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Eine Sendung von

Hochschulpfarrerin an der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) in Mainz

Mirjams Stimme

Mirjams Stimme

Mirjam war die ältere Schwester von Mose. Der jüngere Bruder war von Gott auserwählt worden, das versklavte Volk Israel aus Ägypten zu befreien. Die Flucht war mit GottesHilfe erfolgreich. So wird es im Alten Testament berichtet. Seitdem war Mose uneingeschränkter Führer der Israeliten auf dem langen Marsch durch die Wüste. Auch Mirjam hatte auf der Flucht Verantwortung übernommen und eine wichtige Führungsrolle wahrgenommen. Doch ihre Verdienste wurden kaum gewürdigt; auch nicht von Mose. Darüber war Mirjam verbittert. Ihre Sicht der Dinge ist bisher kaum gehört werden. Ich gebe Mirjam heute eine Stimme:

„Mein lieber Bruder Mose!

Ich weiß, dass du dich für mich eingesetzt hast, als ich mitten in der Wüste krank geworden bin und unter Aussatz gelitten habe. Du hast mit Gott gesprochen und ihn angefleht, dass ich wieder gesund werde. Für deine Fürsprache danke ich dir. Aber ich muss dir sagen, dass ich auch wütend auf dich war. Lass dir erklären, warum:

Du siehst meinen Einsatz und meine Arbeit nicht, Mose, die ich für unser Volk getan habe. Ich habe deine Führungsrolle unterstützt, habe dich beraten und dir in Gefahren beigestanden. Und du, Mose? Hast du meine Leistung überhaupt wahrgenommen, oder ist dir der Kult um deine Person schon zu Kopf gestiegen?

Weißt du eigentlich, dass ich es war, die beobachtet hat, wie du direkt nach deiner Geburt in einem Schilfkörbchen im Nil ausgesetzt worden bist, damit du den ägyptischen Soldaten nicht in die Hände fällst? Wie du weißt, hatten die Soldaten den Befehl vom Pharao, alle männlichen Babies zu töten, deren Eltern aus Israel kamen. Ich habe es eingefädelt, dass dich die Tochter des Pharaos gefunden hat. Deshalb hat sich unsere Mutter als Amme am Hof des Pharaos beworben und konnte bei dir sein und dich stillen.

Und erinnerst du dich daran, dass ich dich von ganzem Herzen unterstützt habe, als du von Gott berufen worden bist, unser Volk aus Ägypten zu befreien? Es war eine gefährliche, aber auch eine sehr aufregende Zeit. Die Hoffnung auf Befreiung war riesig, und wir alle fanden, dass du der richtige Anführer bist. Auch ich habe zu dir gehalten. Und als wir schließlich das Rote Meer überquert haben und vor den ägyptischen Soldaten fliehen konnten, habe ich die Pauke geschlagen und das Volk angeführt. Erinnerst du dich daran? Ich habe getanzt und gejubelt mit den anderen Männern und Frauen. Wir haben zusammen gefeiert, Mose! Hast du mich da im Blick gehabt, genauso wie ich dich?

Keine Sorge, ich gönne dir deine Führungsposition. Ich weiß, dass du gut bist. Aber bitte achte auch meine Leistung! Niemand kann so etwas allein schaffen. Gott begleitet uns und gibt uns Orientierung. Aber wir brauchen auch Gemeinschaft und Teamarbeit. Die Wüste ist undurchdringlich und gefährlich. Werde nicht übermütig, Mose, und spiele dich nicht als Supermann auf! Diesen Marsch durch die Wüste überleben wir nur gemeinsam oder gar nicht.

Tja Mose, ich hoffe du verstehst meine Wut nun besser. Als Geschwisterpaar sind wir eben beides: Ewige Konkurrenten und gleichzeitig beste Freunde. Ich bin dankbar für unsere gemeinsame Geschichte, die nicht einfach für mich war. Und ich freue mich auf unsere Zukunft. Aber ich rate dir: Unterschätze die Frauen nicht, und deine Schwester schon gar nicht!"