hr1 ZUSPRUCH
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Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer im Ruhestand, Biebertal

Wenn der Lack ab ist...

Wenn der Lack ab ist...

Kommt drauf an, was hinter dem Lack, was unter der Oberfläche ist. Und das zu erkennen, ist heutzutage nicht so einfach. Hat es früher geheißen, es zählen nur die inneren Werte, wird heute allergrößten Wert auf das Äußere gelegt. Wie jemand aussieht, wie er oder sie sich kleidet, ob jemand Ausstrahlung hat, wenn möglich auch mit Titeln glänzen kann, das macht Eindruck. Das kommt gut an. Das schafft Sympathie. Wer die Karriereleiter hinaufklettern will, oder wer in der Politik nicht immer nur auf den hinteren Bänken sitzen will, wird sich danach richten. Und dagegen ist ja auch wenig zusagen. Denn wer seine inneren Werte versteckt, darf sich nicht wundern, wenn sie niemand wahrnimmt. Was also Substanz hat, darf auch glänzen. Wo der Inhalt überzeugt, sollte man das auch von außen sehen können.

Was passiert aber, wenn hinter den glänzenden Oberflächen nicht nur hohe Qualität und überragende Eigenschaften zu finden sind? Wenn der Lack auch manchen Rost übertüncht? Ich glaube, das ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Überall. In der Politik wie im gewöhnlichen Leben: Wenn der Lack ab ist, findet man nichts anderes als … einen Menschen. Eitel und verletzlich. Manchmal bedauernswert. Manchmal bedrohlich. Verlässlich – und enttäuschend. Stark und schwach. Auch wenn es sich um einen Politiker handelt: Kein Stern am Medienhimmel. Kein Hoffnungsträger der Nation. Ein Mensch. Und das ist nicht nur erfreulich. Wer andere hinters Licht führt, wer sich mit fremden Federn schmückt, der muss auch die Konsequenzen tragen.

Aber meine Empörung hält sich in Grenzen. Weil ja ein Blick hinter die Fassade auch etwas Befreiendes hat: Die Menschheit lässt sich eben nicht einteilen in Gewinner und Verlierer, in Alleskönner und Versager, in Überflieger und Bruchpiloten. Wenn der Lack ab ist, sehen wir, dass es überall menschlich, und das heißt auch fehlerhaft zugeht. Das heißt auch: es ist besser, zu den eigenen Schwächen und Fehlern zu stehen, mit ihnen zu leben, statt sie unter Hochglanz zu verstecken. Ob uns Herr zu Guttenberg auch dann überzeugt, wenn er zu dem stehen muss, was unter dem Lack ist, das zeigt sich in diesen Tagen.