hr1 ZUSPRUCH
hr1
Seeger, Andrea

Eine Sendung von

Evangelische Theologin, Oberursel

00:00
00:00

Streit begrenzen

Ich schaue fern. Wieder mal geht es um Donald Trump. Er kündigt an, üppige Zölle gegen den Rest der Welt zu erheben. Der Moderator erklärt, dass Europa mit Gegen-Zöllen reagieren wird. Ich frage mich: Wo soll das enden? Der Moderator fügt hinzu: „Nun ja: Auge um Auge, Zahn um Zahn...“

Auge um Auge, Zahn um Zahn: Was bedeutet das?

Da scheint er etwas falsch verstanden zu haben. Der Spruch „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ steht im Alten Testament (1.Mose 4,23f.).Er meint eben gerade nicht, einen Streit weiter eskalieren zu lassen, sondern im Gegenteil: ihn zu begrenzen. Es sollte den Einzelnen daran hindern, persönlich Rache zu nehmen. Also loszuziehen, um den anderen zu verprügeln, der wiederum das dann auch tun wird. Eine Endlosschleife folgt.

Den Ältesten und Richtern jener Zeit diente das Gebot als Grundlage, um Recht zu sprechen. Die Strafe sollte „angemessen“ sein, dem Ausmaß der Tat entsprechend. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Die Strafe sollte "angemessen" sein

Und auch, wenn es „Zahn um Zahn“ heißt: Es wurden nicht tatsächlich Zähne ausgeschlagen. Es ging darum, dass der Täter das Opfer angemessen entschädigen muss. Der Grundsatz von damals gilt auch heute noch. Denn auch wir finden es wichtig, eine Tat zu vergelten, eine ausgleichende Gerechtigkeit zu schaffen. Wenn ich eine Beule in das Auto eines anderen fahre, muss ich diesen Schaden in voller Höhe ersetzen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Schwieriger wird es, wenn der Schaden nicht materieller Art ist. Wenn jemand einem anderen Gewalt angetan, ihn gestalkt oder gemobbt hat – welche Strafe ist der Tat angemessen? Antwort gibt unser Rechtssystem. 

Der Versuch wieder gut zu machen was passiert

Schön wäre es auch im Alltag, wenn Menschen klären, was sie tun können, damit alle Beteiligten nach einem Streit einigermaßen gut weiterleben können. Also: Welche Entschädigung muss ich zahlen? Was hilft dem anderen weiter? Das gilt im Kleinen wie im Großen. Ich habe die Nachbarn mit meiner lauten Musik gestört – ich entschuldige mich mit einer Flasche Wein. Und was zwischen Menschen gilt, sollte auch zwischen Staaten Anwendung finden: der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.