Wichteltür
In meiner Kindheit und Jugend gab es sie nicht. Die Wichteltür. In Skandinavien kennt man sie schon lange. Da gibt es die Vorstellung, dass kleine, unsichtbare Helfer im Haus wohnen. Sie passen auf Hof und Stube auf. Sie helfen bei der Arbeit. Sie sorgen dafür, dass alles gut läuft.
Eine winzige Tür für den Wichtel
Damit die Menschen die Wichtel nicht stören, stellt man im Advent eine winzige Tür auf. Bunt bemalt, manchmal aus Holz, manchmal aus Pappe. Niemand kann hindurchsehen, aber jeder weiß: Dahinter wohnt jemand. Die Familien stellen dann Kleinigkeiten davor. Ein Schälchen mit Milch, eine Nuss, ein Stück Brot.
Wohnt bei Ihnen auch ein Wichtel?
Mittlerweile gibt es diese Wichteltüren auch bei uns. Und in diesem Jahr habe ich zum ersten Mal selbst eine. Sie steht ganz unauffällig in der Ecke, direkt am Boden. Vor der Tür liegt ein grüner Zweig, daneben eine Mandarine. Wenn ich morgens daran vorbeigehe, bleibe ich hin und wieder kurz stehen. Manchmal hocke ich mich auch auf den Boden oder setze mich. Und plötzlich wirkt der Raum um mich herum anders. Als wäre da noch etwas, was ich sonst nie bemerke.
"Das Warten ist das Beste daran"
An einem Morgen, als ich da so sitze, kommt mein Mann ins Zimmer. Im ersten Moment fühle ich mich richtig ertappt. Ich gebe sicher ein seltsames Bild ab. „Was machst du da?“, fragt er mich erstaunt. „Ich klopfe an die Wichteltür und warte, was passiert.“ „Und?“, will er wissen. „Nichts“, antworte ich, „das Warten ist das Beste daran.“
Er lächelt, verschwindet kurz und kommt mit zwei Tassen Tee zurück. Reicht mir eine, setzt sich zu mir auf den Boden. Wir sagen nichts. Und das müssen wir auch nicht.
Vielleicht sind die kleinen Helfer ja schon längst unter uns
Wir sitzen still vor der kleinen Tür. Es ist friedlich. Und ich denke: Vielleicht wohnen die kleinen Helfer gar nicht dahinter – sondern sind längst hier. In Menschen, die mir guttun. In einer Geste, einem Lächeln, einer stillen Nähe – wie ich sie gerade erlebe, am Boden, vor meiner Wichteltür.