hr2 ZUSPRUCH
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von Winterfeld, Charlotte

Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Frankfurt

Leben bis zum Schluss

Leben bis zum Schluss

Ein Schulleiter hat mir am Ende seines Berufslebens erzählt, was ihn am meisten bewegt hat: „Ein Höhepunkt war der Tod von Matthias.“

Der Tod als ein Höhepunkt des Lebens. Mir kommt das beschönigend vor, aber ich will die Geschichte von Matthias hören. Matthias war kurz vor dem Ende der Schulzeit an Krebs erkrankt. Es gab keine Aussicht auf Heilung. Sein Abitur machte er trotzdem mit 1,0. Doch natürlich wurde er immer schwächer. Als Autoliebhaber hatte er noch einen großen Wunsch: mit einem Ferrari über die Rennbahn sausen. Hartnäckig arbeitete er an der Erfüllung dieses Wunsches. Er bekam Kontakt zu einer Stiftung, die sich um die Erfüllung letzter Wünsche von todkranken Kindern und Jugendlichen kümmerte. Und die hat es dann möglich gemacht: einen Tag lang zusammen mit Freunden Ferrari zu fahren auf dem Nürburgring. Es war ein klasse Tag, für Matthias, für seine Freunde und seine Eltern. Wenig später konnte Matthias nur noch im Rollstuhl sitzen. Er wusste, dass er nicht mehr viele Stunden zu leben hatte. Trotzdem sagte er zu seinem Vater: „Ich möchte noch die erste Juravorlesung besuchen.“ Da wurde er im Rollstuhl in die Uni gefahren, die ganze Vorlesung hat er noch mitbekommen. Am Abend ist er dann erschöpft gestorben. Seine Familie erzählt, dass er in seinen letzten Stunden und Minuten zufrieden war.

An der Geschichte beeindruckt mich, dass Matthias nicht die Arme hat hängen lassen. Er hat bis zuletzt die Chancen ergriffen, am Leben teilzunehmen. Seine Art, mit dem Tod umzugehen, hat das Leben seiner Mitmenschen offenbar verändert. Deshalb kann der Schulleiter im Rückblick sagen: „Der Tod von Matthias ist ein Höhepunkt meines Berufslebens.“

Matthias wusste, dass er sterben würde, und trotzdem hat er sein Leben bis zum Schluss gelebt, hat Neues angepackt und an der Erfüllung seiner Wunschträume gearbeitet. Er hat das getan, was ihm wichtig ist, hier in diesem Leben. Aber ohne Druck, sondern mit einer gewissen Gelassenheit, so kommt es mir vor. Für mich hat er damit christliche Hoffnung gelebt. Alles, was man Gutes tun kann, soll man tun, und den Rest getrost Gott überlassen. „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“, soll Martin Luther der Legende nach gesagt haben. Ich weiß nicht, ob ich angesichts einer schweren Krankheit so hoffnungsvoll leben könnte wie Matthias. Ich wünsche es mir. Aber vor allem wünsche ich mir in meinem Alltag ein Gleichgewicht zwischen dem, was ich selbst tun kann, und Gelassenheit und Gottvertrauen so wie bei Matthias.