Maß halten
Als ich um die Ecke biege und den Blick auf die Wohnung habe, bekomme ich einen gehörigen Schrecken. Alle Zimmer sind hell erleuchtet. Überall brennt das Licht! Was ist denn jetzt los! Ich gehe einen Schritt schneller. Doch Sorge ist unbegründet. Weder waren Einbrecher am Werk noch steht die Wohnung unter Wasser. Ganz einfach, zwischenzeitlich war eins der Kinder nach Hause gekommen und hatte das Licht in jedem Raum brennen lassen. „Was ist denn hier für eine Festbeleuchtung“, entfährt es mir. Dann entspannt sich eine Diskussion zum Thema Stromsparen. Wir werden handelseinig. Jeder hält sich an die vereinbarten Regeln: wer das Zimmer verlässt, löscht das Licht.
Ich denke, jede Generation muss den Umgang mit Ressourcen neu lernen. Jede Generation muss ein Gespür dafür entwickeln, dass es nicht selbstverständlich ist, genug zum Leben zu haben. Wie sehr das auch von der Zeit mitbestimmt wird, in der ich lebe, zeigt ein Blick in die Broschüre „Die Schatzkammer der Hausfrau“ aus dem Jahre 1955. Da steht unter dem Abschnitt „Besondere Sparwinke“: Getrocknete Kartoffelschalen erhalten wunderbar die Glut im Herd. Und: Alte Rasierklingen kann man noch gut als Trennmesser gebrauchen, wenn man sie in einen Korken steckt. Das ist gut 50 Jahre her; wir leben heute in einer anderen Zeit. Aber das Thema Sparen ist aktuell wie damals. Wie schon in den Anfängen des Christentums, als Papst Gregor die sieben Wurzelsünden aufzählt, zu der auch Maßlosigkeit und Völlerei gehören.
Nun sehe ich den christlichen Glauben nicht gern in der Rolle eines moralischen Zeigefingers. Dafür bedeutet er mir zu viel. Aber für die Aufgabe, menschliche Bedürfnisse und Wünsche zu pflegen, da ist er schon von Bedeutung. Für mich ist das auch ein Teil der Nächstenliebe.