Kraft von innen
Einer der Stürme im Frühsommer hat geschafft, was sich niemand vorstellen konnte: Der große Kastanienbaum vor der Kirche in Vonhausen ist abgebrochen und umgestürzt.
Für die Einwohner des Dorfes bei Büdingen gehörten dieser Baum und ihre Kirche fest zusammen. Der Baum war 150 Jahre alt, sozusagen schon immer da.
Im Frühjahr haben sich die Friedhofsbesucher über die Blüten gefreut, im Sommer hat der den Brautpaaren Schatten gespendet. Im Herbst haben die Kinder die Kastanien aufgelesen und die Erwachsenen große Laubhaufen zusammengerecht. Und selbst im Winter haben sich die Konfirmanden beim Baum vor der Kirche verabredet. Und dann, dann ist er einfach so umgeknickt.
Nicht die Wurzeln haben nachgegeben, sondern der Stamm. Von außen sah er noch prima aus. Die Forstleute hatten kein Anzeichen für eine Krankheit oder einen Schaden festgestellt. Und trotzdem, als er dann so dalag und die Arbeiter den Stamm mit der Kettensäge kleingeschnitten haben, da war klar: er war vertrocknet, von innen her.
Die Wurzeln hatten gehalten, aber das hat nicht gereicht. Es ist immer weniger Lebenssaft bis in die Krone gelangt.
Die Pfarrerin aus Vonhausen, Kerstin Mohn, sagt:
„Ich dachte immer, es kommt darauf an, gut verwurzelt zu sein. In der Familie zum Bespiel, im Dorf oder auch im Glauben. Aber der Baum hat mich gelehrt, dass die Wurzel nicht das einzige ist. Da muss auch genug Lebenssaft fließen, immer wieder, am besten jeden Tag.“
Was sie da sagt, denke ich, stimmt wirklich: Manchmal stehen auch Menschen nach außen hin gut da. Sie stehen fest im Leben, auch wenn‘s stürmisch ist und können anderen sogar Schatten spenden.
Und dann geht es manchen doch wie dem Kastanienbaum. Weil sie mit der Zeit innerlich vertrocknet sind, weil ihre innere Versorgung unterbrochen ist, knicken sie ein, einfach so, ohne dass jemand damit rechnen konnte.
Was gehört zu meiner inneren Versorgung, was brauche ich, dass in mir Kräfte fließen? Es ist gut, sich in den Ferienzeiten des Lebens darum zu kümmern, auch wenn nach außen hin alles blüht und fest verwurzelt ist.
Und was passiert nun mit dem Baumstumpf in Vonhausen? Die Leute dort werden in den Stumpf eine neue Kastanie pflanzen. Die wird dann an derselben Stelle Wurzeln schlagen. Bis das so weit ist werden die Kirchenbesucher noch oft daran erinnert werden, wie wichtig es ist, auf das zu achten, was uns Kraft gibt von innen.