Ins reine kommen
Ins Reine kommen – mit sich, mit den Mitmenschen und mit Gott, das wünschen sich viele. Und sie merken: Das ist gar nicht so leicht. Oft genug gelingt es nicht einmal zuhause. Viele kennen ein Beziehungsdrama wie das folgende. Zumindest hat man es schon im Fernsehen gesehen. Oder gar am eigenen Leib durchlitten.
Zwei Menschen lieben sich. Und sie leiden aneinander. Wenn sie streiten, dann fallen immer wieder dieselben Worte. Wenn sie versuchen, sich zu einigen, dann bringen sie immer wieder dieselben Argumente. Doch keiner hört oder versteht die Argumente des anderen. Am Ende sind beide erschöpft, traurig, ratlos und allein. Sie leben sich auseinander, werden einander immer fremder. Noch sitzen sie im selben Haus, aber in verschiedenen Etagen. Sie kauert oben im Schlafzimmer. Während die Tränen fließen, wandern ihre Gedanken zurück: Was hat sie nicht alles für ihn getan! Was alles für ihn gelassen! Wie oft nachgegeben! Wie oft verzichtet und ertragen! Aber das alles hat er gar nicht bemerkt! So denkt sie bitter. Er hat einfach sein Leben gelebt und gemeint, er könne sie mit ein paar netten Worten und Geschenken ruhig stellen.
Er sitzt derweil unten im Wohnzimmer und ist starr vor Wut und vor Ratlosigkeit. Wie oft hat er versucht, sich verständlich zu machen: Seine Arbeit und etwas Freiraum für Freunde und Hobbys – mehr will er doch gar nicht. Aber das versteht sie einfach nicht. Alles hat er versucht: gute Worte, tägliche Anrufe, teure Geschenke, gemeinsame Reisen. Aber nie war sie zufrieden. Immer wollte sie irgendetwas anderes. Etwas, das sie nicht beschreiben und das er nicht erraten konnte. Schon so oft war er losgezogen und hatte große Blumensträuße gekauft: Rosen als Zeichen seiner Liebe. Und als Signal für einen Neuanfang. Doch der war nie so recht gelungen. Nun gilt bei beiden Alarmstufe Rot. Wenn nicht irgendetwas Neues passiert, dann werden sie einander endgültig verlieren. Und zugleich etwas Wichtiges von sich selbst.
Musik: Henri Tomasi, Concerto Giration, Dominique Tassot (Saxophon) mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Manfred Neumann
Die Bibel ist voll uralter Beziehungsgeschichten. Meist klingen diese Geschichten, als wäre es gestern gewesen. Da geht es um Beziehungen von Menschen untereinander, aber auch um Beziehungen zwischen Menschen und Gott. Und manchmal scheinen sich beide Beziehungs-Arten sehr ähnlich zu sein. Vor etwa 3000 Jahren beschreibt der Prophet Micha das Verhältnis Gottes zu seinem Volk Israel wie eine zerrüttete Beziehung. Und wenn man genau hinsieht, ist da ein Mechanismus, den wir von dem Paar am Anfang kennen – und vielleicht jeder auch schon aus seinem eigenen Leben.
Also: Auch wenn es zunächst merkwürdig klingt, stellen wir uns doch einmal vor: Gott sitzt verzweifelt oben im Schlafzimmer. Er fühlt sich von seinem Volk missverstanden, ja geradezu missachtet. Seine Gedanken wandern zurück: Was hat er alles getan für sein heiliges Volk. Er hat die Menschen seines Volkes aus der Sklaverei in Ägypten gerettet. Ohne ihn wären sie zu Tode geschunden worden. Aber er hat sein Volk dort herausgeholt und in ein fruchtbares Land geführt. Auf dem Weg hat er seine geliebten Menschen beschützt vor Hunger, Durst und vor übermächtigen Feinden. In dunklen Stunden hatte er sie getröstet.
