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Eine Sendung von

Hochschulpfarrerin an der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) in Mainz

Jitros Ratschlag

Jitros Ratschlag

Jitro war der Schwiegervater von Mose und ein weiser und erfahrener Mann. Mose hatte die Israeliten mit Gottes Hilfe aus der Gefangenschaft in Ägypten befreit. Sie konnten fliehen. Endlich weg von der Zwangsarbeit und der Unterdrückung! Erleichtert, aber auch verunsichert marschierten sie danach durch die Wüste in eine ungewisse Zukunft. Jitro war stolz auf seinen Schwiegersohn. Aber er beobachtete Mose auch besorgt und kritisch. Von Jitros Kritik können wir heute noch lernen.

Als Anführer der israelitischen Flüchtlinge musste Mose auch Recht sprechen. Auf dem langen Marsch durch die Wüste kam es fast täglich zu Streitigkeiten und Konflikten. Und Mose sollte die alle schlichten. Es gab lange Warteschlangen, und Mose saß auf einem Hocker vor seinem Zelt und versuchte dem Ansturm gerecht zu werden.

Jitro beobachtete diese Szenen genau: Mose hatte nach einer Weile immer mehr Mühe, den großen und kleinen Konflikten der Menschen zuzuhören. Ihm rauschte der Kopf, er schaffte es kaum einmal, eine Pause zu machen und etwas zu essen. Er wirkte erschöpft und ungeduldig, wenn er nach Stundenlanger Rechtsprechung zum xten Mal dieselben kleinkarierten Streitigkeiten zu hören bekam. Er konnte sich kaum noch konzentrieren. Dabei wollte er es doch gut und richtig machen. Aber eigentlich war er nur noch genervt.

Wenn ich als Gemeindeberaterin Führungskräfte in Kindertagesstätten, in sozialen Einrichtungen und Kirchenvorständen berate, höre ich oft Ähnliches, wie Mose damals erlebt hatte: Die Menschen kommen zu wenig zu dem, was eigentlich ihre Aufgabe wäre. Sie verzetteln sich in Erwartungen und Anforderungen, ständige Termine bringen den Arbeitsrhythmus aus dem Takt, die Konzentration lässt nach und schließlich verschwinden Motivation und Freude an der Arbeit.

„Jeden Tag werden neue Anforderungen an mich herangetragen“, klagte mir eine Leiterin einer Kindertagesstätte ihr Leid. „Qualitätsmanagement, pädagogische Konzepte, Englisch für Kleinkinder, besondere Events für Eltern, Kinder und Träger… manchmal werde ich verrückt und weiß nicht mehr aus noch ein. Wie soll ich denn da noch zu meiner eigentlichen Aufgabe als Leitungskraft kommen? Wenn das so weitergeht, habe ich bald zu gar nichts mehr Lust, weil ich mich so gejagt fühle und von allem so müde bin“

Jitros Ratschlag an Mose war damals eindeutig: Er machte Mose klar, dass er zu viel und zu ineffektiv arbeitete, weil er alles selber machte. „Du musst deine Arbeit anders organisieren!“, stellte Jitro klar. „Allein kannst du das nicht länger schaffen. Du bist als Anführer dafür da, deinem Volk Zuversicht und Orientierung zu geben und den Einzelnen ihre Aufgabenbereiche zuzuteilen. Konflikte schlichten ist eine ganz wichtige Sache, aber es ist nicht auch noch deine Aufgabe. Das müssen andere machen!“

Jitro ist für mich so jemand wie der erste Organisations- oder Gemeindeberater der Bibel. Er riet Mose genau das, was auch heute noch wichtig ist: Es gilt Zuständigkeiten, Rollen und Ziele zu klären, Arbeitsbereiche zu definieren und anschließend klug aufzuteilen. Nur so konnte Mose damals lernen mit seinen Kräften hauszuhalten und wieder Freude an seiner Aufgabe zu finden.

Für die Leiterin der Kindertagesstätte gilt das Gleiche: Niemand muss alles alleine machen! Mit Hilfe von Beratung haben sie und ihr Team ihre Ziele geklärt, die Zuständigkeiten und Arbeitsabläufe neu sortiert und verteilt. Heute hat sie wieder mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben und sogar Spaß dabei.