Mehr als Kotelett oder Kuscheltier – das Verhältnis von Tier und Mensch aus christlicher Sicht
„Das Paradies der Erde, liegt auf dem Rücken der Pferde.“ Dieser Vers nähert sich einem kaum zu beschreibenden Glücksgefühl an. Etwa wenn Reiterinnen und Reiter mit ihrem Pferd auf dem Strand am Meer entlang galoppieren, dass das Wasser nur so spritzt. Oder wenn sie durch einen Wald reiten, der frisch im Frühling ergrünt. Manche erleben ihr Glück bereits, wenn sie einfach nur zu ihrem Pferd in den Stall kommen. Wer ein solch inniges Verhältnis zu seinem Tier hat, wird den Gedanken schrecklich finden, Pferdefleisch zu essen.
Andere sehen das ganz anders. Für sie ist Pferdefleisch auch bloß Fleisch, das sie gerne essen – sofern es denn schadstofffrei ist. In manchen Gegenden Europas gilt Pferdewurst gar als Spezialität und Köstlichkeit. Viele Pferde werden lebend über Tausende von Kilometern transportiert, nur um am Ende geschlachtet zu werden. Das ist eine Qual für die armen Tiere und zudem auch noch ökologisch schädlich. Aber es geschieht dennoch, denn EU-Regelungen machen es finanziell lukrativ, Tiere, Fleisch und Nahrungsmittel kreuz und quer durch Europa zu verschieben. Was damit unterwegs alles geschieht, überblickt niemand mehr. So konnte Pferdefleisch heimlich in Fertiggerichte gemischt werden. Außen stand nur Rind drauf, innen war aber Pferd drin – für viele ein Skandal. Er hat einmal mehr offen gelegt, wie vielschichtig das Verhältnis des Menschen zu den Tieren ist.
Menschen machen mit Tieren eben, was sie wollen. Und das ist ganz unterschiedlich. Nutztiere benutzen wir. Niedliche Haustiere lieben wir. Wilde Tiere fürchten wir. Oder wir bewundern sie. Lästige Tiere vernichten wir.
In deutschen Wohnungen leben über 23 Millionen Haustiere. Viele von ihnen sind die Lieblinge ihrer Besitzerinnen und Besitzer. Manche rufen ihre Tiere mit Kosenamen und sehen in ihnen nicht selten ihren Lebensinhalt. Im krassen Gegensatz dazu steht die Existenz der Tiere in der so genannten Lebensmittelproduktion. Es sind viele Millionen. Viele von ihnen existieren in riesigen, fensterlosen Stallanlagen. Manche sind so eng besetzt, dass sich die Tiere darin gegenseitig verletzen oder gar tottreten. Moderne Fleischproduktion. Der Preiskampf ist hart, im Supermarkt sollen die Schnitzel möglichst wenig kosten.
Eigentlich spürt und weiß es jeder: Tiere haben ein eigenes Lebensrecht. Christen sagen: Tiere sind Geschöpfe und damit ein Teil der göttlichen Schöpfung. Deshalb gilt: Wer tötet, lädt Schuld auf sich. Darauf weist Dr. Maren Heincke hin. Die Agrarökonomin ist nicht nur Fachfrau für Landwirtschaftsfragen in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, sondern auch Vorstandmitglied des Dienstes auf dem Land der Evangelischen Kirche in Deutschland.
„Gut schlachten heißt gezielt, schmerzfrei, angstfrei schlachten. Aber an dem Töten kommt man nicht vorbei und man kommt auch nicht an dem Schuldzusammenhang vorbei. Aber das ist für mich eigentlich eine Grundkonstante im Leben. Wenn ich mir selber Lebensrecht zubillige, lebe ich immer auf Kosten von anderem Leben. Also: Ich müsste mein eigenes Leben verneinen, wenn ich nicht in diesen Schuldzusammenhang hinein gehen würde.“
Wer Leben will, muss anderes Leben dafür opfern. Das ist ein elementarer Schuldzusammenhang des Lebens. Manche wollen sich ihm allerdings entziehen. Sie versuchen so zu leben, dass durch sie kein Tier zu Schaden kommt. Das ist eine großartige ethische Haltung. In der Tierwelt gilt allerdings ein anderes Prinzip, das Prinzip des Fressens oder Gefressen Werdens. Dabei sind die Tiere nicht zimperlich. Es ist schrecklich zu sehen, wie zum Beispiel Katzen Mäuse bei lebendigem Leib langsam verstümmeln und dann fressen. Die Natur ist nicht sanft und selten harmonisch. Es gilt das Recht des Stärkeren. Und die Menschen beherrschen es offenbar am besten. Denn sie haben es im Überlebenskampf ganz nach oben geschafft.