Aber nun, wo sie am Ziel sind, da wendet sich das Volk von ihm ab. Anderes erscheint so viel attraktiver. Vergessen sind alle Wohltaten Gottes. Ja, die ganze gemeinsame Vergangenheit verblasst, wird vielleicht bald ganz vergessen sein. Es ist ein Drama. Der Prophet Micha beschreibt, wie Gott darüber klagt:
„Was habe ich dir getan, mein Volk, und womit habe ich dich beschwert? Das sage mir! Habe ich dich doch aus Ägyptenland geführt und aus der Knechtschaft erlöst und vor dir her gesandt Mose, Aaron und Mirijam. […] damit ihr erkennt, wie der HERR euch alles Gute getan hat.“ (Micha 6, 3-5)
Aber das Volk hört Gottes Klage nicht. Es missachtet seine Gebote, die die Basis für ein gutes Zusammenleben sind. Es verliert die Dankbarkeit gegenüber Gott und das Interesse an ihm. Gott ist tief enttäuscht. So von Gott zu sprechen, klingt merkwürdig. Aber so sieht ihn der Prophet Micha: wie einen verzweifelten Partner in einer zerrütteten Beziehung. Gott begibt sich damit auf Augenhöhe mit den Menschen. Er macht sich verletzlich und angreifbar, überlegt, ob er selbst etwas falsch gemacht haben könnte und sucht die Schuld zunächst bei sich. So zeigt sich Gott ganz menschlich. Zu menschlich? Gott wird das später noch viel konsequenter tun. Er wird selbst Mensch werden in seinem Sohn Jesus Christus. In ihm wird Gott am eigenen Leib erleben, was menschliches Leben ist, von der Geburt bis zum Tod, in Freud und Leid, in Liebe und Einsamkeit.
Musik: György Ligeti, Six Bagatelles (Arr. Fabio Oehrli), Adagio.Mesto. Bela Bartok in memoriam, Mobilis Saxophone Quartet
In den Worten des Propheten Micha erscheint Gott wie ein verzweifelter und verletzlicher Mensch, der sich fragt: Warum läuft so vieles schief in der Beziehung mit meinem Volk Israel? Doch wie sieht das Volk die Lage? Stellen wir uns vor, da säßen sie alleine im Wohnzimmer, kleinlaut und verunsichert. Sie haben gemerkt: Ihnen ist etwas Wichtiges abhanden gekommen. Niemand weiß so genau, was und warum. Aber das Leben wirkt auf einmal so schutzlos und so nutzlos. Die Zeit der Liebe ist verflogen. Das alte Recht gilt nicht mehr. Die Leute bekommen Angst. Sie fragen sich: Was können wir tun, um Gott wieder zu finden? Und um ihn wieder für uns zu gewinnen?
Sie haben eine Idee, die heute eigenartig anmutet. Doch damals war ganz normal, was den Leuten einfiel - tägliche Praxis in vielen Religionen. Das Volk Israel möchte Gott zurückgewinnen und gnädig stimmen. Sie wollen ihm opfern. „Du, unser Gott, schau her, was wir dir schenken möchten: Unsere besten Tieren legen wir auf deinen Altar. Das Beste, was wir haben, ist gerade gut genug für dich. Und wenn es sein muss, dann opfern wir dir sogar unsere Kinder. Alles wollen wir dir geben, damit du siehst, wie ernst es uns ist mit unserer Reue.“ So berichtet der Prophet Micha
„Womit soll ich mich dem Herrn nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Soll ich mich ihm mit Brandopfern nahen und mit einjährigen Kälbern? Wird wohl der Herr Gefallen haben an vielen tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? Soll ich meine Erstgeborenen für meine Übertretung geben, meines Leibes Frucht für meine Sünde?“ (Micha 6,6-7)
Alles wollen sie geben. Alles, was sie haben. Doch damit sind sie auf dem Holzweg. Der Gott der Bibel will von seinem heiligen Volk keine Opfer. Gott will etwas ganz anderes, damals wie heute. In einem einzigen Satz lässt es sich zusammenfassen:
„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ (Micha 6,8)
Das ist ein berühmter Bibelvers, so einfach und doch so schwer. Jimmy Charter machte ihn zu seinem Leitspruch, als er Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wurde.
