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Eine Sendung von

Pfarrer, Berlin

Gottes Geist nimmt Wohnung in der Welt

Gottes Geist nimmt Wohnung in der Welt

Weihnachten hat die Krippe und die vielen Lichter. Ostern hat das leere Grab und blühende Zweige. Und was hat Pfingsten? Nichts. Da gibt es nichts, was wir anschauen könnten. Inzwischen gibt es nur noch in wenigen ländlichen Gegenden volkstümliche Bräuche an Pfingsten - wie an Weihnachten den Weihnachtsbaum oder an Ostern die Ostereier. Der Gottesgeist lässt sich nicht fassen, um den es an Pfingsten geht. Und darum ist Pfingsten schwer zu begreifen. Auch die biblischen Geschichten und Berichte tun sich schwer zu verdeutlichen, wie das eigentlich ist mit Pfingsten: Es geht schon darum, dass Gottes Geist kommt. Dass Gott kommt, in die Welt hinein. Aber ist Gott denn nicht schon immer irgendwie da?

Oft greifen die biblischen Autoren zu Vergleichen und Bildern: Bei der Taufe Jesu zum Beispiel heißt es: Der Geist kommt als eine Taube in die Welt hinab und auf Jesus herab. Aber - der Geist ist eben keine Taube. Beim Pfingstwunder in Jerusalem sind es Zungen und Feuer, die sich auf die Häupter der Versammelten niederlassen. Dazu gibt es ein Brausen und einen gewaltigen Wind. Womöglich kann man Gottes Geist mit Feuer und Wind vergleichen. Aber - der Geist Gottes ist eben kein Feuer, und er ist auch kein Brausen und kein Wind. Wir scheinen keine Sinne zu haben, die Gottes Geist fassen können. Das bedeutet nicht, dass es ihn nicht gibt, sondern es heißt lediglich: wir können ihn nicht festnageln, wir können ihn nicht definieren, eingrenzen, wir können ihn nicht festhalten. „Der Geist weht wo er will…“

Musik: Johann Sebastian Bach, Concerto in G-Dur, Presto

„Der Geist weht wo er will…“ Und es bleibt tatsächlich nur, - wie es die Bibel tut - in Bildern von ihm zu sprechen. Bilder machen für uns zwar etwas anschaulich, aber sie treffen das Gemeinte immer nur ungefähr. Bilder sind nie das Original, immer nur ein Abbild. So bleiben Bilder, in denen wir reden, nur Versuche, das Unbeschreibliche zu beschreiben. Die für mich schönste und passendste Verbindung von Pfingsten, Gottes Geist und unserem Tun ist die Musik und der Gesang. Denn wenn wir singen und musizieren, ereignet sich Einmaliges, Unwiederbringliches. Nie wieder wird ein Lied genau so erklingen, wie ich es gerade singe.    Oder beim Idsteiner Jazz-Festival, das ich sehr mag. In vier Wochen findet es wieder statt. Wenn dort die letzten Töne des Saxophons verklungen sein werden, dann sind sie unverfügbar vorbei.

So ähnlich stelle ich mir das Wirken von Gottes Geist vor. Er weht, wo er will. Er führt Menschen zusammen. Er schenkt Glauben. Aber – verfügbar ist er nicht. Die Bibel beschreibt mit einem besonderen musikalischen Bild, dass Gottes Geist anwesend ist: „Gott thront auf unseren Lobgesängen“. Gott thront auf der Musik und den Gesängen der Menschen. Er bekommt einen Ehrenplatz in der Welt, oder viel besser: sollte diesen bekommen. Wir Menschen, sagt die Bibel, sind aufgefordert, Gott die Ehre zu geben.

Wie geht das eigentlich: „Gott die Ehre geben“. Soll man den Hut ziehen? Oder einen Diener machen? Oder einen Hofknicks, wenn Gottes Majestät vorüberzieht - oder wie ist das eigentlich zu verstehen? Da Gott ganz anders König ist als weltliche Machthaber, kann es das alles ja nicht sein. Es muss anders gehen.

Man kann jemanden dadurch ehren, dass man ihm einen Ehrenplatz anbietet. Ein Ehrenplatz ist ein Platz an zentraler Stelle. Ganz vorne zum Beispiel, da ist immer freigehalten für die Ehrengäste, oder ganz oben. Oder ganz in der Mitte. Auf jeden Fall ein Ort, an dem der Betreffende gute Sicht hat und von allen gesehen wird. „Ansehen“ ist ja ein anderes Wort für Ehre. Ein Ehrenplatz vermittelt Ansehen. Der, der ihn inne hat, wird von allen gesehen und sieht alle. Er hat Ansehen. Ehre. Die Bücher des Alten Testaments sprechen an manchen Stellen von einem besonderen Ehrenplatz. Er wird gebaut aus menschlichen Stimmen und Musik.

