hr1 SONNTAGSGEDANKEN
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Griesel, Tanja

Ein Sendung von

Evangelische Schulpfarrerin, Fritzlar

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Elton John: I’m Still Standing

Zum Foto: Bis Anfang September 2025 konnten wir Ihnen Elton John am Klavier zeigen, aus Rechtegründen nicht länger. Nun spielt ein anderer das Piano :). 

Lange dachte ich, mutig sein, das heißt: stark sein. Keine Angst zeigen. Einfach durchziehen. Aber inzwischen glaube ich: Mut sieht anders aus. Er hat viele Gesichter.

Mut hat viele Gesichter

Manchmal zeigt sich Mut darin, aufzustehen, sich wieder aufzurappeln, wenn man am Boden liegt. Elton John kennt das. Die Lebensgeschichte des britischen Sängers, Komponisten und Pianisten ist keine gerade Linie, sondern ein Auf und Ab. Schon früh, Anfang der 70er Jahre, feiert er seinen Durchbruch. Ein Hit folgt dem anderen.
Er genießt den Ruhm, lebt das Leben.

Doch dann kommt der Abgrund: Zu viel Alkohol, zu viele Tabletten. Nächte, in denen er nicht wusste, wie er da wieder rauskommen sollte. Die großen Hits bleiben irgendwann aus. Die Kritiker sagen, er sei durch. Und als viele nicht mehr an ihn glauben – vielleicht er selbst auch nicht – kommt dieses Lied: I’m still standing. „Ich stehe noch.“ Und er sagt damit: „Ich bin noch da!“

Musik: I’m Still Standing

Don′t you know I′m still standing better than I ever did?
Looking like a true survivor, feeling like a little kid
I'm still standing after all this time
Picking up the pieces of my life without you on my mind
I′m still standing (yeah-yeah-yeah)

Sprecher Overvoice:

Weißt du nicht, dass ich noch immer aufrecht stehe, besser als jemals zuvor.
Ich seh‘ aus wie ein echter Überlebender und fühl mich wie ein kleines Kind.
Ich steh noch – nach all der Zeit.
Ich setze mein Leben Stück für Stück neu zusammen,
ohne dich in meinen Gedanken.
Ich steh immer noch aufrecht.

Die Zeilen stammen von Bernie Taupin, Elton Johns langjährigem Weggefährten. Der Mann, der die Texte zu vielen seiner Songs geschrieben hat. Als guter Freund und Kollege weiß Bernie Taupin, wie Elton John immer wieder mit Beziehungen gerungen hat. Die Worte handeln vom Ende einer solchen Beziehung. Von dem Moment, in dem klar wird: Es gibt kein Zurück. Kein Happy End. Nur das Ende.

Elton Johns erste große Liebe

Elton John weiß, wie sich das anfühlt. Seine erste große Liebe war John Reid.
Sie lernen sich Anfang der 70er kennen, bei einem Musikfestival in London. John Reid ist jung, charismatisch, arbeitet als Manager bei einem großen Label – und glaubt an Elton, noch bevor der große Ruhm kommt. 

Für Elton ist es mehr als ein beruflicher Kontakt. Zum ersten Mal hat er das Gefühl: Da sieht mich jemand. Da ist einer, der ihn versteht – mit all seinen Zweifeln, mit all dem, was noch in ihm schlummert. John wird sein Lebenspartner. Und sein Manager. Lange scheint es perfekt. Liebe und Karriere wachsen zusammen.

Die Beziehung endet schmerzlich

Doch was so stark beginnt, bröckelt mit der Zeit. Da schleichen sich Misstrauen ein, Heimlichkeiten. Aus Liebe wird Kontrolle, aus Vertrauen ein Machtspiel. Am Ende steht nicht nur ein geplatzter Vertrag, der Elton John Millionen kostet. Am Ende steht ein gebrochenes Herz. Wenn so etwas auseinanderbricht, zerbricht nicht nur eine Beziehung. Es zerbricht ein ganzes Selbstbild. Denn wenn der Mensch, dem ich mein Innerstes anvertraut habe, mich hintergeht – was bleibt dann noch?

Wenn etwas zu Ende geht, braucht es Mut. Ob Freundschaften zerbrechen, Partnerschaften scheitern oder Träume zerplatzen. Es braucht Mut: Nicht, um stark zu sein, sondern um ehrlich zu sein. Um zuzugeben: Es tut weh. Ich bin verletzt. Ich bin enttäuscht. Aber ich bin nicht verloren. Mut zeigt sich nicht in der Abwesenheit von Schmerz, sondern im Weitermachen. Mutig ist, wenn ich mich nicht aufgebe. Wenn ich mich wieder aufrichte, auch wenn es wackelig ist.