Musik: Johann Sebastian Bach, Wer nur den lieben Gott lässt walten (Text und Melodie: Georg Neumark), Vocal Concert Dresden, Leitung: Peer Kopp, Orgel: Sebastian Knebel
Der biblische Prophet Micha will das zerrüttete Verhältnis zwischen Gott und seinem Menschenvolk wieder ins Reine bringen. Dafür, so sagt es Micha, müssen die Leute zunächst einmal zwei Dinge beherzigen: Erstens: Haltet Gottes Gebote. Denn das bedeutet hier „Gottes Wort halten“. Und zweitens: Übt Liebe. Etwas fällt auf: Für sich selbst fordert Gott zunächst nichts. Wie bei jedem Liebenden liegt ihm zuerst das Wohl des Geliebten am Herzen. Das menschliche Leben soll gelingen, das wünscht sich Gott. Dafür fordert er zweierlei: Erstens: Haltet die Gebote! Das heißt: Orientiert euch an Gottes Weisungen! Lebt Recht und Gerechtigkeit, denn beides hilft euch, gut und verlässlich miteinander zu leben. Gottes Gebote haben ein Ziel: Den Schutz der Menschen vor Willkür und vor Übergriffen. Das Zusammenleben wird sicherer, wenn die Gebote das Leben schützen.
Der Prophet überbringt auch die zweite Forderung Gottes. Sie lautet: Übt Liebe. Recht und Gerechtigkeit sind gut, aber nicht genug für ein gutes Zusammenleben. Also: Lasst der Liebe untereinander Raum! Lebt Güte, seid achtsam mit den anderen und euch selbst, habt Gemeinschaftssinn, übt Solidarität. Dann lässt der Prophet Micha noch eine dritte Forderung folgen. Erst diese dritte bringt Gott selbst ins Spiel. „Demütig“ sollen die Menschen vor Gott sein. So heißt es in der deutschen Bibelübersetzung. Gemeint ist aber kein unterwürfiger Kniefall. Demütig sein heißt: Verliere Gott nicht aus dem Blick. Schau auf zu ihm, richte dich auf, frage nach ihm! Denn Gott begleitet mit seiner Liebe deinen Weg. Gott will Gutes für dich und dein Leben. Niemand muss sich vor Gott erniedrigen, sich gewissermaßen selbst aufopfern, um sein Verhältnis zu ihm ins Reine zu bringen. Die Menschen sollen ihr Leben gut leben – in Recht und Gerechtigkeit, in Liebe und Freiheit – mit aufrechtem Gang. Das ist die Botschaft des alten Propheten Micha.
Solche Worte wie die des Propheten Micha haben den großen Reformator Martin Luther ermutigt, die Kirche zu verändern. Martin Luther wurde viele Jahre lang von der Frage umgetrieben, wie er mit Gott ins Reine kommen könne. Und ihn bedrängte die Frage, wie die Kirche Menschen helfen könne, mit Gott ins Reine zu kommen. Für Martin Luther war Gott nicht nur enttäuscht und traurig über das Leben der Menschen. Gott war für ihn zornig. Und er war überzeugt, dass man den Zorn Gottes besänftigen müsse. Er versuchte es mit einem frommen Leben, mit vielen Gebeten und Bußübungen. Er fing an, sich aufzuopfern. Aber immer quälte ihn die Angst, dass alles das ja nie genug sein kann.
