hr2 MORGENFEIER
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Waldeck, Karl

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

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An einem Fenster sitzen zwei Kinder auf dem Fensterbrett. Sie haben rot-weiße Schlafanzüge an und rote Nikolausmützen auf und schauen erwartungsvoll nach draußen.

Worauf warten wir im Advent?

Heute ist der Zweite Advent; es brennt nun auch die zweite Kerze am Adventskranz. Noch 17 Tage - dann ist Heiligabend, Weihnachten. In diesem Jahr ist es das 67. Mal, dass ich Advent feiere. An das erste Mal erinnere ich mich nicht. Aber es gibt im Familienalbum aus dieser Zeit ein Schwarz-Weiß-Foto: Es zeigt, wie ich mit großen Augen auf das Kerzenlicht schaue - ein Blick, aus dem Überraschung und ein großes Staunen spricht.

Die Kerzen am Adventskranz verbreiten Licht in der dunklen Jahreszeit

Inzwischen schaue ich vor allem mit Freude auf das Licht des Adventskranzes: ein Licht in der dunklen Jahreszeit, eine kleine, ruhige und doch lebendige Flamme, die Wärme verbreitet. Ich atme den Duft des Tannengrüns des Adventskranzes ein, ein Stück Natur in den eigenen vier Wänden. Ich rieche den markanten Geruch von flüssigem Wachs und schaue der Kerze zu: Sie brennt, wird zusehends kleiner. Das lässt die Zeit spüren, den Lauf der Zeit, dem alles unterworfen ist - auch das eigene Leben.

Musik. „Wir sagen euch an den lieben Advent“, Strophe 1 und 2, Maybebop, 

Zum ersten Advent wird die Wohnung weihnachtlich geschmückt

Seit einigen Jahrzehnten feiern meine Frau und ich gemeinsam den Advent. Mein Elternhaus prägt wohl dabei für mich bis heute die Art, diese Zeit zu begehen. Bei uns zu Hause war es zu Kindertagen so: Zum 1. Advent wurde das Zimmer geschmückt und der Adventskranz auf den Wohnzimmertisch platziert. Es kamen Figuren ans Tageslicht, die elf Monate des Jahres auf ihren großen Auftritt zwischen dem 1. Advent und dem 6. Januar warteten: Engel, etliche aus dem Erzgebirge. Von dort stammten auch die Räuchermännchen, genauso wie eine kleine Pyramide, die mich allerdings bisweilen enttäuschte: Ihre Flügel bewegten sich oft nicht, selbst wenn ich die Kerzen unter ihnen entzündet hatte. Zum Adventsschmuck gehörte zudem ein kleiner Engelchor und eine Kurrende, eine Figurengruppe singender Schüler: Auch in unserer Familie wurde gern gesungen.

Der Adventskalender - jeden Tag eine Überraschung

Wichtige Accessoires waren schließlich die beiden Adventskalender, die jeden Morgen unsere Aufmerksamkeit auf sich zogen: zum einen eine Art Adventsuhr aus Pappe, die Tag für Tag vorgestellt wurde, zum anderen ein klassischer Adventskalender: Dessen Türchen wurden immer mit großer Neugier geöffnet: Welches Bildmotiv würde sich wohl am neuen Tag dahinter verbergen? Denn nur das Motiv am 24. Dezember stand fest: die Krippe im Stall zu Bethlehem. Künstlerisch war sie Jahr für Jahr ganz unterschiedlich gestaltet. Adventskalender, die wie heute durchaus üblich Schokolade oder Spielzeug und für Erwachsene auch anderes enthalten können, kannten wir nicht. Denn für Süßigkeiten war die Weihnachtsbäckerei von Großmutter und Mutter zuständig - sowie der Nikolaus, der in der Nacht vom 5. zu 6. Dezember allen Generationen verlässlich die Stiefel füllte.

Musik: Georg Friedrich Händel: „Tochter Zion, freue dich“

Von Kindheitserinnerungen bis zur heutigen Suche nach Bedeutung: Welche Geschichten begleiten uns durch den Advent?

