Der Hahn kräht
Abschiede sind häufig nicht nur traurig, sondern sie können auch Feindschaft aufbringen. Es ist immer schmerzhaft, wenn man voneinander Abschied nehmen muss. Dass man sich aber in dieser Situation auch noch verfeindet, das ist eigentlich überflüssig. Und doch geschieht dies häufig. Zum Beispiel wenn Ehen auseinander gehen. Zorn und Enttäuschung bringen eine Fahrt in die Gefühle, die sich kaum mehr stoppen lässt. Dass man verlassen wird, dass man dem anderen offensichtlich nicht wertvoll genug war, das kränkt tief. Oder andersherum, dass man gehen musste, weil man sonst keine Luft mehr bekommen hätte, das ist eine große Last. Bei vielen Menschen stellen sich dabei Schuldgefühle ein. Manchmal machen die sich in Wut und Zorn bemerkbar. Manchmal scheint man einen Abschied nur nehmen zu können, in dem man alle Verbindungen kappt und sich total verfeindet. Rosenkrieg nennt man das und er hat schon für viele Kinofilme Stoff geliefert.
Sich gut voneinander zu verabschieden ist nicht leicht. Es ist sogar eine Kunst. Das gilt für Ehen, Freundschaften und Beziehungen, die scheitern, aber auch am Arbeitsplatz. Anstatt dass man sich traut zu trauern, grenzt man sich wütend ab. Anstatt dass man sagt, ich werde dich unendlich vermissen, wendet man sich schnell anderen Leuten zu.
Heute ist Gründonnerstag. Der Tag, an dem jedes Jahr in den christlichen Kirchen an das letzte Abendmahl Jesu erinnert wird. Es ist sein Abschiedsessen. Jesus, seine Jüngerinnen und Jünger sind in Jerusalem, zusammen in einem Haus, in dem dieses Essen für Jesus und seine Getreuen vorbereitet ist. Und nun sind sie das letzte Mal zusammen, essen und trinken – wie so viele Male vorher. Vielleicht haben sie es damals schon geahnt, dass es nicht mehr lange gut gehen wird.
Jedenfalls verkraften auch die Jüngerinnen und Jünger den Abschied nicht, ohne dass Feindschaft unter ihnen entsteht. Auch sie suchen sich noch andere Wege, um sich trennen zu können. In der Bibel steht, dass Jesus damit gerechnet hat, damit, dass er verraten wird, damit, dass er von seinen Freunden verleugnet wird. Er spricht es direkt an und sagt es Petrus auf den Kopf zu: „Ehe der Hahn drei Mal kräht, wirst du meinen Namen verleugnet haben.“
Auf vielen Kirchtürmen finden sich hoch oben im Himmel Hähne. Sie erinnern an die furchtbare Abschiedssituation, in der sich Freunde von Jesus von ihm distanziert haben. Nicht nur einer, der ihn verleugnet, sondern auch der andere, der ihn verrät.
Abschiede sind nicht nur traurig, sie bringen häufig auch Feindschaft. Wenn man in diese Falle aus Trauer und Angst nicht hineinfallen will, muss man versuchen, bewusst anders zu reagieren.
Heute Abend wird in vielen Gottesdiensten an das letzte Essen der Freundinnen und Freunde Jesu erinnert. In vielen Gemeinden gibt es nicht nur Hostien und einen Schluck Wein, sondern der Tisch ist zum Agape-Mahl gedeckt. Agape ist das griechische Wort für Liebe. Brot und Wein und mehr zu teilen, das führt zusammen, schafft Gemeinschaft, das schafft, dass man liebevoll miteinander verbunden bleibt. Und oft mehr Möglichkeiten entdeckt, sich zu verabschieden, ohne sich zu distanzieren oder gar zu verfeinden. Verbunden bleiben, auch über den Abschied hinaus.