Musik: Johann Sebastian Bach, Komm, Gott Schöpfer, heiliger Geist, Domkantorei Schleswig

Für mich heißt Pfingsten: Gottes Geist nimmt Wohnung in der Welt. So wie es in dem biblischen Bild heißt: „Gott thront auf unseren Lobgesängen.“ Gott thront, das heißt, er soll einen Ehrenplatz bekommen unter den Menschen. Wie aber kann man Gott einen solchen Platz verschaffen? In frühen Zeiten, so erzählt das Alte Testament, hatte Gott diesen Ehrenplatz in der Welt, mitten unter seinem Volk: Es ist die Bundeslade. Die Bundeslade war nicht nur ein Kasten für die Gesetzestafeln, sondern auf ihr knieten geschnitzte Cherubine, Engel, die den Thron des unsichtbaren Gottes hielten. Das Volk Israel zog mit diesem Thronsitz durch die Wüste ins gelobte Land, mit diesem Platz für Gott in ihrer Mitte. Sie wussten sich von dieser Mitte behütet und gesegnet.

Später, so erzählen andere alttestamentliche Schriften, zweifelten dann einige, ob solch eine materielle Vorstellung von einem Thron Gottes überhaupt möglich sei. Selbst wenn es der Tempel in Jerusalem wäre, jener Platz, den man Gott hinrückt mit der Bitte: „Sei doch in unserer Mitte!“ „Nein“ sagten da einige. Es setzte sich im Volk Israel jener ganz andere, wunderbare Gedanke durch, eben: „Gott, du thronst über unseren Lobgesängen“ (Psalm 22, 4).

In der Tat, dieser Thron ist besonders. Nichts so Materielles wie die Bundeslade. Ja, noch weniger materiell als die berühmten Wolken, über denen Gott wohnen soll. Es ist ein Thron aus Musik! Diesen Thron vergleiche ich mit der Lerche, die auf ihrem Lied in die Lüfte steigt. Man kann dieses Lied wahrnehmen, ganz deutlich. Es kann einen entzücken, auch wenn man das Lied nicht sieht. Man kann es auch irgendwie verstehen, auch wenn es keine Worte hat. Genau so ist die Musik und der Gesang ein Ehrenplatz Gottes in unserer Welt. Ein Ehrenplatz, den ihm außer Menschen auch die Engel errichten - und die singen sprichwörtlich schön. Wie z.B. in der Weihnachtsgeschichte: „Ehre sei Gott in der Höhe...“ „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut...“

Musik: Johann Sebastian Bach, Allein Gott in der Höh sei Ehr, Domkantorei Schleswig

Pfingsten heißt: Gott kommt in seinem Geist und nimmt mitten unter den Menschen Platz. Er ist kein ferner Gott, sondern einer, der bei den Menschen sein will. „Gott thront auf unseren Lobgesängen“, sagt die Bibel so schön. Gott nimmt auf unseren Liedern gern Platz. Warum das so ist, weiß eigentlich niemand zu sagen. Es ist eben so. Und so, wie es ist, ist es wunderbar. Wer weiß schon, warum das Wasser glitzert und funkelt im Sonnenschein? Aber es ist so, wenn Sonnenlicht Wasser berührt. Und wenn Gott auf unseren Lobgesängen Platz nimmt, ereignen sich Wunder.

Ein Beispiel: An kirchlichen Feiertagen finden oft Konzerte statt. Es erklingt Johann Sebastian Bach: Wie an Karfreitag die Matthäuspassion oder die Johannespassion. Wenn Sie da nicht nur den Chor und die Solisten anschauen, sondern auch die Zuhörer: da sehen Sie, wie sich Gesichter verwandeln. Viele sind betroffen, manche erschüttert, einige weinen sogar. Und das bei Menschen, die wir in der Mehrzahl zwar als kulturbeflissen, aber auch als Kirchenferne kennen. Die nur selten in den Gottesdienst gehen. Aber auf einmal kommt Gottes Geist zu ihnen, kommt bei ihnen an, über diese Musik. Die Musik, über die Johann Sebastian Bach das berühmte „soli deo gloria“ geschrieben hat, zu deutsch: „Allein Gott die Ehre“.

