hr2 MORGENFEIER
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Eine Sendung von

Pfarrer der Evangelisch-methodistischen Kirche, Saarlouis

Macht Glauben glücklich?

Macht Glauben glücklich?

Musikkonzeption: Uwe Krause

„Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück und ich träum davon in jedem Augenblick… Wenn ich wüsst, wo das ist, ging ich in die Welt hinein, denn ich möcht einmal recht so von Herzen glücklich sein.“ Wahrscheinlich kennen Sie dieses Lied der Comedian Harmonists. Es war einer ihrer größten Erfolge. Die Melodie ist wunderschön, das Arrangement, wie immer bei den Comedian Harmonists, fantastisch. Und gut gesungen ist es auch.

Ich bin aber doch überzeugt, dass es vor allem der Text war, der das Lied zum Erfolg gemacht hat. Es geht um die Sehnsucht nach Glück. Und die haben wir alle.

Die Sehnsucht nach Glück. Das Streben nach Glück. Die Amerikaner haben das Recht auf das Streben nach Glück sogar in die ihre Verfassung geschrieben. In der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika von 1776 heißt es: … dass alle Menschen gleich geschaffen sind, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück1 gehören.

Glück als Menschenrecht.

Was ist das eigentlich: Glück? Im Deutschen ist der Begriff ja mehrdeutig. Was genau gemeint ist, entscheidet sich erst durch das Verb, das sich zu dem Begriff Glück gesellt. Glück im Sinne von „Glück haben“ ist etwas anderes als Glück im Sinne von „glücklich sein“. Wenn ich hier im Weiteren vom Glück rede, dann meine ich nicht das Glück, das man hat, wenn man in einer Lotterie gewinnt oder wenn der Freistoß unhaltbar für den Torwart abgefälscht wird.

Es geht ums Glücklich-Sein. Und auch hier muss man noch einmal unterscheiden in Momente des Glücklich-Seins und um das Glücklich-Sein als ein dauerhaftes Lebensgefühl; also das, was man gelungenes Leben nennt.

Dauerhaft glücklich sein ist es etwas anderes als Glücksmomente zu haben.

Glücksmomente erleben wir beim Sex, oder in der Musik, in einem intensiven Naturerlebnis oder durch einen besonderen kulinarischen Genuss.

Was in solchen Glücksmomenten passiert, können die Humanwissenschaften ganz gut beschreiben. Da werden bestimmte Regionen im Gehirn stimuliert und dadurch werden sogenannte Glückshormone ausgeschüttet. Serotonin und Dopamin und noch ein paar andere. Das funktioniert so ähnlich wie Drogen nur eben natürlich, also körpereigen, und ohne Sucht.

Beim Lachen, Lieben, Sport-Treiben, Kreativ-Sein werden besonders viele Glückshormone ausgeschüttet. Deshalb raten viele Therapeuten bei Stimmungseintrübungen genau dazu. Und das ist gewiss kein schlechter Rat.

Am glücklichsten sind wir übrigens, nein, nicht beim Sex, beim Tanzen. Da kommt nämlich alles zusammen: Bewegung, Musik, Berührung und Gemeinschaft.

Eigentlich verstehe ich selbst nicht, weshalb ich so ein Tanzmuffel bin.

Zum Glück gibt es ja noch ein paar andere Dinge, die man tun kann, um glücklich zu sein.

MUSIK

Man kann durchaus einiges dazu beitragen, Glücksmomente zu erleben. Das, zumindest, hat die Glücksforschung ergeben. Psychologen, Neurologen, Genetiker, Soziologen und Ökonomen – sie alle erforschen das Glück. Die Glücksforschung boomt. Und weil das so ist, gibt es auch eine große Zahl von Glücksratgebern. In den Buchläden und natürlich auch im Internet.

Die Frage ist, ob man auf diese Weise auch dauerhaftes Glück erfahren kann, also gleichsam lernen kann, einüben kann, dauerhaft glücklich zu sein. Ist vielleicht wirklich jeder seines Glückes Schmied?