Zugleich ist die Tierwelt wunderschön. Ungezählte Naturfilme zeigen sie wie ein großartiges Schaufenster von Gottes Schöpferkraft. Die hat Joseph Haydn in seinem Oratorium „Die Schöpfung“ eindrucksvoll vertont.
Musik: Arie „Nun scheint in vollem Glanze der Himmel“ aus: Die Schöpfung von Josef Haydn
Menschen unterscheiden sich von den Tieren. Das liegt auf der Hand. Aber wie genau, das ist nicht klar. Alle wissenschaftlichen Kriterien, die genannt werden, gelten entweder nicht für alle Tiere oder nicht für alle Menschen. Die Bibel beschreibt den Unterschied poetisch und theologisch. Psalm 8 setzt den Menschen an der Spitze der Schöpfung und erklärt ihn sogar zum Mitschöpfer Gottes.
„Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan: Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht.“ (Psalm 8, 4-9)
Die Bibel schreibt dem Menschen das Recht zu, sich von den Tieren zu ernähren. Dafür gibt es aber Regeln. So sollen zum Beispiel Tiere so geschlachtet werden, dass sie möglichst wenig leiden. Dennoch würden heute viele Menschen wohl kein Fleisch essen, wenn sie die Tiere dafür selbst töten müssten. Doch das erledigen andere für sie – ganz diskret. Wie die Tiere geschlachtet werden, wie sie dorthin transportiert werden und wie sie vorher gehalten werden, das wollen viele einfach nicht wissen. Sie ahnen vermutlich, dass sie dann anders leben müssten. So entsteht ein Tabu in der Gesellschaft: Nicht drüber reden! Einfach Fleisch kaufen und essen. Nach dem Motto: Wozu Schlachthöfe? Bei uns kommt das Schnitzel aus dem Supermarkt.
Ist ja auch verständlich: Immerhin geht es um etwas ganz Elementares: um das Essen. Da reagiert man sehr empfindlich auf kritische Anfragen. Auch die Kirche tut sich mit diesem Thema schwer. Sie kümmert sich intensiv um Menschen. Sie ist durchaus aufmerksam für die Schöpfung. Aber die Tiere bleiben dabei merkwürdig am Rande. Warum, weiß Maren Heincke, Sie ist auch Vorstandmitglied des Dienstes auf dem Land der Evangelischen Kirche in Deutschland.
„Ich glaube, dass die heutigen christlichen Kirchen in großen Teilen tatsächlich diesen dunklen Fleck in der Gesellschaft ignorieren – also der dunkle Fleck ist eben massenhafte Tierhaltung, die nicht artgerecht oder tiergerecht ist, weil man sofort weiß, es gibt Konflikte, man tritt Leuten auf die Füße und man bekommt leider auch sehr leicht Unterstützung aus den falschen Lagern wie von eben extremen Tierrechtlern, und davon möchte ich mich distanzieren. Das Christentum an sich, denke ich, hat große Chancen tierfreundlicher zu sein und zu werden, eben weil Tiere als Mitgeschöpfe mit dem gleichen Ursprung des Lebens einen hohen Wert haben können.“
Musik: Chor „Vollendet ist das große Werk“ aus: Die Schöpfung von Josef Haydn
Dem Christentum ist immer wieder vorgeworfen worden, dass es die Ausbeutung der Natur und damit auch der Tiere begünstigt habe. Ein Blick in andere Kulturkreise ernüchtert allerdings. Besser geht es den Tieren nirgends. Und in der Bibel gilt der erste Segen, den Gott überhaupt erteilt, den Tieren. Am Anfang der Bibel, in der Schöpfungsgeschichte wird der fünfte Tag so erzählt:
„Und Gott schuf große Walfische und alles Getier, das da lebt und webt, davon das Wasser wimmelt, ein jedes nach seiner Art, und alle gefiederten Vögel, einen jeden nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. Und Gott segnete sie.“ (Genesis 1,21 - 22a)
Gott will, dass die Tiere leben – ganz unabhängig von den Menschen, denn die werden erst einen Tag später geschaffen. Tiere haben in der Schöpfung also einen Wert in sich. Sie sind eben mehr als Kotelett oder Kuscheltier.
Seit Jahrtausenden leben Tiere und Menschen eng miteinander. Dafür finden sich in der Bibel Regeln. Zum Beispiel in den Zehn Geboten. Dort werden die Tiere ausdrücklich einbezogen, wenn es um den arbeitsfreien Feiertag geht.