Musik: Felix Mendelsohn Bartholdy, Alles was Odem hat, Westfälisches Blechbläserensemble

Was an Pfingsten geschieht, beschreibt das Bild vom Thron Gottes, der in der Welt aufgerichtet wird, so dass er mitten unter uns sein kann. Gott thront hier, er hat einen Ehrenplatz bekommen, einen Thron aus unseren Lobgesängen. An allen Enden soll Gottes Lobgesang hörbar sein. Für mich gibt es keinen schöneren Thron Gottes als den der Musik. Mit der Musik von Johann Sebastian Bach zum Beispiel bauen viele Menschen auf der ganzen Welt den Thron Gottes auf. Auch Menschen, die unsere Sprache nicht sprechen oder unseren Glauben nicht teilen. Sie bauen ihn auf in ihren Theatern und Sälen, und wenn er steht, geschieht es, dass Gott hereinkommt und Platz nimmt. Mitten unter ihnen.

Wenn das geschieht, sagt niemand mehr: „Ach, die Kirche ist kalt, oder lieblos oder verkopft! Sie müsste mehr gefühlsbetont sein, warm, und zu Herzen gehend.“ In der angeblich so kühlen und vernunftbetonten evangelischen Kirche ist unglaublich wunderbare Musik entstanden, die Menschen aller Kulturkreise verzaubert. Da ist eine Musik aufgebrochen, die strahlend hinauf reicht bis zu den Sternen. Dazu gehören auch die schönen Choräle und Gesangbuchlieder, allen voran die unübertroffenen Paul-Gerhardt-Lieder.

Musik: Hans Peter Springer, Wie lieblich ist der Maien

Gottes Geist nimmt in unserer Welt Wohnung ein auf den Lobgesängen, auf der Musik. Deshalb lässt es nicht kalt, wenn immer weniger gesungen wird. Vielleicht nicht in den Konzertsälen. Aber im Alltagsleben wird Gottes Geist immer seltener ein Stuhl hingestellt. Viele Jüngere haben verlernt zu singen. Sie können es einfach nicht. Sie wissen nicht, ihre Stimme einzusetzen. Sie berauben sich einer wesentlichen Ausdrucksform des Menschseins oder werden beraubt, weil es ihnen zu wenig angeboten wird. Eine Untersuchung sagt: Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts konnten 90 % der Grundschüler eine Melodie nachsingen. Heute sind es 90 %, die das nicht können.

Dazu kommen noch Scham, Verlegenheit, und vor allem: das fehlende Vorbild. Zum Glück gibt es auch die andere Beobachtung: Immer neue Gospelchöre gründen sich, in der Jugendliche und Ältere zusammen begeistert singen. Und es gibt neue Initiativen, wie zum Beispiel das Projekt „Primacanta“ an Frankfurter Grundschulen, das jedes Kind ermutigen soll, seine eigene Stimme zu erheben beim Singen. Ich erlebe es bei der älteren Generation immer wieder, welch ein Schatz die alten Lieder darstellen, die die alten Menschen noch auswendig kennen und mit brüchiger Stimme mitsingen. Wenn gar nichts mehr geht: Es sind oft die Lieder, die diese Menschen aus ihrer Versunkenheit holen, sie wieder in Bewegung versetzen, wach machen.

Auch da ist die Lerche, dieser Vogel von vielen Frühlingsliedern, ein gutes Beispiel. Forschungen haben ergeben: Lerchen sind nicht zu fangen und nicht zu schlagen, solange sie singen. Dabei sollte man doch meinen, dass eine Lerche, die auf ihrem Lied in der Luft steht, ein nahezu ideales Angriffsziel ist für Habichte und andere Raubvögel. Aber siehe da: Nichtsingende Lerchen, später im Jahr, schlagen Habichte scheinbar mühelos. Eine singende Lerche aber scheint einem Raubvogel zu signalisieren: „Versuch es mal, ich bin topfit“ und blitzschnell taucht sie unter dem Raubvogel weg.

Es steckt eine große Kraft im Singen. Das wusste schon Martin Luther: „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Fröhlichen traurig, die Verzagten herzenhaftig zu machen, die Hoffärtigen zur Demut zu reizen, den Neid und Hass zu mindern.“ Christine Brückner, die bekannte Schriftstellerin aus Hessen, die „Jauche und Levkojen\" und „Nirgendwo ist Poenichen“ geschrieben hat – Christine Brückner hat einmal erzählt, dass sie jeden Morgen noch vor dem Aufstehen zusammen mit ihrem Mann wenigstens eine Strophe eines schönen alten Chorals sänge.

Wäre das nicht eine gute Idee? An jedem Morgen neu Gott gewissermaßen einen Thron hinzuschieben, ihn Wohnung nehmen lassen unter uns, ihm die Ehre zu geben durch ein Lied, auf dem er sich auf seinem Ehrenplatz niederlässt, und zu sagen: „Lieber Gott, sei heute in unserer Mitte?“ – Pfingsten eben nicht nur an Pfingsten, sondern jeden Tag neu.

Musik: Johann Sebastian Bach: Gloria in Excelsis Deo, Chor und Orchester Collegium Vocale Gent, Leitung P. Herreweghe