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Wörsdörfer, Andreas

Ein Sendung von

Pastoralreferent, Katholische Pfarrei Dom St. Bartholomäus, Frankfurt am Main

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Ernesto Cardenal zum 100sten

Ein ikonisches Bild habe ich im Kopf, wenn ich an Ernesto Cardenal denke, den großen Befreiungstheologen aus Nicaragua. Es ist ein Foto aus dem März 1983: Papst Johannes Paul II. hat damals Nicaragua besucht. Das Bild zeigt, wie Regierungsvertreter ihn begrüßen. Alle stehen Spalier, nur ein kleiner, weißhaariger Mann mit Baskenmütze kniet. Es ist Ernesto Cardenal, der damals Kulturminister, aber auch katholischer Priester war. So wollte er Johannes Paul II. seine Ehrerbietung zeigen. Der aber steht vor ihm mit ausgestrecktem Zeigefinger, droht und maßregelt ihn, wie ein Vater sein kleines ungezogenes Kind. Weil Ernesto Cardenal als Priester Minister in der linksorientierten sozialistischen Regierung der Sandinisten war. Eine öffentliche Demütigung war das.

Aufgewachsen in der Oberschicht, später gründete er eine Komune

Heute wäre Ernesto Cardenal 100 Jahre alt geworden. Er ist in einer wohlhabenden Familie in der Oberschicht Nicaraguas aufgewachsen. Trotzdem ist er früh mit der Situation der Armen und Benachteiligten des Landes in Berührung gekommen. Er hat Literaturwissenschaft, Philosophie und Theologie studiert. Als Dichter hat er sich einen großen Namen gemacht. Und als Revolutionär. Politisch hat er sich schon als Student engagiert und war an der gescheiterten April-Revolution 1954 gegen den Diktator Somoza beteiligt. Später dann hat er eine Kommune gegründet, die nach urchristlichen Vorstellungen ausgerichtet war. Und dort ist auch sein wichtigstes Buch entstanden: „Evangelium der Bauern von Solentiname“.

Marxist und Christ, so hat er sich gesehen

Nach dem Sturz der Diktatur in Nicaragua wurde er Kulturminister der neuen Sandinisten-Regierung. Um eine Revolution ohne Rache ist es ihm gegangen. Und um das Groß-Machen der Kleinen. Er hat sich für eine Kirche eingesetzt, die kapitalismuskritisch ist und radikal an der Seite der Armen steht: seine „Theologie der Befreiung“. Sandinist war er, Marxist und Christ, so hat er sich gesehen. Und genau damit lag er mit Johannes Paul II. und der römischen Kirche über Kreuz. Der hat ihm 1985 verboten, weiter als Priester zu wirken. Bis 2019 musste Ernesto Cardenal das aushalten. Dann hat Papst Franziskus ihn rehabilitiert, nur ein Jahr vor seinem Tod.

Die radikal christliche Überzeugung brachte ihn in Konflikt mit der Amtskirche

Ein kritischer Mensch war er, aufmerksam und nah bei den Menschen, vor allem bei den Benachteiligten. Einer, der radikal nach seiner christlichen Überzeugung gelebt hat, auch wenn er damit mit der Amtskirche in Konflikt kam. Viele hat er damit Hoffnung gemacht, in Lateinamerika und der ganzen Welt. Und mich beeindruckt er bis heute zutiefst, dieser Ernesto Cardenal.