Entscheidung und Wagnis
Es ist Sonntagmorgen und mein Frühstückstisch ist reich gedeckt: Da stehen die frischen, warmen Brötchen vom Bäcker. Da sind Butter, Wurst und Käse. Daneben locken zum Verzehr drei Gläser hausgemachter Marmelade. Genauso einladend wirkt der Honig von meinem Freund aus dem Erzgebirge.
Der reich gedeckte Frühstückstisch
In der Mitte vom Tisch steht eine kleine Vase mit einer roten Rose. Daneben spendet eine kleine Kerze Licht für die sonst noch spärlich beleuchtete Küche. Kaffeeduft steigt auf und markiert zusammen mit einem Teller den Platz meiner Frau. An meinem Platz lädt ein schwarzer Tee vom sommerlichen Englandurlaub zum Genuss ein. Die gemütliche Atmosphäre ist bereitet: Das entspannte Frühstück mit meiner Frau kann beginnen.
Die Qual der Marmeladenauswahl
Ich nehme ein Brötchen, schneide es auf, füge etwas Butter hinzu und blicke auf die Marmeladen: Alle drei Sorten hat meine Frau selbst gemacht. Da ist die Kirschmarmelade, die ich so liebe. Genauso aber schmeckt die Apfelmarmelade vorzüglich, in der die Äpfel aus dem eigenen Garten verarbeitet sind. Und dann ist da noch die Erdbeermarmelade, die - so frisch gemacht - einfach nicht zu toppen ist. Minutenlang sitze ich vor den Gläsern. Welche Marmelade nehme ich? Ich weiß es nicht. Das Nachdenken lässt mich erstarren. Ich sitze da, starre auf den Tisch und kann mich einfach nicht entscheiden.
Warum sind Entscheidungen oft so schwierig?
Das beschriebene Szenario spielt sich bei mir jeden Tag ab. Und das ärgert mich. Klar, es geht hier nur um eine Kleinigkeit, die nicht der Rede wert ist. Doch das Beispiel zeigt: Ich tue mir mit Entscheidungen schwer. Und dass es vielen Menschen so geht, zeigt mir ein Blick ins Internet oder in einen Buchladen: Die Anzahl der Ratgeber zu Entscheidungen ist unüberschaubar.
Zögern statt Programmierung
Das Phänomen, bei Entscheidungen zu zögern, ist also ein zutiefst menschliches. Maschinen setzen Vorgänge so um, wie sie programmiert sind. Stimmt die Programmierung nicht, handeln sie gar nicht. Anders beim Menschen: Er kennt das Zögern. Er weiß, dass er eine Entscheidung treffen muss, doch will er erst noch verschiedene Informationen oder auch Emotionen zusammenbringen, bevor er sich festlegt.
Was fragt Johannes Jesus wirklich?
Ein solch unklarer Entscheidungsvorgang wird den Hörerinnen und Hörern in katholischen Gottesdiensten heute zugemutet. Die Textpassage aus dem Matthäusevangelium dreht sich um Jesus und Johannes den Täufer. Dieser sitzt im Gefängnis und lässt über seine Gefolgsleute an Jesus die folgende Frage übermitteln: „Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Die Antwort auf diese Frage könnte einfach sein, ist sie aber nicht.
Musik
Kein einfaches Ja oder Nein
Die Jünger des Johannes fragen Jesus: „Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Diese Frage im Stil von Entweder-Oder legt eine kurze Antwort nahe. „Ja, ich bin es,“ hätte Jesus antworten können. Dann wäre alles klar und die Johannesjünger froh. Doch die Antwort von Jesus ist weder kurz noch klar. Er antwortet nämlich: „Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium verkündet“, so der Bibeltext wörtlich.
Jesu Antwort aus einer anderen Welt
Diese Antwort macht beim ersten Hören ratlos. Es ist fast so, als ob Jesus nach der Uhrzeit gefragt wird und dann antwortet: „Zwei Kilo“. Was hier irritiert, ist: Die Antwort scheint wie aus einer anderen Welt zu kommen. Und das ist auch so. Jesus macht hier nämlich eine Aussage, die nur mit Blick in die Welt des Alten Testaments verstanden werden kann. Jesus verweist auf die Blinden, die wieder sehen, und die Lahmen, die gehen. Das alles sind Taten, die in der Bibel schon bei Jesaja mit Blick auf den endzeitlichen Propheten erwähnt werden.
Erfüllung der Verheißungen
Jesus sagt den Johannesjüngern hier also ein Zweifaches: Erstens: Ja, ich bin es, auf den ihr wartet. Zweitens: Ihr erkennt das daran, dass ich die Alten Schriften kenne und sie auch in meinen Heilstaten erfülle. Verheißenes Wort und sichtbare Tat stimmen also in Jesus überein.
