Himmelsbürger
Es gibt Menschen, die gehören dem Himmel. Der österreichische Autor André Heller ist so einem Menschen begegnet. In einem seiner Bücher erzählt er davon: Da war dieser ältere Herr in Jerusalem. Ein Jude, der den Holocaust überlebt hat. 1946 ist er nach Israel übergesiedelt.
André Heller in Jerusalem
Heller tritt neben ihn und blickt mit ihm über die Stadt. Ein Gewitter tobt, Blitze zucken, Donner krachen. Es beginnt zu regnen. Der alte Mann sagt: „Irgendein Dybbuk, ein Poltergeist, macht sich im Himmel wichtig.“
Woran kann man glauben, wenn alles verloren scheint?
Als er im Konzentrationslager war, habe ihn alles getröstet, worüber die Nazis keine Macht hatten. Dazu gehörten die Wolken, das Wetter, die Jahreszeiten, der Wechsel von Tag und Nacht. „Die Nazis“, sagt er, „konnten zwar Wälder abholzen, Bäche umleiten oder Wasser vergiften. Selbst Berge konnten sie sprengen. Aber der Mond, die Sonne, das Blitzen und Donnern des Gewitters – das entzog sich ihrem Zugriff.“
Spiritualität als Zuflucht in dunklen Zeiten
Daran habe er immer gedacht, sagt der alte Mann. Er ist in seinen Gedanken dorthin geflohen: In den Wind, das Wetter, die Wolken am Himmel. Wahrscheinlich habe er auch deshalb überlebt. Er greift mit der linken Hand in die Innentasche seines Sakkos und zeigt einen selbstgebastelten Ausweis. Darauf steht: „Himmelsbürger“. Und weiter: „Muss nichts. Darf alles. Widerruf unmöglich.“
Was bedeutet es, ein Himmelsbürger zu sein?
Der Mann erklärt: „Ich tu so, als wäre ich geerdet. In Wirklichkeit bin ich gehimmelt.“ Der Himmel als Ort, an dem das Böse keine Macht hat – was für eine wunderbare Vorstellung. Wie bei dem alten Mann fliehen meine Gedanken auch manchmal dorthin – wenn ich sehe und höre, wie noch heute Menschen leiden unter Gewalt und Verbrechen – überall auf der Erde.
Himmlische Momente im Alltag – wo finden wir sie heute?
Himmlische Momente erlebe ich, wenn ich anderen Menschen nahe bin, aufs Meer schaue oder Musik höre. Dann bin ich auch Himmelsbürgerin: In diesem Titel steckt eine Freiheit, die niemand nehmen kann. Und eine Hoffnung: Da ist eine himmlische Macht, die stärker und größer ist als alles Böse. Manchmal scheint sie durch – bis hierher zur Erde.