Zwei Jahre nach Fukushima
„An diesem Freitagmorgen wehte eine starke Brise. Wenn Janna-Berta aus dem Fenster schaute, sah sie die jungen Birkenblätter in der Sonne glitzern. Die Schatten der Zweige zitterten auf dem Asphalt des Schulhofs. Über die Pavillondächer schneite es Kirschblütenblätter. Der Himmel war tiefblau. Nur vereinzelte Wolken, weiß und leicht wie Watte, trieben über ihn hin.“
Mit diesen Worten beginnt Gudrun Pausewang ihr Jugendbuch „Die Wolke“. Sie erzählt die Geschichte von Janna-Berta, die durch einen Reaktorunfall schwer verletzt wird und zudem ihre ganze Familie verliert. Das Buch wurde 1987, ein Jahr nach Tschernobyl, veröffentlicht. Vor zwei Jahren kam es wieder auf die Bestsellerliste . Ich möchte sagen: leider - denn ausgelöst wurde das große Interesse an der „Wolke“ durch die Reaktorkatastrophe in Fukushima. Heute, am 2. Jahrestag des Unglücks, ist der Schrecken noch lange nicht vorbei. Es kann noch 40 Jahre dauern, bis das Atomkraftwerk gesichert ist.
So viele Menschen leiden unter den Folgen. Tausende wurden damals evakuiert, mussten alles Hab und Gut zurücklassen. Sie leben heute noch in armseligen Unterkünften, können nur mit einer geringen Entschädigung rechnen. Niemand kann etwas über ihre gesundheitlichen Risiken sagen. „Es war ein kalter Morgen“, erinnert sich eine alte Frau. „Mein Leben veränderte sich völlig, es geriet aus den Fugen.“ Wie es weitergeht? Sie weiß es nicht. Von einem Moment zum anderen ändert sich durch ein großes Unglück ihr Leben. Die Frau erlebt einen Alptraum. Das verschlägt den allermeisten Menschen erst einmal die Sprache, sie können nicht in Worte fassen, was sie erleiden mussten. Um die Not zu verarbeiten, ist es aber wichtig, davon sprechen zu können - mit Menschen, die heftige Gefühle ertragen können.
Die Geschichte von Janna-Berta endet so: „Da zog Janna-Berta die Mütze vom Kopf und begann zu sprechen.“ Sie, die keine Haare mehr hat und alles verlor, schont nun die anderen nicht mehr. Janna-Berta erzählt, was ihr passiert ist. Sie schweigt nicht mehr – das ist der Anfang neuen Lebens.