„Am siebten Tag ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Rind, dein Esel, all dein Vieh.“ (Deuteronomium 5, 12-14)
Die Menschen und ihre Tiere sind eine Lebensgemeinschaft. Völlig klar, dass da auch die Tiere mal Pause haben – wie die Menschen. Sie sind aber auch eine Schicksalsgemeinschaft. Das zeigt sich in der großen Sintflut. Darin finden nicht nur viele Menschen den Tod, sondern auch viele Tiere. Doch werden auch Tiere gerettet. Sie finden Platz auf dem großen Schiff, das Noah auf Gottes Anweisung hin baut, um sich und seine Familie zu retten. Auf Noahs Arche überleben mehr Tiere als Menschen. Es scheint, dass bereits die Verfasser der Bibel eine Ahnung davon hatten, wie viele Arten man braucht für eine bunte und lebensfähige Schöpfung.
Musik: Terzett „Zu dir, Herr, blickt alles auf“ aus: Die Schöpfung von Josef Haydn
In der antiken jüdischen Religion hatten Tieropfer eine wichtige Funktion. Aus heutiger Sicht ist das grausam. Aus damaliger Sicht war es ein Zeichen, wie elementar die Menschen sich Gott ausgeliefert fühlten. Sie brauchten Tiere in ihrem vitalen Lebensverkehr zu Gott. Daran knüpft Jesus Christus an. Er bezeichnet sich selbst als Lamm Gottes, das sich opfert, damit ein für alle Mal Schluss ist mit anderen Opfern. So steht das Lamm, ein Tier, im Mittelpunkt, um den innersten Kern der christlichen Heilsbotschaft auszudrücken.
Was bedeutet das für das künftige Schicksal der Tiere? Sie bilden zusammen mit den Menschen eine Hoffnungsgemeinschaft. So schreibt es der Apostel Paulus:
„Ich bin überzeugt: Das Leid, das wir gegenwärtig erleben, steht in keinem Verhältnis zu der Herrlichkeit, die uns erwartet – und die Gott an uns offenbar machen will. Die ganze Schöpfung wartet doch sehnsüchtig darauf, dass Gott offenbart, wer seine Kinder sind. Denn die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen – allerdings nicht aus eigenem Antrieb. Sondern Gott hat es so bestimmt. Damit ist aber eine Hoffnung verbunden: die Hoffnung, dass auch die Schöpfung selbst aus der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit wird. Und dass sie so zu der Freiheit gelangt, die Gottes Kinder in der Herrlichkeit erwartet.“ (Römer 8, 19 f.)
Auch den Tieren gilt also das heilsame Handeln Gottes. Im Reich Gottes haben auch sie ihren Platz. Das ist eine schöne, eine hoffnungsvolle Aussicht.
Aber wo ist ihr Platz jetzt? Dafür stellt die Bibel keine einheitlichen Regeln auf. Einerseits erlaubt sie, Tiere zu nutzen - auch zu töten. Als Christ kann man Vegetarier sein, man muss es aber nicht. Allerdings sollte man sich dafür interessieren, unter welchen Bedingungen die Tiere leben und sterben. Denn die Tiere sind ein Teil der Schöpfung Gottes, sie haben einen Lebenswert in sich.
Musik: Duett mit Chor „Von deiner Güt, o Herr und Gott“ aus: Die Schöpfung von Josef Haydn
Respekt und Schutz – das können wir Menschen den Tieren zusichern. Daran müssen wir uns messen lassen, sagt Maren Heincke.