Zunächst frage ich mich: Wie misst man dauerhaftes Glück?

Klar ist, mit Glückshormonen im Blut hat das nichts zu tun. Die rauschhaften Glücksmomente und dauerhaftes Glück sind zwei ganz verschiedene Dinge. Deshalb reden die Glücksforscher üblicherweise auch gar nicht von dauerhaftem Glück. Sie reden stattdessen von Zufriedenheit und Wohlbefinden und von Lebensqualität. Oder eben vom gelungenen Leben.

Wie aber misst man das? Nun, einfach indem man die Menschen fragt, wie zufrieden sie mit ihrem Leben sind.

Ein solches Messverfahren ist natürlich nicht hundertprozentig genau; gibt aber doch ein ziemlich klares Bild mit präzisen Ergebnissen.

Erstens, Geld macht nicht glücklich. Aber das haben wir irgendwie ja schon immer gewusst. Sobald die Grundbedürfnisse befriedigt sind, macht mehr Geld nicht glücklicher. Jedenfalls nicht dauerhaft. Im internationalen Vergleich belegt unser reiches Land in der durchschnittlichen Zufriedenheit seiner Menschen Platz 33. Immerhin. Am glücklichsten aber sind die Menschen im armen Nigeria.

Zweitens, Glück kommt selten allein. Funktionierende soziale Beziehungen machen glücklich. Auch das überrascht nicht. Dabei sind Freunde wichtiger als Familie. Scheidung übrigens ist in vielen Fällen ein ausgesprochener Glückskiller.

Der größte Glückskiller ist Arbeitslosigkeit. Umgekehrt heißt das, Arbeit macht glücklich. Eine Aufgabe haben, Anerkennung erfahren, am sozialen und gesellschaftlichen Leben teilhaben – all das läuft zu einem guten Teil über die Arbeit. Auch über ehrenamtliche Arbeit.

Und weiter: Glück braucht Ordnung. Das Gefühl, dass einem die Dinge über den Kopf wachsen und man nur noch auf Sicht navigiert, macht Stress. Und Stress ist auch ein Glückskiller.

Schließlich sagen die Glücksforscher: Werden Sie Teil von etwas, das größer ist als Sie. Partei, Kirche, Arbeiterwohlfahrt, was auch immer.
Teil von etwas Größerem werden, setzt voraus, dass man sich selbst eben nicht für den Größten oder die Größte hält; dass man auch die eigenen Grenzen realistisch einschätzt. Das entlastet und bewahrt vor Enttäuschungen.

Und eigentlich hätten wir so die wesentlichen Zutaten zum Glück.
Von Geld nicht zu viel erwarten.
Beziehungen pflegen.
Sich einer Aufgabe widmen.
Ein Mindestmaß an innerer und äußerer Ordnung halten.
Teil von etwas größerem Ganzen werden und sich selbst nicht zu wichtig nehmen.

Der eine oder andere Glücksratgeber garniert dieses Rezept noch mit einer extra Prise Kultur oder der Fähigkeit, zu genießen. Mit diesem oder mit jenem.

Um ehrlich zu sein: So ganz weltbewegend erscheint mir das alles nicht. Das alles ist letztlich kaum mehr, als viele über Lebenskunst schon immer wussten.

Und weil das so ist, werden die Menschen wohl auch in Zukunft nicht signifikant glücklicher sein, als sie es heute sind. Gewiss kann es immer wieder hilfreich sein, sich auf diese Grundregeln der Lebenskunst zu besinnen.

Aber es scheint doch so, und auch das ist ein Ergebnis der Glücksforschung, dass jeder Mensch sein persönliches Glücksniveau hat, auf dass er sich immer wieder einpendelt. Nach dem Lottogewinn ebenso wie nach der Beinamputation.

Hans im Glück ist eben immer glücklich und Rumpelstilzchen kann nur rumpeln.

