Demokratie
Demokratisch soll es an der Schule zugehen. Deswegen wählen Eltern alle zwei Jahre Elternvertreter, die zu Elternabenden einladen und sie moderieren
Elternabende sind oft anstrengend. Fast jedes Mal beißen wir uns an irgendeinem Thema fest. Einmal sorgte sich die Klassenlehrerin über feste Cliquen in der Klasse. Einzelne Schüler fürchteten, nirgendwo Anschluss zu finden. Bei dem Elternabend ging es hoch her. Welche Schüler betroffen seien, fragten einige. Das sei doch für die Eltern nicht wichtig, sagten andere. „Ich will aber wissen, ob mein Kind zu denen gehört, die ausgrenzen“, sagte ein Vater. Nach 22 Uhr taumelten wir übermüdet aus dem stickigen Klassenzimmer. Einige diskutierten in einer Kneipe weiter.
Einmal diskutierten wir eine geschlagene Dreiviertelstunde, ob unsere Kinder Handys auf die Klassenfahrt mitnehmen dürfen oder nicht. „Wozu Handys?“, fragten die einen. Andere wünschten sich, dass ihre Kinder anrufen, wenn sie heil angekommen sind. Eine Mutter erzählte, wie sich ihr Kind einmal verlaufen habe, und kein Handy dabei gehabt habe. Eine andere fand es wichtig, dass sich ihr Sohn mit einem Handyspiel aus der Gruppe zurückziehen könne, um zur Ruhe zu kommen.
Bei der Abstimmung am Ende waren vier Eltern dafür, dass die Kinder ihre Handys mitnehmen, alle anderen dagegen. „Wenn jetzt diese vier Kinder doch ihr Handy mitnehmen, werde ich es meinem Sohn auch erlauben“, setzte ein Vater an. Einige verdrehten entnervt die Augen.
Demokratie kann ja so anstrengend sein. „Wäre es nicht einfacher, die Klassenlehrerin entscheidet?“, fragte eine Mutter, als wir mit einigen Unverdrossenen in der Kneipe ankamen: „Die Lehrerin bestimmt: Die Handys bleiben zu Hause! Und alle halten sich daran!“ Klar, dachte ich sofort. Einfacher wäre das schon. Aber wäre es auch besser?
Es ist doch gut, dass wir durchkauen, was dafür und was dagegen spricht – selbst bei banalen Fragen. Ich war überrascht, dass sich überhaupt jemand für Handys auf der Klassenfahrt ausspricht. Besser ich erfahre es so, als dass hinten herum Unzufriedene schlechte Stimmung machen.
Außerdem nehmen manche Debatten einen völlig überraschenden Verlauf. An der Grundschule diskutierten wir einmal, ob die Kinder Schreibschrift lernen müssen oder bei ihrer Druckschrift bleiben können. Die Lehrerin zeigte sich für beides offen. Die einen fanden, mit Schreibschrift könne man schneller schreiben. Andere sagten, viele Kinder suchten schon in der vierten Klasse ihren eigenen Schriftstil. Und der könne auch die Druckschrift sein.
Ich war erstaunt über die Facetten dieses Themas. Ohne die ausführliche Diskussion wäre mir das nie so klar geworden.
Und schließlich: Die vielen Menschen, die am Ende abstimmen, wissen zusammen mehr als jeder Einzelne. Und das ist überall so: im Verein, in der Politik, in der Kirche.
Demokratisch mögen Entscheidungen mühseliger zustande kommen, als wenn einer das Sagen hat. Aber dafür halten sie besser.
Das sahen schon vor gut dreieinhalb Jahrhunderten die ersten puritanischen Siedler in Nordamerika so. Viele organisierten ihre Kolonien demokratisch. Ein mündiger Christ vereinige schließlich beides in sich, dachten sie: Das nötige Sendungsbewusstsein, um vor der Abstimmung sein Anliegen selbstbewusst zu vertreten. Und die nötige Demut, sich nach der Abstimmung nicht für den Maßstab aller Dinge zu halten.
Furcht vor den Abstimmungsergebnissen hatten die Siedler nicht. Ein Abstimmungsergebnis könne nie unberechenbarer werden, als Gottes Wege, auf denen sie geführt würden.