Verzeihen
„Das werde ich Dir nie verzeihen!“ ist einer der bittersten Sätze. Tiefe Enttäuschung wird zum Ausdruck gebracht. Der andere soll nicht nur wissen, sondern auch spüren, wie groß die erfahrene Verletzung ist. „Das werde ich Dir nie verzeihen!“ So werden Schlusspunkte gesetzt. Es gibt kein Zurück mehr. Wir denken, andere damit zu strafen. Es ist eine stille Rache für die erfahrene Verletzung, den Scham oder die Demütigung. Der Geschlagene schlägt zurück und lässt den anderen mit seiner Schuld alleine – eine Schuld, die ihn belasten und verfolgen soll. Ich kann dieses Bedürfnis gut nachvollziehen. Aber hilft es wirklich?
Natürlich ist es eine Strafe, wenn mir jemand nicht verzeihen möchte. Mir werden alle Möglichkeiten genommen, um Entschuldigung zu bitten, Reue zu zeigen oder nach neuen Wegen zu suchen. Schwerer trifft es mich aber, wenn ich selbst nicht verzeihen will. Dann verurteile ich mich selbst dazu, nicht vergessen zu können. Die Erinnerung an die Verletzung wird immer wieder neu wach, so dass der Schmerz nicht abklingt. Wenn ich nicht verzeihen will, bestrafe ich mich selbst am meisten.
Verzeihen heißt nicht, etwas Geschehene gut zu heißen. Aber wenn ich bereit bin zu verzeihen, kann ich dem, was ich erlitten habe, die Macht nehmen, mein Leben dauerhaft negativ zu beeinflussen. So hilft Verzeihen mir selbst. Aber Verzeihen braucht Zeit. Das geht nicht vom einen auf den anderen Augenblick. Ich muss mich darin üben. Je tiefer die Wunden, umso länger wird es dauern. Unverzeihliches gibt es auch. Etwa dann, wenn Leben mutwillig und unwiederbringlich zerstört wurde.
Wo mir Kraft und Möglichkeiten zum Verzeihen fehlen, muss ich mich dennoch nicht von meinen Schmerzen, Enttäuschungen und Verzweiflungen aufreiben lassen. Wenn ich mit meinen Möglichkeiten am Ende bin, sagt Jesus: „Siehe, ich mache alles neu!“ (Neues Testament, Offenbarung des Johannes, Kapitel 21, Vers 5). Das ist sein Angebot, ihm alles in die Hände zu legen, was ich nicht halten kann und was nicht heilen will. Und ich vertraue darauf, dass er es auf seine Art richten wird.