„Der Umgang der Menschen mit Tieren sagt eben auch viel über ihre eigene Menschlichkeit und über ihre Persönlichkeit aus. Das ist tatsächlich so. Wir machen eine Selbstaussage. Also ein Mensch, der Tiere quält - bewusst, der hat für mich, sag ich mal, auf jeden Fall schon mal eine dunkle Seite, wenn er daran Freude empfindet. Und es gehört eigentlich für mich auch zur Menschenwürde dazu, dass ich mich eben in bestimmten Bereichen kulturell verhalte und nicht wie ein Raubtier.“
Menschen können sich also nicht einfach in die Natur einreihen und so tun als seien sie nichts weiter als das erfolgreichste aller Raubtiere. Sie sind eben mehr, sie sind Mitschöpfer, sie sind Gottes Bodenpersonal, auch im Umgang mit den Tieren. In diesem Sinne schützen wir die wilden Tieren am besten, wenn sie in Naturschutzgebieten und Reservaten leben können, wie es ihnen gemäß ist. Für Haus- und Nutztiere ist das aber keine Option, erläutert Maren Heincke:
„Sie sind natürlich über zehntausend Jahre lang gezüchtet worden, dass sie heute in der wilden Natur kaum noch überleben können. Die sind also wirklich auf die Interaktion, auf die Pflege durch den Menschen angewiesen, was Futter, Nahrung und Behausung betrifft. Also, da ist ´ne enge Symbiose entstanden. Das ist eben auch eine Koevolution zwischen Mensch und Tier gewesen.“
Die enge Lebensverbindung der Tiere mit den Menschen - mit den geliebten Haustieren wird sie auf enge Weise gelebt. Den meisten geht es wahrscheinlich gar nicht schlecht. Sie tun ihren Besitzern gut. Sie werden gehütet. Aber sie leben nicht ihr eigenes Leben. Auch sie werden benutzt für menschliche Zwecke. Das muss man sich bewusst machen. Auch sie brauchen artgerechte Bedingungen. Wellensittiche zum Beispiel sind keine Einzelgänger, sie brauchen einen Partner.
„Zum Beispiel ein Hund braucht Hierarchie. Das ist ein Rudeltier und für einen Hund ist zum Beispiel das Signal im Bett zu schlafen eine Destabilisierung des hierarchischen Verhältnisses zum Herrchen. Ein Hund lebt aber eigentlich glücklicher, wenn die Hierarchie klar ist, weil er so angelegt ist. Ein respektvoller Umgang mit Tieren, dazu gehört für mich auch zu zeigen: Du bist ein Tier und ich bin ein Mensch. Der Umgang von Tier und Mensch klappt dann gut, wenn die Regeln klar sind.“
Musik: Chor „Von deiner Güt, o Herr und Gott“ aus: Die Schöpfung von Josef Haydn
Die enge Lebensverbindung der Tiere mit den Menschen – auf vielen kleineren Bauernhöfen ist sie noch lebendig. Doch die werden immer weniger. Zum Regelfall werden die Massenställe, wo diese Verbindung verloren gegangen ist. Dort existieren heute mit Abstand die meisten Tiere. Und viele von ihnen werden nicht mehr artgerecht gehalten. Das ist aber das wichtigste Kriterium für Maren Heincke, die Landwirtschaftsexpertin der evangelischen Kirche.
„Mir geht es drum, dass Nutztiere artgerecht oder tiergerecht gehalten werden, Grundbedürfnisse erfüllt werden. Und dass sie auch nicht nur auf Spitzenleistung hin gehalten und gezüchtet werden. Zum Beispiel bei den Masthähnchen ist das so, da ist das Brustwachstum so überzüchtet worden, weil das eben das wertvollste Fleischteil ist, dass die Beine in den 30,32 Tagen, die so ein Masthähnchen lebt, gar nicht die Knochenstabilität aufweist, so dass die Tiere wirklich nicht gehen können. Das ist für mich tatsächlich eine Form auch der Tierquälerei, weil man einem Tier wichtige Lebensbereiche wie die Beweglichkeit und so weiter durch diese enge Züchtung weggenommen hat. Das kann nicht das Ziel sein.“
Bei der tiergerechten Haltung ist in den letzten Jahren vieles verbessert worden, besonders beim Milchvieh. Dafür gebührt den Landwirten große Anerkennung, denn sie befinden sich im ständigen Zwiespalt zwischen wirtschaftlichem Druck und ethischen Ansprüchen. Mehr können sie im Alleingang nicht stemmen. Das müssen letztlich Gesetze auf internationaler Ebene tun. Aber die kommen nur, wenn genügend Menschen sie wollen. Wenn wir uns dafür interessieren, woher das kommt, was wir essen – nicht nur heute am Welttierschutztag, sondern wirklich nachhaltig. Und wenn wir bereit sind, anders einzukaufen. Es gibt Landwirte und Metzgereien, die bieten Fleisch von Tieren an, die ein Leben hatten, das diesen Namen verdient.
Ein verantwortungsvoller Umgang mit den Tieren tut nicht nur den Tieren gut. Es ist auch für uns gesünder. Und wir finden darin besser zu uns selbst. Wir sind nicht nur Verbraucher. Wir sind Menschen, Teil der Schöpfung und ein besonderer dazu: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gottes - so gut wir es können.
Musik: Duett mit Chor „Von deiner Güt, o Herr und Gott“ aus: Die Schöpfung von Josef Haydn