Mitwirkung der Hörenden
Aus dieser nur für damalige und heutige Glaubensinsider zu verstehenden Antwort Jesu lese ich aber noch etwas heraus. Ganz offensichtlich macht es Jesus mit seiner Antwort den Zuhörenden nicht leicht. Sie müssen selbst aktiv mitwirken, entweder indem sie schon die Heilige Schrift des Alten Testaments kennen und sich darin weiter vertiefen, oder indem sie sich damit vertraut machen. Jesus will sagen, dass seine Antwort von jedem Gegenüber persönlich verstanden und vollzogen werden muss.
Freiheit und Entscheidungsspielraum
Damals wie heute wird es Menschen geben, die die Antwort hören und einfach weiterziehen, weil sie die Aussage nicht verstehen und sich in aller Freiheit auch nicht darum bemühen. Es gibt aber auch jene, für die diese Antwort einen Horizont eröffnet, der zu einem tieferen Glauben führt. Für diese Menschen ergibt diese Antwort dann Sinn, und nicht nur das - sie wird zu einer Sicherheit und zu einem Bekenntnis im Glauben, das gläubige Christen bis heute kennen: Jesus ist der Messias.
Behutsamer Umgang mit Freiheit
Nun noch einmal zurück zum Thema Entscheidungen. Durch den Bibeltext wird deutlich, wie behutsam Jesus mit der Freiheit des anderen umgeht. Jesus hat hier bewusst nicht kurz und knapp geantwortet. Er entschied sich stattdessen dazu, dem Gegenüber mit seiner Antwort zugleich auch einen Entscheidungsspielraum zu eröffnen. Das Gegenüber kann der Antwort nachgehen oder sie verwerfen. Das ist in vielen Entscheidungen heute auch so, doch in diesem Beispiel im Glauben wird das nochmal besonders deutlich.
Musik
Kleine und große Entscheidungen heute
Was mache ich nun beim nächsten Frühstück, wenn ich wieder vor meinen Marmeladengläsern sitze? Ich könnte meine Frau um Rat fragen, doch letztlich wandert das Brötchen ja in meinen Magen. Ich muss also die Entscheidung selbst treffen und sie dann auch vollziehen. Das ist beim Frühstück, wie schon gesagt, keine große Sache. Da habe ich ja am nächsten Tag wieder die Möglichkeit, eine neue und andere Entscheidung zu treffen.
In großen Dingen sieht das schon anders aus. Da sind Zögern und Abwägen klug und auch ein Rat von jemand anderem sicher sinnvoll. Doch den Schritt zur Entscheidung muss jede Person selbst gehen.
Eltern zwischen Rat und Loslassen
Als dreifacher Familienvater merke ich das gerade besonders bei meinen Kindern: Der Jüngste steht vor dem Realschulabschluss und blickt Richtung Ausbildung oder Fachabitur. Der Mittlere schreibt im nächsten Sommer sein Abitur und fiebert davor noch der Vergabe einer Ausbildungsstelle entgegen. Die Älteste möchte nach dem Freiwilligen Sozialen Jahr studieren. Bei allen drei Kindern fällt es meiner Frau und mir nicht leicht, kurze und klare Antworten auf die Fragen zum weiteren Lebensweg zu geben.
Hoffnung und Vertrauen für die Kinder
Da fühle ich mich manchmal an Jesus im heutigen Sonntagsevangelium erinnert. Auf Fragen meiner Kinder gebe ich Hinweise, die meine Kinder dann mal mehr oder weniger verstehen. Ich versuche eine Antwort, doch die wirkt manchmal wie aus einer anderen Welt gegriffen. Und dann bleibt mir eben nichts anderes übrig, als es so zu machen wie Jesus im Bibeltext: Ich muss dem Gegenüber den weiteren Weg überlassen. Aber ich darf hoffen, dass dieser Weg gut ausgeht. Trost dazu gibt mir mein Glaube, der mich auf Gottes Führung auch für meine Kinder vertrauen lässt. Jede Entscheidung ist eben auch ein Wagnis.
Entscheidungen im Advent
Dieser Blick auf Entscheidungen steckt auch im Advent, der sich mit diesem Sonntag in seine zweite Hälfte neigt. Für manche ist Glühwein und Weihnachtsmarkt schon ein weihnachtliches Erlebnis. Andere bereiten intensiv die festlichen Tage im Kreis der Familie vor. Wieder andere schauen mit gläubiger Vorfreude auf den Stall mit der Krippe, in der der Messias inmitten dieser Welt Mensch werden will.
Weihnachten als persönliche Entscheidung
Das herannahende Weihnachten fordert also auch zu einer persönlichen Entscheidung heraus: Ist Weihnachten Folklore oder zeigt sich mir die Liebe Gottes im Kind in der Krippe? Wie entscheiden Sie sich, liebe Hörerinnen und Hörer? Wie auch immer - es ist ja noch etwas Zeit. Heute jedenfalls wünsche ich Ihnen von Herzen einen frohen dritten Adventssonntag.