Glück und Glaube
Was könnte schöner sein, als stets von Glück erfüllt zu sein? Doch leider haben wir bei unserer Geburt keinen Garantieschein für ein glückliches Leben in die Wiege gelegt bekommen. Das ist eine betrübliche Wahrheit. Mit ihr müssen wir leben. Das heißt nun aber nicht, dass es kein glückliches Leben gibt! Die Zeiten des Glücks sind allerdings kostbar. Sie schenken unserem Leben Erfüllung und Frieden. Nur ist das Glück nicht berechenbar, und man kann es auch nicht kaufen. Aber man kann dem Glück im Wege stehen. Doch ein offenes Herz ist empfänglich für das Glück. Das ist wie mit der großen Schwester des Glücks, der Liebe.
Unser Glück auf Erden ist ein Abglanz des Paradieses, wie es die Bibel auf ihren ersten Seiten schildert. Da erschafft Gott den Adam. Der ist jedoch erst einmal allein in dem wunderschönen Garten. Ob er sich irgendwann mal gelangweilt hat? Er hatte schließlich niemanden, mit dem er sprechen konnte. Aber dann ist Eva da, ein Gottesgeschenk. Und Adam ist restlos glücklich. „Das ist doch endlich Fleisch von meinem Fleisch!“, jubelt er. Freilich, wir wissen es, die Beiden verspielen ihr Glück. Sie werden aus dem Paradies vertrieben und können von einem Glück ohne Ende nur noch träumen. Stattdessen hat sie die irdische Wirklichkeit im Griff mit Arbeit, Schmerzen und Tod. Das Glück aber ist kostbar geworden.
Glück und Dankbarkeit gehören zusammen. Dazu hat der Dichter Matthias Claudius ein Gedicht geschrieben. Es heißt „Täglich zu singen“:
Ich danke Gott und freue mich / wie’s Kind zur Weihnachtsgabe,
Dass ich bin, bin! Und dass ich dich, / schön menschlich Antlitz habe;
Dass ich die Sonne, Berg und Meer / und Laub und Gras kann sehen
Und abends unterm Sternenheer / und lieben Monde gehen.
...
Ich danke Gott mit Saitenspiel / dass ich kein König worden;
Ich wär geschmeichelt worden viel / und wär vielleicht verdorben.
Auch bet‘ ich ihn von Herzen an, / dass ich auf dieser Erde
Nicht bin ein großer reicher Mann / und auch wohl keiner werde.
Denn Ehr und Reichtum treibt und bläht, / hat mancherlei Gefahren,
Und vielen hat’s das Herz verdreht, / die weiland wacker waren.
Und all das Geld und all das Gut / gewährt zwar viele Sachen;
Gesundheit, Schlaf und guten Mut / kann’s aber doch nicht machen.
...
Gott gebe mir nur jeden Tag, / so viel ich darf zum Leben.
Er gibt’s dem Sperling auf dem Dach; / wie soll‘ er’s mir nicht geben!
„Täglich zu singen“ - Dankbarkeit ist das Fundament eines glücklichen Lebens.
Wann bin ich eigentlich glücklich? Ich nenne einige Beispiele: Wenn ich etwas Schönes geschenkt bekomme. Wenn mein Herz warm und freundlich berührt wird. Beim Besuch meiner Enkelkinder – und selbstverständlich: ihrer Eltern. Wenn ich ein Problem habe lösen können, das mich lange beschäftigt hat. Wenn ich vor einem Unglück bewahrt wurde. Oder aus schwerer Not gerettet wurde. Wenn ich ein friedliches, erfülltes Leben führen kann.
Diese Reihe lässt sich leicht fortsetzen; und ich bin sicher, Jede und Jeder könnte zu dem einen oder anderen Beispiel viel erzählen. Interessanter Weise geht es dabei eigentlich immer um Dankbarkeit, um ein großes Aufatmen: Ich bin dankbar für ein schönes Geschenk, das mich überrascht oder das mir einen großen Wunsch erfüllt. Ich bin dankbar für Menschen, die freundlich zu mir sind, dankbar für Menschen, denen ich im tiefsten Inneren vertrauen kann. Ich bin dankbar, wenn mir noch einmal die Gesundheit gerettet oder gar das Leben wieder geschenkt worden ist. Ich bin dankbar für ein friedliches, erfülltes Leben, weil das alles andere als selbstverständlich ist; ich habe auch schon andere Zeiten erlebt.
Dankbarkeit ist eine Quelle des Glücks. Denn Glück ist nicht einfach da. Manchmal stellt es sich ein, weil mir etwas gelungen ist. Da habe ich einen klugen Einfall, eine vernünftige Idee gehabt. Und das ist manchmal wie ein Geschenk des Himmels. Doch meistens kommt das Glück von außen auf mich zu: Zum Beispiel weil es freundliche oder hilfreiche Mitmenschen gibt.