Eines Tages überkam ihn beim Lesen der Bibel eine wunderbare Erkenntnis: Gott will keine Opfer. Das hatte schon der Prophet Micha genau so gesagt, aber vielleicht muss das auch jeder für sich in seinem eigenen Leben immer wieder neu entdecken: Gottes Liebe lässt sich nicht erkaufen – wie das zu Luthers Zeiten mit den berühmten Ablassbriefen der Kirche angeboten wurde. Nein, Gottes Liebe kann ich gewinnen, wenn ich nur darauf vertraue, dass er für mich da ist. Denn Gott ist nicht Zorn, sondern Gott ist Liebe. Deshalb ist er selbst Mensch geworden. Mit seinem Sohn Jesus Christus hat er gezeigt, dass er für uns da ist und immer da sein wird – auch im Tod und über den Tod hinaus. Luther hat das so verstanden: Gott ist mit uns im Reinen. Sorge dich nicht darum, ob du Gott gefällst. Lebe mit Gott dein Leben! Sorge dich darum, dass du dein Leben gut lebst mit den Menschen um dich herum, denn „es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist, nämlich Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“
Musik: Heinrich Schütz, Wohl denen die da wandeln (Text Cornelius Becker), Rundfunkchor Berlin unter Simon Halsey
Mit Gott ins Reine kommen – das hat den Propheten Micha bewegt und Martin Luther auch, und mit ihnen viele Menschen zu unterschiedlichen Zeiten. Aber: bewegt das auch heute noch jemanden? Scheint das heute nicht für viele befremdlich. Wozu mit Gott ins Reine kommen? Ist es nicht viel wichtiger, mit sich selbst im Reinen zu sein? Wozu braucht man da Gott? Hauptsache, ich genüge meinen eigenen Ansprüchen. Aber das, so meine Erfahrung, macht die Sache nicht einfacher. Eher im Gegenteil, es macht sie schwieriger. Denn nun hat man das Beziehungsdrama mit und in sich selbst. Wie schafft man das, mit sich ins Reine zu kommen? Wer ehrlich mit sich selber ist, der ist mit sich selbst auch der strengste Richter. Wann ist das Leben so, wie es sein soll? Wann ist der Punkt erreicht, an dem ich zu mir sagen kann: Ich habe mein Lebensziel erreicht, ich habe mir nichts vorzuwerfen und nichts zu bereuen?
Rein äußerlich nehmen das für sich viele in Anspruch. Aber hinter mancher selbstsicheren Fassade sitzt die Unsicherheit tief. Wovon erzählen Menschen stolz? Wofür reiben sie sich auf? Was beklagen sie, wenn es fehlt? Daran kann man erkennen, wann und wie sie mit sich ins Reine kommen. Stichwort „Geld verdienen“: Warum macht es vielen Menschen, Frauen wie Männern, so viel aus, wenn sie sich - in Anführungsstrichen - „nur“ um die Kinder kümmern und kein eigenes Geld verdienen? Klar: Manchen liegt das einfach nicht, ihnen fehlt die Arbeit. Aber andere sind eigentlich gerne zuhause. Trotzdem fehlt es ihnen, das Verdienen von eigenem Geld. Sie fühlen sich als Kostgänger. Als sei ihr Mutter- oder Vatersein nichts wert. Geld verdienen – darin zeigt sich für viele heute gelingendes Leben.
Stichwort „Karriere machen“: Was reizt viele Führungskräfte daran, immer weiter aufzusteigen und sich dafür bis zum Letzten zu verausgaben? Sie geben viel für ihre Karriere, für mehr Geld, für mehr Ansehen, für mehr Macht. Ja, Macht und Einfluss – darin zeigt sich für viele heute gelingendes Leben. Stichwort „Attraktiv sein“: Warum streben viele Männer heute danach, möglichst muskulös zu sein? Und warum wollen so viele Frauen auch beim Älterwerden jung und sexy aussehen? Weil makelloses Aussehen und Jugendlichkeit für viele heute zum gelingenden Leben gehört. Das und manches mehr tun viele, um mit sich und ihrem Leben ins Reine zu kommen. Wenn man nicht selbst davon betroffen ist, dann mag manches davon tragisch aussehen, manches komisch, und früher oder später ist jeder dieser Wege zu Ende.
