hr2 ZUSPRUCH
hr2
Tönges-Braungart, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Bad Homburg

Neu geboren

Neu geboren

Wie neu geboren – so fühle ich mich, wenn ich den ganzen Nachmittag im Garten gearbeitet habe und danach aus der Dusche steige. Nicht nur, dass ich Staub und Schweiß abgespült habe und nun wieder sauber bin. Ich fühle mich frisch und munter, zufrieden und schon wieder voller Tatendrang, einfach jung. So als stünde mir alles offen.

Ein wunderbares Gefühl! Und es wäre noch viel wunderbarer, wenn man es festhalten könnte, sozusagen auf Dauer stellen.

Irgendwann ist es wieder verflogen, dieses Gefühl, wie neu geboren zu sein. Dann spüre ich mein Kreuz wieder, das vom Bücken noch schmerzt; denke an das, was ich doch nicht mehr geschafft habe und deshalb möglichst bald noch erledigen muss. Und daran, dass all das Unkraut, das ich mühsam ausgezupft habe, spätestens in drei Wochen wieder wächst.

Wie neugeboren – und dann doch gleich wieder alles beim Alten. Es ist so wie an den ersten Tagen nach einem Urlaub. Nach kurzer Zeit hat einen der Alltag wieder, und die Dinge gehen wieder ihren gewohnten Gang. Das Gefühl, dass einem alles offen steht, ist wieder der Erkenntnis gewichen, dass letzten Endes doch alles – oder zumindest das meiste – längst festgelegt ist.

Und trotzdem: Was wäre das Leben ohne diese Momente, in denen wir uns wie neugeboren fühlen. Außerdem: Es stimmt ja auch nicht, dass alles für uns längst festgelegt ist. Es gibt immer wieder Chancen, Altes hinter sich zu lassen, den Staub von Gewohnheiten und eingefahrenen Verhaltensmustern abzuspülen und etwas Neues anzufangen. Es gibt große und kleine Momente, in denen einfach etwas Neues dran ist – und in denen wirklich alles – oder fast alles – offen steht. Für die eine ist es eine neue Arbeitsstelle; für den anderen ein neues ehrenamtliches Engagement, die Wiederentdeckung eines fast schon vergessenen Hobbys oder das feste Versprechen, wirklich an jeden Tag eine halbe Stunde mit dem Kind zu verbringen.

Es kommt darauf an, diese Momente, diese Gelegenheiten zu erkennen und zu ergreifen. Oder überhaupt mit ihnen zu rechnen. Und davon auszugehen, dass ich mich verändern und Neues anfangen kann und nicht schon ein für allemal festgelegt bin. Ich möchte offen sein und offen bleiben für solche erfrischenden Erfahrungen. Für mich haben sie etwas mit meinem Glauben zu tun. Und mit der Art und Weise, wie Jesus vielen Menschen, denen er begegnet ist, neue Perspektiven, neue Möglichkeiten eröffnet hat. Sie waren nach diesen Begegnungen verändert; offener, freier, hoffnungsvoller. Wie neu geboren.

Der Apostel Paulus hat das einmal so beschrieben. „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2. Korinther 5, 17)