Überall Sankt Florian
"Heiliger Sankt Florian, verschon' mein Haus, zünd andre an." Dieser Spruch, von Lüftlmalern an manches altes bayerisches Bauernhaus gepinselt, klingt fromm, ist aber eigentlich ziemlich zynisch: Um mich soll das Unglück bitte einen großen Bogen machen; andere kann es ruhig treffen. Zynisch hin oder her, nach dem Sankt-FloriansPrinzip funktionieren viele Lebensbereiche, von der großen Politik bis ins Privatleben.
Im Wendland protestieren die Bürger gegen Gorleben. Wer kanns ihnen verdenken? Der bayerische Ministerpräsident beklagt, dass Tschechien ein Lager für den Atommüll nahe an der Grenze schaffen will. Und der bayerische Wald eignet sich keinesfalls dafür. Kann ich gut verstehn. Urlaub über einem Atommüll-Lager?
Alle wissen: Wir brauchen einen Ort für diesen Dreck. Aber auf keinen Fall bei mir. Und das setzt sich fort: Die Energiewende geling nur, wenn wir mehr Windräder haben, aber bitte nicht auf unserer idyllischen Bergwiese! Und die Überlandleitungen von der Nordsee in den Süden müssen sein; aber natürlich nicht in unserer Gegend!
Man ist geneigt, über diese moralisch zweifelhafte Einstellung den Kopf zu schütteln. Aber langsam: Wer kann von sich sagen, dass ihm dieses Prinzip fremd ist? Nach dem Elternabend im Kindergarten muss aufgeräumt werden. Aber tut mir leid, ich habe dafür keine Zeit. Oder: Es ist tragisch, dass Menschenleben nicht gerettet werden können, weil Organe zur Transplantation fehlen. Meine Organe müssen es ja nicht gerade sein.
Deshalb hält sich meine Entrüstung in Grenzen. Nach dem Sankt-Florians-Prinzip zu denken und zu handeln, das mag zynisch sein. Vielleicht auch ein bisschen feige. Oder bequem. Aber es gehört zu meiner fehlerhaften menschlichen Ausstattung. Und ist ein weiterer Beleg dafür, dass ich es nicht schaffe, durchs Leben zu gehen, ohne schuldig zu werden. Umso mehr bewundere ich Menschen, die sich nicht hinter anderen verstecken. Die sich hinstellen und anpacken, wo sich andere in die Büsche schlagen. Die aufhören zu maulen: "Wieso denn ich? Der könnte doch auch!" Nein, ich bin gefragt!
Bleibt zu hoffen, dass es hier und da gelingt, die Courage dazu zu haben. Im Privaten wie in der Politik. Nicht immer. Aber immer öfter.