hr1 ZUSPRUCH
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Zöllner, Ute

Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin i.R., Pastoralpsychologin, Kassel

Frage nach dem Warum des Leidens

Frage nach dem Warum des Leidens

„Warum bin ich noch nicht dran? Hat mich Gott vergessen?“ Die Stimme der alten Frau ist klar und fest, aber kaum zu verstehen. Ich sitze am Pflegebett von Frau M. Die Tochter hatte mich an das Bett der Sterbenskranken gerufen. „Bitte, kommen sie“, meint sie am Telefon, „die Mutter will unbedingt die Pfarrerin sehen.“ Wir beten; ich singe ihr vor: `Wenn ich einmal soll scheiden, dann scheide nicht von mir`. Frau M. kennt die Liedstrophe, bewegt die Lippen und singt in Gedanken mit mir mit. Danach schaut Sie mich mit riesengroßen Augen an. Ich halte dem Blick stand und sage: „Ja, das glauben wir.“

Die Grenze zwischen Leben und Tod unterbricht den Alltag auch für die, zu deren Alltag er gehört. Wir empfinden Mitgefühl, besonders, wenn der Mensch, um den es geht, starke Schmerzen hat – wie Frau M, - selbst, wenn sie gute Schmerzmittel erhält. An der Grenze zwischen Leben und Tode verschließen wir uns nicht, wir sind berührbar, lassen uns erreichen.

Der Schmerz schafft sich seine eigene Welt, und wie von selber entsteht die Frage: Warum muss ich jetzt so leiden? Die Auseinadersetzung mit dieser Frage kann Monate, auch Jahre andauern.

Und immer verbindet es sich mit einer weiteren Frage: Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? Was gibt mir Halt?

Darum kann der, der so fragt und ringt, nur selber Antworten finden. Wenn da niemand ist, der dieser bohrenden Frage und vor allem den Gefühlen standhält, dann kann der Schmerz mit seiner ganzen Wucht ansetzen und Nacht um sich verbreiten. Ermutigendes Reden hilft, vertraute Lieder helfen und die Suche nach Gott, der das, was auszuhalten und zu ertragen ist, ins Zuversichtliche wendet. Darum beten wir: „Wenn ich einmal soll scheiden, dann scheide nicht von mir.“