Moltke – Sämann des Glaubens
Man muss sich das einmal vorstellen. Da sitzt ein Mann, Träger eines großen Namens aus der deutschen Geschichte, Helmut James Graf von Moltke, im Winter 1944 in einer Todeszelle.
Er soll wegen Hochverrats gehenkt werden, hatte er doch zusammen mit anderen, auf seinem Gut in Kreisau über ein anderes Deutschland nachgedacht.
Er sitzt in dieser kalten Zelle, fünf Monate lang. Tag und Nacht gefesselt, Tag und Nacht bei elektrischer Beleuchtung. Unsicher über den Zeitpunkt des Prozesses vor dem Volksgerichtshof. In Erwartung eines Todesurteils und doch um sein Leben kämpfend.
In Gefängnis Tegel galt der prominente Häftling beinah als Sonderling, erbat er sich doch, anders als die übrigen politischen Gefangenen, weder Zugang zu Zeitungen noch zu Büchern. Ihm reichte, was er mitgebracht hatte: Bibel und Gesangbuch, dazu die Losungen.
Eingewickelt in eine Decke hockte Moltke dann auf dem Gefängnistisch. Die Füße auf dem Schemel, die Bibel auf dem Schoß, und las sich Zeile um Zeile durchs Alte Testament und durchs Neue Testament. Und dann wieder von vorn durchs Alte Testament und noch einmal durchs Neue Testament. Das Gelesene meditierend, memorierend, es in Gesangbuchversen variierend. Der Jurist wurde zum Theologen dabei.
Moltke kannte durchaus die Angst vor dem Sterben. Aber: „Das Problem des Todes ist doch in der tieferen Sphäre nur eine Frage des Glaubens“ schreibt er an seine Frau. „Diese zu meistern ist unvergleichlich schwieriger. Man darf, so scheint mir das ganze Leben hindurch von Zweifeln geplagt sein, aber die 1 ½ Stunden vor meiner Einlieferung in Plötzensee (dem Ort der Hinrichtung) bis zu meinem Tode, die müssen vor Zweifeln geschützt sein. Darum muss ich bitten“.
Freya von Moltke hat mit ihm darum gebetet. Sie hat parallel zu ihm die biblischen Texte gelesen, die er ihr vorschlug. Sie hat in ihrer handfesten Spontaneität darauf geantwortet, in Briefen, die der mutige Gefängnispfarrer Harald Pölchau hin und hertrug. Mit ihrer Edition nehmen wir Teil an einem Eheleben, das herkömmliche Vorstellung sprengt.
Es ist innig und vergeistigt zugleich und am Ende stehen auf beiden Seiten immer wieder tiefe Worte des Dankes. Ich wüsste keinen ehelichen Briefwechsel, in dem so unaufhörlich vom Danken die Rede ist, wie ausgerechnet in diesen Gefängnisbriefen.
Selbst das Todesurteil löste auf der religiösen Ebene noch einen Impuls des Dankes bei Moltke aus. Der Nazirichter Freisler hatte in Moltkes Christentum den eigentlichen Gegner gesehen. Für Moltke ein stiller Triumph, denn das gab seinem Weg in den Widerstand den erhofften Sinn:
„Wie wenig Menschen“, schreibt er an Freya, „können in dem Gefühl sterben oder leben, dass ihnen Gott selbst ein Thema, einen Auftrag, nicht nur gestellt, sondern offenbart hat. So, mein Herz, sind wir auch für diese Tage nichts als Dank schuldig.“
Helmut James Graf von Moltke wurde am 23. Januar 1944 hingerichtet. Mit diesem Briefwechsel ist er als ein ungemein lebendiger Säemann des Glaubens zu uns zurückgekehrt.