Gloria Gaynor – I Am What I Am
Eigentlich geht es in der Sommerreihe ja um Popsongs, also was für die Ohren, aber zu meinem Song kommt mir immer auch ein Bild in den Sinn – ein kleines rosakariertes Stofftier mit großen Kulleraugen, blauen Wollhaaren, sehr langen Flatterohren und einer kleinen Schweinenase. Manche haben es vielleicht erkannt, es ist das kleine „Ich bin Ich“. Vor ein paar Jahren hat die Bilderbuchfigur ihren 50. Geburtstag gefeiert und noch immer fasziniert sie junge und nicht mehr ganz so junge Menschen. Und das Thema aus dem Bilderbuch ist immer noch so aktuell wie am ersten Tag. Das kleine Tier in der Geschichte passt nirgendwo so richtig dazu, egal, wen es fragt, und egal, wie lange es sucht. Bis es am Ende feststellt – Ich bin ich! Und ich muss auch gar nichts anderes sein.
Was ich bin, braucht keine Entschuldigung
Das Ich in meinem Popsong hat das auch erkannt – und das auf einem ähnlich mühsamen Weg. Und ganz ähnlich wie beim „Ich bin Ich“ heißt es da im Songtext: „I Am What I Am – ich bin, was ich bin.“
Musik 1: I am what I am and what I am needs no excuses. I deal my own deck, sometimes the ace, sometimes the deuces. It’s one life and there’s no return and no deposit, one life so it’s time to open up your closet. Life’s not worth a damn, ‘til you can shout out, I am what I am.
Ich bin, was ich bin und was ich bin, braucht keine Entschuldigung. Ich spiele meine eigenen Karten aus, mal Asse, mal Zweien. Es gibt nur ein Leben, ohne Rückgaberecht oder Sicherheiten, ein Leben, also komm aus deinem Schneckenhaus. Das Leben ist keinen Pfifferling wert, bis du sagen kannst: ich bin, was ich bin.
Das kleine Kuscheltier lässt sich in keine Schublade einordnen
Als „I Am What I Am“ auf den Markt kommt, ist das kleine Schweinehundekarotier schon seit zehn Jahren durch Kindergärten und Volks- und Grundschulen getingelt und hat Kinder dabei unterstützt, ihre Identität zu finden und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Und vielleicht hat so mancher, der als Kind in einer der ersten Ausgaben gelesen hat, später in der Disko zu Gloria Gaynors Titel getanzt und gesungen, wie unzählige Menschen seit den 80ern bis heute. Ursprünglich ist der Song für ein Musical geschrieben worden. Der Produzent Joel Diamond macht ihn 1983 zum Erfolg, als er Gloria Gaynor ins Boot holt und eine Disco-Version mit Electro-Sounds aufnimmt. Er trifft genau den Nerv der Zeit. Die Platte wird schnell ein Liebling der DJs. Darauf sind „I will survive“, „Never can say goodbye“ und „I Am What I Am“ ohne Pause hintereinandergelegt und können am Stück abgespielt werden.
Ein Jahr später erscheint dann die Radioversion, aber sie kommt anders daher als der Diskokracher, zumindest die ersten paar Takte. Sie sind deutlich leiser als der Rest des Titels, fast schon zart.
Musik 2: I am what I am, I am my own special creation. So come take a look, give me the hook or the ovation. It’s my world that I want to have a little pride in, my world and it’s not a place I have to hide in. Life’s not worth a damn ‘til you can say, ‘I am what I am.’
Ich bin, was ich bin, meine eigene Schöpfung. Also komm und schau mich an, wirf mich raus oder klatsch mir Beifall. Das hier ist meine Welt und ich will stolz darauf sein können. Sie ist kein Ort, an dem ich mich verstecken muss. Das Leben ist keinen Pfifferling wert, bis du sagen kannst: „Ich bin, was ich bin.“
Ich zeige mich – unabhängig vom Applaus oder Buh-Rufen
Zart, fast zaghaft muten die ersten Takte an, aber der Text hat es schon in sich. Er erinnert an die Musical-Vergangenheit des Titels. Wird es Applaus geben oder Buh-Rufe, wenn ich etwas von mir zeige? Dem Lied-Ich ist das egal. Mutig, sich im Show-Buis so unabhängig von der Meinung des Publikums zu machen – von unpopulär zu arbeitslos ist es ja kein weiter Weg. Aber dieser Mut ist erst der Anfang, es geht auch um das Leben jenseits der Bühne.
Mutig sein heißt, Angst haben und trotzdem handeln
Mutig sein: für mich bedeutet das immer: Angst haben und trotzdem handeln, nicht in Panik, aber mit einkalkuliertem Risiko. Und in meinem Alltag hat dieses Mutigsein tatsächlich viel damit zu tun, wieviel ich von mir selbst zeigen will. Von meinen Überzeugungen. Oder vielleicht sogar von meinen Verletzlichkeiten und Fehlern. Manchmal braucht es Mut, zu sagen: Hier fürchte ich mich vor etwas, hier bin ich mir nicht ganz sicher. Oder auch: Hier denke ich ganz anders als du!
Ich will mich nicht mehr verstecken
Das Lied-Ich hat da eine klare Meinung: Ich will mich nicht mehr verstecken, ich will dazu stehen, wer und was ich bin. Anpassung ist oft gut, sie hilft beim Zusammenleben. Aber wenn ich verstecken muss, wer ich bin oder was mir wichtig ist, wenn ich eben nicht ich selbst sein kann, wird daraus vielleicht eine schmerzhafte Lebenslüge. Harmonie ist super, aber nicht, wenn jemand darunter erstickt.