Die Glücksforscher nennen das den Set-Point. Und der ist letztlich genetisch gesetzt. Der Verhaltensgenetiker David Lykken meint: „Es mag sein, dass der Versuch, glücklicher zu werden, genau so vergeblich ist wie der Versuch, größer zu werden“.

Dass in über 100 Schulen in Deutschland mittlerweile Glücksunterricht angeboten wird, erscheint vor diesem Hintergrund fragwürdig. Jedenfalls macht der Glücksunterricht nicht glücklich. Eine wissenschaftliche Begleitstudie ergab sogar, dass die Schülerinnen und Schüler durch den Glücksunterricht tendenziell unglücklicher werden. Begründung: Durch Vertrauens- und Kommunikationsübungen, durch Meditation und Kreativität werden sie sensibler. Und damit auch anfälliger für Stimmungen. Man wird sagen können, sie gewinnen an sozialer Kompetenz. Und das spricht entschieden für solche Übungen. Glücklicher aber werden sie nicht. Durch Glücksunterricht glücklicher wurden nur die Schülerinnen und Schüler, die auch zuvor schon als ausgesprochene Frohnaturen galten.

Ich bin gespannt, welche Erkenntnisse die Glücksforschung noch zu Tage bringen wird.

Interessant ist übrigens, welche Wissenschaften sich nicht mit Glücksforschung befassen: Die Philosophie nämlich und die Theologie.

MUSIK

Für die heutige Philosophie und Theologie scheint Glück bestenfalls ein Randthema zu sein.

Das war nicht immer so. Die größten Köpfe der abendländischen Geistesgeschichte haben sich intensiv mit der Frage nach dem Glück befasst.
Für Platon ist Glück die Teilhabe am Guten und Vollkommenen.
Für Aristoteles lag Glück in Tugend und Tüchtigkeit
Augustinus meinte, Glück ist Gott haben und Dasein für den Mitmenschen.
Thomas von Aquin sah das Glück darin, die Gebote Gottes zu halten.
Glück heißt den Begierden folgen. Glück ist ein Höchstmaß an Vergnügen, sagten wieder andere.

Und Martin Luther, wie könnte es anders sein, sagte: Glück ist, dass wir einen gnädigen Gott haben.

Bei so vielen namhaften philosophischen und theologischen Vordenkern ist es schon erstaunlich, dass die Frage nach dem Glück heute in der Theologie so stiefmütterlich behandelt wird.

Insbesondere auch deshalb, weil Glauben ja angeblich glücklich macht. Auch die moderne Glücksforschung betont die Bedeutung von Spiritualität. Wobei sie darunter jede Form der Erfahrung meint, bei der ich etwas erlebe, was über mich selbst hinaus weist; also auch intensive Naturerfahrungen und jede Form von Esoterik.

Aber dass religiöse Menschen glücklicher sind und länger leben als nicht religiöse, galt lange als erwiesen. Neuere Untersuchungen haben allerdings ergeben, dass das so nicht stimmt. Den Zusammenhang von Glauben und Glück gibt es nur da, wo Glauben grundsätzlich noch als positiver Wert wahrgenommen wird. Dann nämlich erfährt man Anerkennung dafür dass man glaubt. Und macht beglückende Gemeinschaftserfahrungen in der Gemeinde derer, die diesen Glauben teilen. Überall da aber, wo religiöse Menschen in einer deutlichen Minderheitensituation sind, vielleicht sogar angefeindet werden, gibt es diesen Glückseffekt des Glaubens nicht. Doch Glauben ist auch kein Mittel zum Zweck. Auch kein Mittel zum Glücklich-Sein.
Aber natürlich hat der Glauben auch etwas mit dem Glück zu tun.
Wie ist das mit Glauben und Glück?

MUSIK

Wie ist das mit Glück und Glauben?
In der Bibel findet sich der Begriff Glück nur 34 Mal. Davon kein einziges Mal im Neuen Testament.

Und auch im Alten Testament ist nicht durchgängig vom Glück die Rede. Die meisten Belegstellen finden sich in der sogenannten Weisheitsliteratur, also im Buch der Sprichwörter, beim Prediger Salomo und in einigen der Psalmen.

