Hat Gott auch ein Gewissen?
Hat Gott eigentlich auch ein Gewissen? Und wenn ja, warum müssen dann unschuldige Kinder sterben? Diese Frage beschäftigt einen Lehrer im Roman „Nemesis“ von Philip Roth. Nemesis meint den Gott des Zorns. Und der Roman erzählt vom Zorn eines jungen, jüdischen Lehrers auf Gott.
Bucky ist Sportlehrer in einer amerikanischen Kleinstadt. Ein Held ist er nicht, sondern kurzsichtig. Darum darf er nicht zum Militär. Seine Liebe gilt den Kindern der Stadt, die er sorgfältig unterrichtet. Und er verliebt sich in eine schöne Frau. Da bricht in der Stadt die Kinderlähmung aus. Ein Kind nach dem anderen erkrankt. Der Lehrer Bucky macht sich Sorgen, auch um sich selbst. Er könnte seiner Liebsten ins Ferienlager folgen, da wäre er sicher. Aber weglaufen will er nicht. Er will bei den Kindern bleiben und bei seiner Großmutter, die kaum noch ihre Einkäufe tragen kann. Seine Freundin drängt ihn zu gehen. Lange zögert Bucky, dann folgt er ihr doch. Es ist aber zu spät. Nicht nur Kinder werden krank, auch Bucky selber hat sich schon angesteckt.
Zehn Jahre später ist Bucky tief verbittert. Hat Gott eigentlich auch ein Gewissen, fragt er sich? Und wenn ja, warum müssen dann unschuldige Kinder sterben? Der Zorn auf Gott frisst sich in ihn, nichts kann ihn trösten. Wie versteinert sitzt er in seinem Zimmer und lässt nichts gelten außer seinen Zorn. Zwei Menschen versuchen immer, Bucky zu helfen. Erst kommt ein älterer Lehrer, der auch krank ist. Ich habe mich daran gewöhnt, sagt er. Ich lebe, so gut und fröhlich es geht. Du darfst Gott nicht für alles verantwortlich machen, sagt er. Das will Bucky nicht hören. Entweder regiert Gott die Welt, sagt er, oder nicht. Auch seine Freundin kommt zu ihm. Sie will mit ihm leben, will ihn so lieben, wie er ist. Aber Bucky weist sie zurück. Er will die Liebe nicht annehmen, fürchtet sich vor dem Mitleid seiner Liebsten. Vor lauter Zorn kann er nicht sehen, wie sehr die Liebe ihn retten, ihn erlösen würde.
Dem Lehrer ist nicht zu helfen. Die Frage nach Gott treibt ihn um, und das ist gut. Nicht gut ist aber, dass er nur noch sich selbst sieht. Er sieht nur Zorn, nur den bösen Gott; sieht nur sein Leid und das der Kinder. Wie viel Liebe es gibt, sieht er nicht. Dass seine Liebste ihn erlösen will, will er nicht annehmen. Er hat ja Recht mit seinem Zorn. Zorn muss sein, darf auch sein. Sogar Zorn auf Gott, der Fragen nicht beantwortet und rätselhaft handelt. Aber Zorn ist nicht alles. Man muss auch davon lassen können, sonst verbittert man. „Lass die Sonne über deinem Zorn nicht untergehn“ (Neues Testament, Epheserbrief 4, Vers 26). Gott ist nicht nur Rätsel, sondern immer auch Liebe. Wer sie zurückweist, verfehlt sein Leben.