hr1 ZUSPRUCH
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Grützner, Kurt

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer i. R., Kassel

Der Akkordeonspieler am Bahnhof

Der Akkordeonspieler am Bahnhof

Wenn es nun bald etwas wärmer werden sollte, wird sich auch mein Akkordeonspieler am Bahnhof freuen. Den ganzen Winter über saß er dort auf seinem Klappstuhl in einer wenigstens etwas geschützten Ecke am Bahnhofsgebäude. Vor sich ein Korb, der von alleine spricht: Leg bitte etwas Geld hinein für meine Musik, die ich für dich spiele. Er spielt sehr gut. Ich muss häufig zum Bahnhof und bin fast schon enttäuscht, wenn er nicht da ist. Wir nicken uns inzwischen schon freundlich zu. Und meistens lege ich auch einen Euro in seinen Korb.

Dieser Tage traf ich ihn wieder. Allerdings nicht am Bahnhof. Nein, in einem Autohaus traf ich ihn. Interessiert ging er durch die zum Verkauf angebotenen Autoreihen. „Ach, guck mal an“ muss ich beschämt zugeben, ging es mir durch den Kopf. „Da kann sich mein Akkordeonspieler wohl auch ein Auto leisten?!“ Kann man denn mit Akkordeonspielen am Bahnhof so viel Geld verdienen, dass es für ein Auto reicht? Und er schaute sich nicht nur die billigsten an. Oder ist das alles Betrug, das mit dem Akkordeonspielen?. Am Ende ist er reich? Reicher vielleicht als ich?

Ich glaube, ich bin bei diesen peinlichen Gedanken fast rot geworden, als wir uns dann wieder zunickten, so wie sonst immer am Bahnhof. Denn wie kann gute Musik, die er für mich und andere am Bahnhof spielt, Betrug sein? Wie oft hat seine Musik mich aufgemuntert, wenn ich mal wieder hetzend meinem Zug hinterhergelaufen bin. Wie oft habe ich mich auch in einiger Entfernung mal ein paar Minuten hingestellt und ihm einfach zugehört.

Einmal bin ich zu ihm hingegangen und habe ihn gebeten: „Bitte spiel mir ein Lied für die Menschen aus meiner Nähe, die gestorben sind.“ Er hat ein wunderschönes Lied gespielt und ich konnte getröstet um meine Toten weinen. Es war himmlische Musik.

Doch, der Akkordeonspieler am Bahnhof hat sein Geld verdient.