Und in der Erzählung von Hiob. In der Geschichte des Mannes also, der ein gerechtes, Gott wohlgefälliges Leben führte und - ganz nach der Glaubensüberzeugung seiner Zeit - von Gott dafür belohnt wurde: Mit Familienglück und Wohlstand und Gesundheit. Und der das dann alles verliert, wegen einer unsäglichen Wette Gottes mit dem Teufel. Gott will dem Teufel beweisen, dass Hiob auch dann noch fromm bleibt, wenn ihm alles Glück genommen wird. Und Hiob bleibt fromm. Aber anders, als Gott sich das gedacht hat. Hiob übt sich nicht in frommer Ergebung, sondern in frommem Aufstand. Gerade so bleibt er Gott treu, als Gott sich selbst untreu geworden war, indem er mit dem Teufel wettete. Am Ende bekommt Hiob seine Gesundheit und seinen Wohlstand zurück. Und er findet auch ein neues Familienglück.

Aber ein richtiges Happy End ist das natürlich nicht. Dafür gibt es zu viele Opfer. In der Geschichte selbst. Allen voran die erste Familie Hiobs. Die bleibt auf der Strecke.

Und auf der Strecke bleibt auch die Gewissheit der Frommen, dass Glück der Lohn für ein gottgefälliges Leben sei.

Wenn ich die Geschichte von Hiob recht verstehe, dann drückt sie die tiefe Skepsis aus, dass Glück, dass Zufriedenheit irgendwie zuverlässig und dauerhaft machbar sei, mit welchen Lebensregeln und welcher Lebenskunst auch immer. Dann sagt sie, dass Glück letztlich immer unverfügbar bleibt und damit verletzlich und brüchig und fragmentarisch.

Die Geschichte von Hiob sagt vor allem, dass das gar nicht anders sein kann. Weil die Welt so ist, wie sie ist.

Theologisch ausgedrückt, weil die Schöpfung Gottes noch nicht an ihrem Ziel ist. Gott ist noch nicht fertig.

Trotz allem kennt auch die Bibel Beispiele gelungenen Lebens. Und nichts spricht dagegen, in Gott den Geber des Guten zu sehen und dankbar zu sein.

Auch das Neue Testament kennt diese Vorstellung, obwohl der Begriff Glück nie verwendet wird.

So lassen sich etwa die Seligpreisungen der Bergpredigt durchaus auch als Anleitung zur Lebenskunst und also zum Glück lesen: Selig ist, glücklich ist, wer Frieden stiftet, wer nicht auf Gewalt setzt, sondern sanftmütig ist, wer sich um Gerechtigkeit müht, wer dem Leiden standhält.

Aber das ist doch eine andere Lebenskunst als die der Glücksratgeber. Die Seligpreisungen versprechen eben nicht: Wer dieses tut und jenes nicht, der wird dauerhaft zufrieden sein.

Die Seligpreisungen verheißen Anteil an Gottes zukünftiger Welt: Selig sind, glücklich sind, die solches tun, denn ihrer ist das Himmelreich.

Für diese Verheißung steht der Name Christi. Gott überlässt die Welt nicht sich selbst. Er nimmt sich die unfertige Welt zu Herzen, anders als bei Hiob; er teilt ihr Leben, teilt ihr Leiden bis hin zum Tod. Und überwindet sie.

Ja, es geht um Glück. Aber es ist das Glück der Hoffnung.

Hoffnung hat man nicht einfach. Hoffnung wird gelebt.
Und indem sie gelebt wird, wird sie wirklich.
Wo die Hoffnung auf Gottes zukünftige Welt gelebt wird, da wird sie erlebbar.
Als Frieden und Gerechtigkeit und Versöhnung inmitten dieser Welt, die so ist, wie sie ist.

Wo die Hoffnung gelebt wird, da gibt es Glück.
Vorläufig, brüchig, fragmentarisch.

Das ist viel mehr als nichts.
Aber es ist noch nicht alles.
Alles kommt erst noch.