hr1 ZUSPRUCH
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Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer im Ruhestand, Biebertal

Vorsicht Stille!

Vorsicht Stille!

"Was würde ich dafür geben, wenn hier endlich einmal Ruhe wäre!" Wer kennt diesen Stoßseufzer nicht? Endlich einmal Ruhe, aber der Nachbar wirft gerade dann seinen Rasenmäher an, wenn ich mir ein kleines Nickerchen gönnen will. Und schon wieder ist ein Jet in tiefem Anflug nach Rhein-Main. Oder der Lärm der vierspurigen Straße schwappt hinein in meine vier Wände. Lärm macht uns hektisch, stört die Konzentration. Ja, allzu viel Lärm macht die Menschen krank. Dagegen wünschen wir uns Zeiten der Ruhe. Stille. In solchen Zeiten lässt sich gut entspannen. Fühlen wir uns geschützt und gut aufgehoben.

Vorsicht! Das ist nicht immer so. Manchmal ist die Stille gefährlich. Zum Beispiel dann, wenn die neuen leisen Hybrid-Autos oder gar die lautlosen Elektroautos durch Wohngebiete fahren. Sie kollidieren mehr als doppelt so häufig mit Fußgängern oder Fahrradfahrern als die normalen lauten Wagen. Das hat eine Studie des amerikanischen Verkehrsministerium herausgefunden. Alle hatten gedacht: Jetzt kommen die lautlosen Autos. Welch ein Segen! Und nun das: Mehr Unfälle. Mehr Verletzte, weil Fußgänger und Radfahrer die Gefahr nicht hören, die sich ihnen nähert.

Ein besonders origineller Zeitgenosse schlägt vor, man solle es mit den neuen leisen Autos genau so machen wie mit den Handys: Jedem seinen eigenen individuellen Auto-Ton: Der eine fährt werktags mit Trabigeräusch und am Wochenende klingt er nach Ferrari. Eine andere setzt auf Hufgetrappel, weil sie Pferde so mag. Ich glaube nicht, dass dieses Durcheinander weiterhilft. Aber ein gut hörbares Geräusch wird es künftig geben müssen, weil eben Stille nicht für alle Fälle des Lebens das Ideale ist. Und weil es wichtig ist, vor Gefahren gewarnt zu werden, und zwar in allen Bereichen: Gut hörbare Geräusche nicht nur im Straßenverkehrt, sondern eben auch, wenn mein Nachbar oder mein Kind oder der Mann auf dem Bahnsteig offensichtlich in eine Gefahr hineinrennt. Auch hier ist die Stille gefährlich. Und die oft gehörten Sätze sind wenig hilfreich: "Was geht mich das an? Da schweige ich lieber. Da mische ich mich nicht ein." Ich glaube: Auch wer im falschen Moment schweigt, hat gelogen. Kaum erkennbar. Aber ziemlich gefährlich.