Musik 3: I am what I am! I don’t want praise, I don’t want pity. I bang my own drum, some think it’s noise, I think it’s pretty. And so what if I love each sparkle and each bangle? Why not try to see things from a different angle? Your life is a sham ‘til you can shout out, I am what I am.
Ich bin, was ich bin. Ich will kein Lob, ich will kein Mitleid. Ich trommle meinen eigenen Rhythmus, manche finden, dass es Lärm ist, ich finde es schön. Was ist schon dabei, dass ich Glitzer und Blingbling mag? Warum versuchst du‘s nicht mal mit einem neuen Blickwinkel? Dein Leben ist ein Schwindel, bis du sagen kannst: Ich bin, was ich bin.
Sie bricht mit dem engen Rahmen, in sie passen soll
Ich habe bei diesem Song immer das Gefühl: Die da singt, hat es so satt. Sie hat es so satt, sich in den engen Rahmen der gesellschaftlichen Norm zu quetschen, sie hat es satt, dass andere darüber bestimmen wollen, was an ihr gut und wertvoll ist, wie sie sich verhalten soll und wie man richtig lebt. Sie bricht mit dem engen Rahmen, in den sie passen soll, sie macht sich frei von dem, was die anderen sagen.
Er möchte zeigen, wer er ist
Dieser Trotz, der in Mut und Selbstvertrauen umschlägt, er ist ein Grund, warum das Lied ganz besonders bei der queeren Community so beliebt ist. In dem Musical, für das das Lied ursprünglich geschrieben wurde, wird es von einem schwulen Travestie-Star gesungen, der sich nicht hinter einer bürgerlichen Fassade verstecken möchte, auch wenn es einfacher wäre und weniger Gegenwind bringt. Er möchte zeigen, wer er ist, und hat Vertrauen, dass sich dieser Mut lohnt. Es kann total befreiend sein, zu sich selbst zu stehen. Ob das bezogen ist auf ein Coming-out oder etwas anderes, das sich von der Mehrheitsgesellschaft abhebt, ist eigentlich egal. Aber Mut braucht es meistens, und so positiv das Lied „I Am What I Am“ daherkommt, blendet es diesen Aspekt nicht aus.
Ich frage mich, warum braucht es dazu überhaupt Mut?
Ich frage mich an dieser Stelle immer, warum es dazu Mut braucht. Das klingt jetzt vielleicht naiv, mir ist schon klar, dass viele Menschen in ihrem Alltag Diskriminierung erleben und Mut brauchen, zu sich zu stehen. Aber warum werden sie denn diskriminiert? Was stört es mich, ob jemand mit Männern oder Frauen Händchen hält, ob jemand Kopftuch trägt oder Kippah oder nicht biodeutsch aussieht oder sich anhört? Und woher immer die Aufregung, wenn etwas gegendert wird, sei es verbal oder auf einem Plakat?
Es braucht Mut auszuhalten, wenn jemand mein Weltbild stört
Anscheinend braucht es bei uns nicht nur Mut, zu zeigen, wenn ich in irgendeinem Aspekt anders bin als die meisten. Es braucht auch Mut, auszuhalten, dass jemand anders ist als ich oder als ich es gewohnt bin. Es braucht Mut auszuhalten, wenn jemand an meinem Weltbild rüttelt.
Gott hat jeden von uns so geplant und gewollt
Als Christ macht mir die Botschaft der Bibel Mut. Ganz am Anfang wird von der Erschaffung der Welt erzählt. Gott hat einen guten Plan, in dem jeder Mensch wichtig ist, jede und jeden hat er geplant und gewollt. Und er schaut uns an und sagt: Du bist sehr gut. Du bist mir gut gelungen! Diesen Zuspruch nimmt uns keiner mehr weg, er gilt immer, auch wenn uns jemand vom Gegenteil überzeugen will und meint, wir wären nicht gut genug.
Sich frei machen von der Erfahrung, ein Außenseiter zu sein
Das Ich im Lied hat erlebt, dass es von anderen geringgeschätzt wurde, das kann ich spüren in den Worten, die wir am Ende des Lieds zugerufen bekommen:
Musik 4: I am, I am, I am useful. I am, I am, I am true. I am, I am somebody. I am as good as you. I am what I am. I am what I am.
Ich bin wertvoll, ich bin wahrhaftig, ich bin genauso gut wie du. Ich bin jemand! Ich bin, was ich bin.
Ich will dazugehören, aber ich will mich nicht verbiegen
Ich bin jemand, in einer anderen Version singt Gloria Gaynor noch: „und ich gehöre dazu“. Ich stelle mir vor, dass niemand so etwas sagt, der nicht das Gegenteil erlebt hat. Wir wollen jemand sein, wir wollen dazugehören, das ist ganz typisch für uns Menschen, von klein auf. Und es ist oft gar nicht so einfach, besonders, wenn man neu in eine Gruppe dazukommt oder eben ein bisschen anders ist. Ich habe das schon erlebt und viele andere bestimmt auch. Da tut es gut, wenn es Mutmacher gibt, zum Beispiel diesen Song von Gloria Gaynor oder Gottes Zuspruch in der Bibel oder eben das kleine, karierte „Ich bin Ich“ aus dem Bilderbuch. Und natürlich können wir alle uns gegenseitig Mut machen – Mut zu zeigen, wer wir sind und Mut, auszuhalten, wenn jemand anders ist als gewohnt. So können wir gemeinsam eine Gesellschaft gestalten, in der alle Menschen mutig sagen und zeigen können: Ich bin, was ich bin! Oder besser noch, in der es dazu gar keinen Mut mehr braucht.