Der Advent hat eine Geschichte, eine persönliche und eine geistliche. Rückblickend frage ich mich: Konnte ich als Kind verstehen, was der Advent bedeutet? Gerne habe ich Adventslieder gesungen: bildstarke wie „Macht hoch die Tür“, auch solche, bei denen ich einzelne Worte nicht verstand – wie „Tochter Zion“. Allen diesen Liedern war vom Inhalt her gemeinsam, dass sie auf ein Kommen zielen. Jemand ganz Großes kommt: „Es kommt der Herr der Herrlichkeit“, „Siehe, dein König kommt zu dir“. Und wenn er kam, war der Advent abgeschlossen: Dann war Weihnachten. Auch für mich war es das größte, schönste Fest des Jahres.  

… und dann ist endlich Weihnachten

Am 24. Dezember konnte ich es gar nicht abwarten, bis es endlich dunkel wurde: Denn dann gingen wir erst in die Kirche – und danach wurde es zu Hause festlich. Was in meinen Kindertagen bedeutete, dass ich vor dem Weihnachtszimmer so lange warten musste, bis das Glöckchen klingelte und ich eintreten durfte. Dann begann das Fest - stimmungsvoll: Der Weihnachtsbaum glänzte im Kerzenlicht, die Familie sang „O Tannenbaum“ und „O Du fröhliche“, dann gab es die Bescherung, bei der ich durch das Geschick meiner Eltern tatsächlich nie enttäuscht wurde. Es wurde schließlich zu Tisch gebeten – zum traditionellen Weihnachtsessen. So war es alle Jahre wieder.

Advent: „Wir warten auf das Christkind“ oder werden da noch andere Geschichten erzählt?

 Im Rückblick erscheint mir die Art, wie wir den Advent in meiner Kindheit begangen haben, ein auf vier Wochen verlängertes „Wir warten auf das Christkind“ gewesen zu sein. In späteren Jahren, als Jugendlicher und erst recht als Erwachsener, machte ich mir Gedanken, worauf denn nun im Advent tatsächlich gewartet und welche Geschichte hier eigentlich erzählt wird. Ging es beim Advent nur um die Vorgeschichte der Geburt Jesu? 

Was erzählen die vier Evangelisten eigentlich von der Zeit vor Jesu Geburt?

Wer die Bibel nach der Adventszeit befragt, wird – zumindest was die Menge an Informationen anbelangt - eher enttäuscht sein. Von den vier Evangelien, die vom Leben Jesu, seinem Tod, und seiner Auferstehung berichten, erzählen nur zwei, was sich vor der Geburt Jesu ereignet hat. Die beiden anderen, das Markus- und das Johannesevangelium, schweigen ganz davon: Das Markusevangelium setzt mit dem öffentlichen Auftreten Jesu ein: mit seiner Taufe, seinen Worten und Taten als Wanderrabbi auf dem Weg durch Galiläa und Judäa. Das Johannesevangelium beginnt mit dem sprachgewaltigen Prolog „Am Anfang war das Wort“, das in Jesus Mensch wird: „und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit“. 

Marias Geschichte 

Es sind das Matthäusevangelium und das Lukasevangelium, die Geschichten von der Geburt Jesu erzählen – und von der Zeit davor, also Adventliches: vom Besuch des Engels bei Maria, der ihr die ebenso unerwartete wie wundersame Schwangerschaft und Geburt eines Sohnes ankündigt. Wir hören die Reaktion Marias, ihr Loblied, das Magnificat „Meine Seele erhebt den Herrn“.  Wir lesen von Marias Besuch bei Ihrer Verwandten Elisabeth, die ebenfalls unerwartet schwanger ist. Wir hören von der verständlichen Irritation, die Marias Schwangerschaft bei ihrem Verlobten Josef auslöst, und davon, dass sie als Paar doch zusammenbleiben. All das gehört zum Advent der Bibel. Im normalen Adventsalltag sind diese Geschichten eher selten zu hören. Doch es lohnt sich, sie Jahr für Jahr neu zu erzählen und zu bedenken: Es geht in ihnen einerseits sehr menschlich zu; zugleich scheint in sie das himmlische Licht der Heiligen Nacht schon hinein.  

