Licht
Manchmal komme ich sehr früh am Sonntagmorgen in die Alt-Wildunger Kirche, weil ich dort einige Dinge hinbringe, die später im Gottesdienst gebraucht werden. Jetzt im Winter ist es dann noch stockdunkel. Wenn ich nicht wirklich muss, mache ich das Licht nicht an. Schwach erkenne ich den Mittelgang, ein schwacher Schein zeichnet sich um das Ostfenster ab, der dunkle Fleck davor muss die Kanzel sein, die blanke Fläche des Altars schimmert etwas. Wenn ich gefrühstückt und den ersten Gottesdienst in Reitzenhagen gefeiert habe, komme ich am hellen Vormittag wieder zurück in die Alt-Wildunger Kirche. Das Sonnenlicht fließt an der Kanzel vorbei auf den roten Teppich. Die Kirchenbänke und die umlaufenden Emporen sind nicht bloß zu ahnen, sondern strahlen die Würde von 270 Jahren aus. Der Blick geht auf den Altar, von dort wandert er an der Kanzel empor. Über ihr wölbt sich eine dunkelblaue Holztonnendecke, die mit vielen goldenen Sternen besetzt ist. Lege ich dann noch den Kopf in den Nacken, sehe ich über mir eine goldene Sonne mit einem lachenden Gesicht.
Ich muß dabei an die Worte eines alten Malermeisters denken, der sagte: „Farbe ist nichts weiter als Licht.“ Das stimmt. Wenn das richtige Sonnenlicht von außen nicht in die Kirche schiene, dann hätte der Restaurator die Strahlen der Sonne so oft polieren können, wie er wollte. Sie bliebe schlicht ein dunkler Fleck. „Farbe ist Licht“, es kommt dann allerdings schon darauf an, welche Fläche das Licht trifft. Die alten Eichenemporen lassen ein anderes Licht in meine Augen als der neue Altar. Das Samtblau des Himmels reflektiert andere Wellenlängen des Lichtes als das das Rot des Sisalteppichs. Alles, was eine Farbe hat, gibt Licht wieder. Und am Ende kommt das Licht immer von der Sonne, ob es draußen nun bewölkt ist oder draußen wie drinnen ein strahlend blauer Himmel ist.
Wenn uns ein Mensch ein freundliches Angesicht zuwendet, ist es auch so. Die Freundlichkeit, die Liebe, die er ausstrahlt, spiegeln sich in unseren Gesichtern wieder. Erst ganz klein in der Pupille des Auges, dann größer werdend, bis sich die Freundlichkeit auch im anderen Gesicht ausbreitet. So, denke ich, spiegelt sich die Liebe sich in jedem Menschen verschieden. Das einzige, was es braucht, ist, dass wir unser Gesicht tatsächlich der Liebe aussetzten.