Das Leben geht weiter

„Ich bin immer noch da“, heißt es im Lied. Nicht als Sieger. Nicht als Held. Sondern einfach: Ich bin noch hier. Ich atme. Ich gehe weiter. Vielleicht langsamer, aber ich gehe. Elton John hat das erlebt: Liebeskummer, Enttäuschungen, Schmerz. Und trotzdem hat er weitergesungen und Lieder geschrieben. Er hörte auf, sich zu verstecken. Nicht mehr hinter der Show, nicht hinter Erwartungen. Er stand zu sich – mit allem, was war.

Ich finde: Das ist mutig. Nicht, weil er nie gefallen ist, sondern weil er sich selbst nicht verloren hat. Auch nicht in den Momenten, in denen alles wehtat und er nicht wusste, wie es weitergehen soll. Und trotzdem stand er wieder auf. Ein neuer Ton. Ein neues Lied. Ein neuer Anfang. Und er sagt: „Ich bin immer noch da.“

Musik: I’m Still Standing

Elton John weiß, wie es ist, am Boden zu liegen. Und trotzdem steht er heute noch auf der Bühne. Macht zwar keine großen Tourneen mehr, aber Auftritte gibt er noch ab und zu. Unglaublich. Mit fast 80. Im Glitzeranzug, mit Sonnenbrille. Ein bisschen leiser als früher – aber unverkennbar Elton John. 

Anfang der 90er hat er sich seiner Sucht gestellt. Er hat sich Hilfe geholt. Sich in eine Klinik einweisen lassen. Seitdem ist er clean – seit über 30 Jahren. Ohne Rückfall. Mut zeigt sich nicht immer laut. Manchmal heißt Mut: Die eigene Wahrheit aushalten. Sich aufrichten. Einen Schritt machen. Trotz Angst. Trotz Scham. Und dann verändert sich etwas. Das spürt man im Körper. Man steht ein wenig aufrechter, sicherer. 

Ohne Angst gibt es keinen Mut

Ich kenne das auch. Wenn der Boden unter den Füßen wankt. Wenn man nachts wach liegt und sich fragt: Wie soll es weitergehen? Für mich war das in einer Phase meines Lebens, in der ich mich beruflich neu orientiert habe. Das war schwer. Ich hatte Angst, den sicheren Job aufzugeben – und gleichzeitig das Gefühl, ich kann so nicht weitermachen.

Damals hat mir eine Freundin etwas gesagt, das ich bis heute im Kopf habe. „Nur wer Angst hat, braucht Mut.“ Das klang für mich im ersten Moment schräg. Ich wollte doch stark sein, nicht ängstlich. Heute verstehe ich: Genau darin liegt die Kraft. Mut ist kein Zustand. Kein Superhelden-Modus. Mut heißt: sich nicht unterkriegen lassen,
sich erst einmal wieder aufrichten, hinstellen. „Rücken gerade, Kopf hoch“, würde meine Freundin sagen. Das ändert die Perspektive.

Mut hat seinen Ursprung oft genau da, wo es weh tut. Wo man ins Straucheln gerät. Wo die alten Antworten nicht mehr tragen. Wo man trotzdem weitermacht – Schritt für Schritt. Wie schafft man das – trotz allem?

Elton John blieb nicht allein mit seiner Angst

Elton John hat es vorgemacht. Er ist nicht alleine geblieben mit seiner Angst. Hat sich Hilfe geholt, hat sich geöffnet. Er hatte Weggefährten an seiner Seite – allen voran sein Freund Bernie. Er ist geblieben, als andere gegangen sind. Hat zu ihm gehalten, als er selbst nicht mehr konnte. Eine Kraft, die mich hält – auch wenn ich selbst ins Wanken gerate. Ein Vertrauen, das bleibt, selbst wenn ich keine Worte dafür finde. Für manche ist es einfach ein Gefühl,
für andere eine innere Stärke. Für mich: ein Glaube, der im Stillen wirkt.

In der Bibel steht: „Der Gerechte fällt siebenmal und steht doch wieder auf.“ (Sprüche 24,16) Nicht, weil er besonders stark ist. Sondern, weil da jemand ist, der ihn hält. Der Grund des Lebens, den religiöse Menschen Gott nennen. Ich muss nicht alles alleine schaffen. Ich darf wackeln. Zweifeln. Und trotzdem weitergehen. Stehen – das heißt für mich heute: Ich bin noch da. Nicht perfekt. Nicht sicher. Aber aufrecht. Mit beiden Beinen auf dem Boden. Den Rücken gerade. Und den Kopf gehoben. Hier bin ich. I’m still standing.

Musik: I’m Still Standing