Schön, reich, mächtig, fleißig, erfolgreich – all das ist sehr anstrengend. Es kostet viel Kraft und Zeit. Dafür werden viele Opfer gebracht. Es gibt eine Menge moderner Altäre, auf denen die Menschen heute ihre Opfer an Zeit und Lebenskraft bringen. Und das alles ist gar nicht weit entfernt von dem, was der Prophet Micha von den damaligen Menschen im Volk Gottes berichtet. Auch sie gaben ihr Bestes, um ihr Leben ins Reine zu bringen. Nur ist es heute kein Gott mehr, dem solche Opfer gebracht werden. An seine Stelle ist das Selbstbild vom gelingenden Leben getreten und die Wertschätzung durch andere. Letztlich der Versuch, sich mit viel Aufwand und Einsatz selbst zu beweisen: Ich bin gut, ich kann bestehen vor meiner eigenen Lebensbilanz. Und vor den Augen der anderen. Vielleicht sogar bis hin zu Gott. Aber wenn die Attraktivität verblasst, wenn Leistung sich nicht auszahlt oder wenn der Arbeitsplatz verloren geht, wenn die eigenen Kräfte weniger werden, was dann? Die modernen Zahlungsmittel des Lebensleistungsdrucks sind nicht unbegrenzt verfügbar! Was hilft, wenn ich mir eines Tages nicht mehr selbst helfen kann?
Musik: Jun Nagao, Quator de Saxophones Chercher, Mobilis Saxophone Quartet
Wie komme ich mit meinem Leben ins Reine? Was macht mein Leben wertvoll, vor mir, vor den anderen und vor Gott? Wenn weder Arbeit noch Kraft noch Geld noch Attraktivität das wirklich bieten: Was bleibt dann zu tun? Der Prophet Micha wusste schon vor bald 3000 Jahren Rat:
„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ (Micha 6,8)
Micha benennt, was im tiefsten Grund wirklich zählt. Es sind die Gebote Gottes, es ist die Liebe und es ist das Vertrauen zu Gott. Die drei gehören zusammen wie drei feste Fundament-Teile, die das Leben in der Balance halten. Gottes Gebote zielen darauf, dass Menschen verlässlich und gerecht zusammenleben. Sie gewinnen unter anderem Gestalt in Recht und Gesetz. Aber wenn Menschen nur nach Recht und Gesetz leben - ohne Liebe -, dann kann es schnell kalt und unbarmherzig werden. Und umgekehrt: Menschen, die sich nur an der Liebe orientieren und alle Regeln missachten, handeln schnell willkürlich und unberechenbar.
Das gilt nahezu überall. Bei den Flüchtlingen, etwa aus Afrika, die in ihrer Verzweiflung in klapprigen Booten über das Mittelmeer kommen und dabei ihr Leben riskieren. Oder die ihre Heimat Syrien verlassen, weil sie das gegenseitige Niedermetzeln der Bürgerkriegsparteien nicht mehr aushalten. Wer hier nur nach Recht und Gesetz vorgeht, der übersieht die menschlichen Tragödien, die sich in den Schicksalen vieler Flüchtlinge abspielen. Aber wer ausschließlich sein gutes Herz sprechen lässt, wird das Problem der Flüchtlinge auch nicht lösen. Nur beides zusammen kann einen Weg weisen. Das gilt auch in der Erziehung. Wer seine Kinder nur mit Strenge und Konsequenz erzieht, wird sie verängstigen. Aber wer seine Kinder nur mit einem weichen, liebenden Herz erzieht, wird sie haltlos machen. Erst beides zusammen gibt ihnen genügend Orientierung und Selbstsicherheit. Das gilt auch zuhause für die Beziehung. Wer darin nur auf sein Recht schaut, wird den Partner aus den Augen verlieren. Wer dagegen vor lauter Liebe nur auf das Wohl des anderen schaut, wird sich selbst verlieren – und damit letztlich auch den Partner. Beide müssen zu ihrem Recht kommen, beide müssen lieben und geliebt werden.
Recht und Liebe. Nach den Worten des Propheten Micha gewinnt beides seine Kraft auf dem Dritten: aus der Beziehung zu Gott. Die aber kann sich niemand von uns erarbeiten. Die können wir auch nicht von uns aus ins Reine bringen. Die hat Gott für uns ins Reine gebracht. Wir können uns an ihr und in ihr immer neu orientieren, indem wir darauf vertrauen, dass seine Liebe unser Leben geschaffen hat und dass seine Liebe unser Leben trägt und erhält – im Erfolg und im Scheitern, in Glück und Unglück, im Leben und im Tod und darüber hinaus.
Musik: Felix Mendelsohn Bartholdy, Sehet welch eine Liebe, Kammerchor Stuttgart und Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter Frieder Bernius