Das hätten wir geschafft
„Das hätten wir geschafft“. Die Schwester im Marienheim - einem Alten- und Pflegeheim in Fulda - hatte die ältere Dame untergehakt. Sie behutsam die Stufen hinauf geführt. Jetzt standen die beiden auf dem Treppenpodest. Verschnauften für einen Moment. Dann die nächsten 7 Stufen. „Das hätten wir geschafft“. Liebevoll und wohltuend klangen die Worte. Die Pflegekraft hätte auch sagen können: „So weit sind wir schon einmal. Den Rest schaffen wir auch noch. Ich bin ja bei dir. Nur Mut.“
Ich bin zufällig Zeuge dieser Szene geworden. Berührt hat mich dieses: „Das hätten wir geschafft“, und die Reaktion der vielleicht 80-jährigen Heimbewohnerin. Ihr linker Arm war verschlungen mit dem der Pflegerin, ihre rechte Hand streichelte die Hand ihres guten Engels und drückte sie. Gesagt hat sie nichts. Aber ihr Gesicht strahlte und die Augen blickten dankbar zur Pflegekraft. Dann gingen die beiden weiter. Gemeinsam. Stufe für Stufe. Ich schaute ihnen nach bis sie abbogen. Auf die Demenz-Station.
„Das hätten wir geschafft“. Wie gut das tut, wenn mir das einer sagt. Mich seiner Hilfe versichert. Das klingt anders als: „Ich habe dir geholfen, dass du das schaffst“. Sachlich korrekt mag das sein. Aber das ‚wir‘ ist etwas anderes. Das stärkt. Das stützt. Das atmet eine verschworene Gemeinschaft. Das gibt mir Sicherheit. Ein ganz menschlicher Engel hatte himmlische Worte gesagt. „Das hätten wir geschafft.“ Solchen Zuspruch und Weggefährtenschaft braucht es. Nicht nur, wenn bedürftig bin. Das braucht es in jeder Lebensphase und über’s ganze Jahr. Und solche menschlichen Engel auch. Wie die aussehen können, hat Rudolf Otto Wiemer in einem Gedicht beschrieben:
Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein,
die Engel.
Sie gehen leise,
sie müssen nicht schrein,
oft sind sie alt und hässlich und klein,
die Engel.
Sie haben kein Schwert, kein weißes Gewand,
die Engel.
Vielleicht ist einer, der gibt dir die Hand,
oder er wohnt neben dir, Wand an Wand, der Engel.
Wiemers Gedicht hat weitere Verse. Es könnte noch viel mehr sein. Einer könnte auch so lauten:
„Das hätten wir geschafft“, raunt er, der Engel.
Er sagt das Wort, das fehlt, wenn alles leer,
er hilft und tut was Hoffnung gibt – und mehr
mein Engel.