Musik: Johann Eccard, „Übers Gebirg Maria geht“, Elly Ameling

Die Botschaft der himmlischen Heerscharen ermutigt und tröstet - auch 2025

Advent heißt – übersetzt – Ankunft. Gefeiert wird im und als Advent die Vorbereitung, die Einstimmung und Vorfreude auf das Kommen Jesu – üblicherweise auf die Geburt Jesu im Stall zu Bethlehem. Diese Vorfreude steht unter dem Vorzeichen der Botschaft der himmlischen Heerscharen in der Heiligen Nacht: „Ehre sei Gott in der Höhe, Frieden auf Erden und den Menschen Gottes Wohlgefallen.“ Es tut gut, es ist tröstlich und ermutigend, Jahr für Jahr diese Botschaft zu hören - auch 2025, in einer Welt, die friedlos ist. Diese Botschaft vermag Zuversicht stiften, wo sonst Unsicherheit herrscht. 

Gottes Ja zu Menschheit als Lebensgefühl mitnehmen

Wer den Advent so begeht, erinnert sich an ein Ereignis, das schon geschehen ist: die Geburt Jesu. Die Adventszeit bereitet damit auf das große Ja vor, das Gott zur Menschheit zu Weihnachten schon gesprochen hat. Dieses Ja sollten wir als Lebensgefühl bereits im Advent mit in den Alltag nehmen, gerade in diesen Wochen, die oft hektisch sind und einen ein bisschen kopflos machen: Es tut gut, Gottes Freundlichkeit auch unsere Mitmenschen spüren lassen. Womöglich können wir dann bei allen berechtigten Sorgen gelassener durchs Leben gehen - denn Jesus ist in diese Welt gekommen.

Jesu kommt. Davon berichtet die Weihnachtsgeschichte, doch nicht nur sie allein. Die Bibel und der Glauben haben noch eine andere Vorstellung davon, was es bedeutet: Jesus kommt. Advent bedeutet Ankunft. Jesus ist bereits gekommen - Weihnachten. Das ist ein Blick in die Vergangenheit. Wir können sie für uns in die Gegenwart holen und lebendig werden lassen.

Musik: „Wir sagen euch an den lieben Advent“, Strophe 2, Andreas Obieglo

Advent - ein Blick in die Vergangenheit und in die Zukunft

Jesus kommt! – Damit kann neben der Vergangenheit auch die Zukunft gemeint sein. Dann geht es nicht um die Heilige Nacht, sondern um den Blick voraus, auf eine Zeit, die noch bevorsteht. In vielen Gottesdiensten ist heute davon die Rede, wenn dieser Satz zu hören ist: “Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.” Er findet sich im Lukasevangelium. Jesus selber sagt ihn, kurz vor seinem Tod und seiner Auferstehung, ziemlich am Ende des Evangeliums: “Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.” Jesus blickt nicht auf seine Geburt zurück. Von Weihnachten ist nicht die Rede. Jesus richtet vielmehr den Blick nach vorne, in die Zukunft: Ich komme wieder, verheißt er - am Ende aller Zeit. Dann naht die Erlösung.

Jesus bring Erlösung

Jesus kommt, er kommt wieder – bald, in der Zukunft. Auch das ist ein Grund zur Freude - genauso wie Weihnachten. Denn die Zukunft, von der Jesus spricht - sie kommt ebenfalls von Gott. Deshalb gilt es den Blick nach Oben zu richten, himmelwärts. „Steht auf, um das Gute, die Erlösung zu erwarten,“ ermuntert Jesus. „Verharrt nicht am Boden in Trauer und Erstarrung, sondern steht auf, erhebt eure Häupter, lasst den Kopf nicht hängen, kommt in Bewegung, schaut nach Oben, zum Himmel: Das große Glück, die Erlösung ist nahe.“

Der Advent, der auf Weihachten und die Geburt Jesu vorbereitet, und die Vorstellung, dass Jesus am Ende aller Zeit wiederkommt, beides ergänzt sich. Das Wort Erlösung fällt. Wann werden wir erlöst sein, sind wir es vielleicht schon?

