Als streichle mich Gott
Es sind nur ein paar Meter, aber auf denen spielt sich Unglaubliches ab. Mitten im Bus sind auf engstem Raum vier Personen beisammen, alle in Aktion: Eine Mutter, die telefoniert und einen Kinderwagen mit Zwillingen abstellen will. Eine alte Dame, die mit ihrem Rollator hin und her rollt und einen Sitzplatz sucht. Ein jüngerer Mann, der auch telefoniert, einen Rucksack falsch auf der Schulter hat und eine Tasche in der Hand - zwischen den Knien noch eine halbvolle Flasche Traubensaft. Schließlich eine Bettlerin, die hinkt und jeden um einen Euro bittet, aber nichts bekommt. Das alles auf engstem Raum, ein Durcheinander ohnegleichen. Alle sind überfordert von dem, was sie tun oder tun wollen.
Das Leben überfordert uns alle. Nicht nur in der Stadt ist das so, wo Menschen ja manchmal auf engstem Raum beisammen sind. Auch im Dorf, denke ich. Vielleicht sind da nie so viele eng beieinander, aber überfordert sind viele auch. Weil Menschen einfach viel zu viel wollen; oft alles gleichzeitig. Telefonieren, Einkaufen, den Kinderwagen oder Rollator schieben, den Rucksack oder die Wasserflasche handhaben, den Bus nicht verpassen und mit den Gedanken schon beim Kochen sind oder beim Vereinsfest am Abend. Das wollen alle schaffen; fast alle behaupten sich auch, dass sie es schaffen. In Wahrheit aber schafft es kaum ein Mensch. Irgendetwas geht meistens schief.
Wir leiden an einem Zuviel an Möglichkeiten. Und die Seele leidet zuerst. Manchmal verbrennt sie, wenn zu viel zugleich gemacht und gedacht werden soll. Manchmal wehrt sich die Seele auch gegen das unendlich Viele und ist müde, macht Kopfschmerzen oder Tränen. Es ist dann eine Kleinigkeit, die das Fass zum Überlaufen bringt. Die Seele lässt sich nie zwingen. Sie braucht nicht vielerlei, sondern alles nach und nach. Ein Schritt nach dem anderen, auch wenn das für andere ärmlich aussieht. Mehr schafft die Seele nicht. Das muss man ganz ernst nehmen.
Auch die Seele braucht Pflege. Am besten pflegt man sie, wenn man mal nichts tut, einfach nur auf sich horcht an den Feiertagen. Dann blüht die Seele auf, sozusagen. Als streichle mich Gott.