In einem Boot
Ich hoffe, Sie hatten einen ruhigen Schlaf heute Nacht. Es kann ja auch anders gehen. Die Zeit zwischen drei und sechs Uhr morgens ist eine schwierige Zeit, ich schlafe dann nur schlecht wieder ein. Ich weiß nicht, wer einmal darauf gekommen ist, die Zeit zwischen 0 und 1 zur Gespensterstunde zu erklären. Die wahre Zeit, in der die Nachtgespenster wach werden, ist die Zeit zwischen drei und sechs. Es ist, als ob irgendjemand die Fenster des Geistes aufgesperrt hätte. Nun fliegt alles hinein, was für Angst und Unordnung sorgt. Und ist leider nicht mehr zu vertreiben, bis der Morgen anbricht. Ob Sie nun einen schlechten oder einen guten Schlaf hatten, ich möchte Ihnen dazu folgende Geschichte erzählen:
In der Zeit zwischen drei und sechs Uhr morgens, mitten im Dunkel, waren einmal zwölf auf dem See Genezareth unterwegs. Sie waren von Jesus geschickt worden, vorauszufahren. Sie hatten also eine Aufgabe. Alle diejenigen, die wissen, dass sie eine wichtige Aufgabe haben, können sich zu den Zwölfen ins Boot setzen. Zwar war der Himmel klar und die Sterne zu sehen, aber der Wind pfiff ihnen unablässig in den Ohren. Weil er von vorne kam, konnten sie keine Segel setzten, sondern saßen an den Riemen. Das Wasser hatte längst die Kleider durchweicht. Alle diejenigen, die völlig erschöpft sind, weil sie eine große Aufgabe haben, möchte ich sagen: Sie gehören mit in das Boot.
Petrus bemerkt als erster, dass sich aus dem Dunkel eine Gestalt löst. Jesus kommt übers Wasser. Petrus steigt aus dem Boot und beginnt, über das Wasser zu laufen. Was für eine Tat! Der erschöpfte Petrus, hat neuen Mut gefasst. Darum gehören die Mutigen auch mit ins Boot. Dann sieht Petrus den Sturm und die Wellen. Er weiß: das da ist Jesus von Nazareth. Er fängt an zu zweifeln und sinkt. Im Wort zweifeln steckt die Silbe „zwei“. Ein Zweifelnder ist einer, der sich nicht zwischen zwei Dingen entscheiden kann. So geht es Petrus: Ist die Furcht mächtiger oder das Vertrauen? Ich meine: die Zweifler dürfen sich getrost in Gedanken mit ins Boot setzen.
Jesus von Nazareth streckt seine Hand aus, zieht den sinkenden Petrus nach oben und holt ihn ins Boot. Die Geretteten gehören also auch mit ins Boot. Da sind die anderen und sagen zu Jesus: „Du bist Gottes Sohn“. Ob sie das in der ganzen Nacht so hätten sagen können, weiß man nicht, aber jetzt können sie es. Nach den Berufenen, Erschöpften, Zuversichtlichen, Zweifelnden, Geretteten gehören die Bekennenden auch mit ins Boot.
Am See Genezareth ist es Morgen geworden; „Morgengrauen“ wie im Deutschen. Ein wunderbares Wort: Es bindet die Erinnerung an das vergangene mit dem Wissen um das, was bald geschehen wird: Der helle Tag bricht an.