteht, dass ein Kind nicht lebensfähig ist.

Gut, dass diese Debatte sehr ernsthaft geführt wird. Und dass es bei der Abstimmung im Bundestag keinen Fraktionszwang geben wird, sondern die Abgeordneten nur ihrem Gewissen verpflichtet sind.

Wie auch immer man sich entscheidet – man wird nicht allen gerecht werden können. Man wird sich auf die eine oder andere Weise schuldig machen.

Für mich ist ein Wort Martin Luthers wichtig, das in diesem Dilemma frei macht und hilft, sich zu entscheiden. . „Sündige tapfer – aber um so mehr vertraue auf Christus…“

Entscheide und handle – auch wenn du weißt, dass du dadurch vielleicht schuldig wirst. Entscheide und handle nach deinem Gewissen – und vertrau darauf, dass Christus größer ist als Dein Dilemma und Deine Schuld.

Solche Freiheit wünsche ich auch den Abgeordneten, wenn sie entscheiden müssen.