Und das heißt auch: Ich muss mich beschenken lassen können. Menschen, die sich nichts schenken lassen können, ohne sofort an eine Gegenleistung zu denken, sind schrecklich. Ihr Ich ist wie ein Käfig, in dem sie eingeschlossen sind. Wenn Andere in einer schwierigen Situation den berühmten Strohhalm der Hoffnung finden und sich wenigstens daran klammern, lamentieren sie nur. Sie lieben es, sich zu beschweren, - mit Leidenschaft und über alles Mögliche. Und sei es die Fliege an der Wand. Nur, was kann die Fliege für ihre Unzufriedenheit? Unzufriedene, undankbare Menschen sind eine Plage. Und sind fern vom Glück. Sie verlangen viel, können aber nur wenig geben. Obwohl es doch wahr ist: Geben ist seliger als Nehmen. Das ist eine Regel für das Glück.
Das Glück ist ein leichter, freier Vogel. Der kommt herbei geflogen, kann aber schnell wieder fortfliegen. Deshalb kann man das Glück nicht für sich pachten. Man kann es allerdings teilen. Geteilte Freude ist bekanntlich doppelte Freude. Doch gibt es nicht auch ein persönliches Recht auf Glück? Allerdings, das gibt es! Dieses Recht ist nicht exklusiv; es gilt für alle Menschen. Die amerikanische Verfassung hat für alle Staatsbürger das Recht auf Glück festgeschrieben. Dieses Recht bedeutet zugleich, auch den Mitmenschen Glück zu gönnen. Denn Glück und Egoismus vertragen sich nicht. Wo der Egoismus regiert, da macht das Glück einen weiten Bogen und lässt sich nicht blicken. Egoisten sind natürlich keineswegs immer die Anderen! Da muss ich mich schon an die eigene Nase fassen! Vom Kreisen um das eigene Ich sind wir fast alle mehr oder weniger infiziert.
Ja, es ist viel Kälte in der Welt, Kälte in den Herzen. Gott sei Dank gibt es aber immer wieder Menschen, die Freundlichkeit, Zufriedenheit, Glück ausstrahlen. Bei ihnen können wir uns wärmen; da wird es hell. „Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten“, sagt Jesus, „dann werden sie euren Vater im Himmel preisen.“ Modern gesagt: dann kommt Freude auf. Wenn Andere sich meinetwegen freuen können – das macht auch mich glücklich.
Glück ist ein guter Ausgangspunkt, um über den Glauben nachzudenken. Und dazu ist es gut, auch in der Bibel nachzusehen. Im Ersten Timotheusbrief können wir lesen:
Wir haben nichts in die Welt gebracht; darum werden wir auch nichts herausbringen. Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so wollen wir damit zufrieden sein. Denn diejenigen, die reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Verstrickung und in viele törichte und schädliche Begierden, welche die Menschen versinken lassen in Geldgier und Verdammnis. Denn Geldgier ist eine Wurzel allen Übels; danach hat einige gelüstet, und sie sind vom Glauben abgeirrt und machen sich selbst viel Schmerzen. Aber du, Gottesmensch, fliehe das! Jage aber nach der Gerechtigkeit, der Frömmigkeit, dem Glauben, der Liebe, der Geduld, der Sanftmut. (1.Tim.6,7-11)
Wir erfahren: die Zufriedenheit, eine Schwester der Dankbarkeit, ist der Dreh- und Angelpunkt eines glücklichen Lebens. Wenn wir dem Apostel darin zustimmen, heißt das aber nicht, sich auf dem Sessel der Zufriedenheit behäbig zur Ruhe zu setzen. Ein zufriedener Mensch ist bestens ausgestattet, um einige der wesentlichen Aufgaben des Lebens anzupacken. Der Apostel nennt Gerechtigkeit und Frömmigkeit, Glauben und Liebe, Sanftmut und Geduld. Diese Tugenden müssen geübt und wieder geübt werden. Man hat sie nicht einfach. Ein Sprichwort sagt: Der Weg ist das Ziel. Auf diesem Weg gibt viel zu tun in Sachen Gerechtigkeit, Liebe, Geduld. Der Apostel schrieb: Jage ihnen nach.
Eigentlich logisch, dass Zufriedenheit ein vernünftiger Ausgangspunkt ist. Wer zufrieden ist, sagt der Apostel, hat seinen Egoismus besser im Griff. Das Beispiel der Geldgier ist ja deutlich genug. Jeder braucht Geld; und viel davon ist eine schöne Sache. Aber wie schnell kann die Macht des Geldes zu einer Besessenheit führen. Der Finanzmarkt hält die Beispiele bereit. Geld braucht ein Gegengewicht; es darf nicht herrschen, es soll vielmehr dienen. Und zwar einem menschenwürdigen Leben für alle.