Gottes Ja zu uns Menschen zeigt sich in Jesus selbst

Ich versuche, es mir so zu erklären: In diesen Wochen im Dezember bereiten wir uns auf das Weihnachtsfest vor: Seine Botschaft lautet: Gott ist in die Welt gekommen, Jesus wird geboren. Gott sagt Ja zum Menschen und zur Welt: Er verheißt der Welt Frieden und den Menschen Wohlgefallen. Ja, das ist bereits Erlösung. Sie zeigt sich beispielhaft im weiteren Leben, das Jesu geführt hat: was er gesagt hat, wenn er Menschen heilt und ihnen ihre Würde zurückgibt. Gottes Ja zu uns Menschen zeigt sich in Jesus selbst in seinen düsteren Stunden, im Leiden, im Tod. So tief ins menschliche Elend steigt Gott mit uns herab. Er ist uns selbst dort nahe, wir mögen es spüren oder nicht. Doch der Tod hat nach Gottes Willen nicht das letzte Wort. Jesus wird von Tod auferweckt, die Fesseln des Todes werden gelöst. Es ist der Beginn des großen Erlösungswerks. Auf seine Vollendung wartet es noch.

Musik: „Wir sagen euch an den lieben Advent“, Strophe 1, Andreas Obieglo

Das Tor der Erlösung ist mit Weihnachten aufgestoßen

Das Tor der Erlösung ist mit Weihnachten aufgestoßen. Vollends erlöst ist die Welt noch nicht: Denn noch immer – wer würde es nicht wahrnehmen, erleben und erleiden - gibt es Leid auf der Erde: in vielfacher Form. Das sollen wir in der Nachfolge Jesu lindern, wir sollen helfen und heilen, auch wenn wir das Leid nicht zum völligen Verschwinden bringen können.

Das Projekt Erlösung ist noch nicht abgeschlossen. Deshalb beten wir auch im Vater Unser: Dein Reich komme! Anders gesagt: Komm doch wieder, Jesus! Vollende, was Du bereits begonnen hast! Und Jesus verspricht: Ich komme wieder. Am Ende aller Zeiten wird das Werk der Erlösung vollendet werden. Das ist dann auch der letzte Advent.

Advent heute:  Was bleibt, was verändert sich?

Heute ist der 2. Advent des Jahres 2025. Wie oft habe ich Advent gefeiert! Ich feiere ihn gern wie schon in Kindertagen. Ich feiere ihn mit meiner Frau beim Schein der Kerzen: mit Musik, mit alledem, was die Sinne anspricht. Manches ist wie zu meiner Kindheit geblieben, manche Bräuche haben wir gerne übernommen, anderes ist neu hinzugekommen. 

Was sich mit der Zeit verändert hat? Menschen fehlen, mit denen wir so lange und gerne Advent und Weihnachten gefeiert haben. Ich denke an die Adventszeit in meiner Familie und nehme die, die nicht mehr mit uns am Tisch sitzen können, in Gedanken mit in unseren Kreis. Ich schaue zum Himmel. Bei alledem, was mich umtreibt und beunruhigt, begehe ich auch diesen Advent mit Zuversicht und mit Hoffnung. Denn Jesus kommt – zu Weihnacht und am Ende aller Zeit. In der Zwischenzeit will ich tun, was Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern aufgetragen hat: Aus dem Geist der Adventszeit heraus ein Bote und Täter der Hoffnung sein. 

Musik: Johann Sebastian Bach/F. Busoni: „Nun komm, der Heiden Heiland“, Dinu Lipatti