Bleiben wir bei der Zufriedenheit. Zufriedene Menschen sind dankbar. Damit ist Zufriedenheit auch eine gute Schule des Glaubens. Aber das ist ein ganz anderer Glaube als das weithin übliche religiöse Patentrezept. Das sieht meistens so aus: Viele Menschen glauben an Gott, weil sie von ihm etwas erwarten: Er ist doch ein „lieber Gott“ und soll sie beschützen. Er soll ihnen ein langes, gutes Leben garantieren und soll dafür sorgen, dass die Guten belohnt und die Bösen bestraft werden. Deshalb muss man selbst möglichst brav und anständig sein. Dann kann ja nichts mehr schiefgehen.
Leider geht diese Rechnung nicht auf. So wunderbar die Welt auch ist, so unermesslich und voller Herrlichkeiten – sie ist doch gleichzeitig hart und kalt, voller Abgründe und Gefahren. Leben ist immer auch Kampf ums Überleben. Wie hart war das Leben unserer Vorfahren; wie kümmerlich ging es nach dem zweiten Weltkrieg zu. Wieviel unsägliches Elend gibt es in der Welt. Dazu Unfälle und Krankheit, frühen Tod - zum Beispiel der tragische Tod eines Kindes - zerbrochene Ehen und unverschuldete Arbeitslosigkeit, ein Krieg mit seinen Greueln, Naturkatastrophen, - mit einem Schlag haben sie vernichtet, was Menschen mühsam aufgebaut haben. Das kann unmöglich der „liebe Gott“ gewesen sein. Denn was ist an den Schicksalsschlägen „lieb“? Wie oft hört man dann die Frage: Womit habe ich das verdient?
Womit habe ich das verdient? Darauf gibt es keine zufriedenstellende Antwort. Es ist ganz offenbar die falsche Frage. Der Glaube an Gott ist nämlich kein Garantieschein für ein Leben ohne Leid und Schmerz. Gott ist offenbar viel mehr als nur ein „lieber Gott“. Aus seiner Hand kommen Leben und Tod, Licht und Finsternis. Beides! Jenseits von Eden leben wir zwar in einer schönen Welt. Sie hält aber auch Mühsal und Schuld, Schmerzen und Tod bereit. Und – nicht zu vergessen - die finstere Macht des Bösen.
Christlicher Glaube ist deshalb etwas anderes als ein allgemeines religiöses Gefühl: Dass man ein guter Mensch sein soll; und dass es irgendwie einen Gott, eine höhere Instanz gibt. Das war’s dann meistens schon. Christlicher Glaube, der seinen Namen verdient, hat ja wohl mit Jesus zu tun. Vor über vier Jahrzehnten schrieb die Theologin Dorothee Sölle ein berühmt gewordenes Wort:
„Ich halte Jesus von Nazareth für den glücklichsten Menschen, der je gelebt hat. ... Jesus erscheint in der Schilderung der Evangelien als ein Mensch, der seine Umgebung mit Glück ansteckte, der seine Kraft weitergab, der verschenkte, was er hatte.“
Von welcher Kraft ist da die Rede? Es ist die Einheit Jesu mit Gott. „Ich und der Vater sind eins,“ sagt er im Johannesevangelium (Joh.10,30). Noch einmal Dorothee Sölle:
Sein „Leben, das er selber ist, ist nicht abgeschlossen und abgetrennt von dem großen Leben, das er Gott nennt. Er fühlt sich von dem großen Leben so durchdrungen und getragen, so sehr angenommen und geliebt, dass ‚Glück‘ für ihn nicht etwas ist, das man erst herstellen oder besorgen müsste. Das Glück ist ihm immer schon voraus, es ist die Gewissheit seiner Wahrheit.“
(Dorothee Sölle, Phantasie und Gehorsam, 1968, S.63 + 66)
Aus der Einheit mit Gott heraus hat Jesus Glück verschenkt, - an die Unglücklichen, die am Rande der Gesellschaft standen: die Schwachen und Kranken, die Armen und die Verachteten. Ihnen vor allem hat er sich hingegeben, und sie hat er selig gepriesen. Dieser Bestimmung ist er bis in den Tod treu geblieben - gegen den zum Teil erbitterten Widerstand der Mächtigen und der beamteten Tugendwächter. Nach dem Evangelium des Johannes lautet sein letztes Wort am Kreuz: „Es ist vollbracht“. (Joh.19,30) - Seine Anhängerinnen und Anhänger aber haben während ihrer Wanderjahre mit ihm nach und nach gelernt, was Glück bedeutet. Nach seinem Tod hat er sie deshalb ausgeschickt in die Welt. Geht hin in alle Welt, sagt er ihnen, beschenkt die Herzen der Menschen, heilt die Wunden ihrer Seelen. Denn „ich bin bei euch, bis ans Ende der Welt.“ (Mt.28,20)
Vor vielen Jahren schickte mir eine alte, schwerbehinderte Dame ein kleines Gedicht. Das soll jetzt mein Schlusswort sein:
Ich will gut sein / und glücklich machen –
will wandeln Leid / in Dank und Lachen
Ich will Sonnenschein / allen Menschen sein
Dass ein Segen wehe / wo ich geh und stehe.