Sich selbst erlösen?
Zum Lied „Turning Tables“ (Wechselnde Standpunkte)
aus der CD „21“ von Adele
Es gibt Stimmen, die treffen den Nerv der Zeit. Die singen vielen Menschen aus der Seele. Und sie erzählen natürlich auch etwas von dem, was sie glauben. Eine Sängerin, die das derzeit tut, ist Adele. Seit gut einem Jahr steht sie ganz oben in den internationalen Hitparaden und bricht einen Rekord nach dem anderen. In den englischen Charts gehörten ihre beiden bisherigen Alben sogar gleichzeitig zu den besten Fünf. Das hatten vor ihr zuletzt 1964 die Beatles geschafft. Bis heute laufen Adeles Lieder täglich auf nahezu allen Popwellen. Kein Wunder – sie sind ja auch ansteckend mit ihrer ungeheuren Energie, aber vielleicht noch mehr mit den intensiven Gefühlen, die darin mitschwingen. Ganz stark singt Adele von ihrer Schwäche, denn es geht dabei immer um ihr unbewältigtes Leben. Anschaulich zeigt das der Anfang ihres Liedes „Rolling in the deep“. Da singt sie, wie in ihrem verwundeten Herzen ein Feuer anfängt zu lodern. Und dann schleudert sie wilde Drohungen gegen ihren Geliebten, Ausdruck brennender Eifersucht.
Musik 1: Anfang von „Rolling in the deep“
Adele Adkins, die 23jährige Sängerin aus England, singt nahezu ausschließlich über die Liebe – wie so viele. Aber sie tut das anders. Sie singt von deren Schattenseiten. Und das tut sie ehrlich und voller Inbrunst. Mal packt sie in ein Lied ihre ganze Wut über die Unzuverlässigkeit ihres Geliebten. Mal ihre Verzweiflung über die ewigen Missverständnisse beim Streiten. Mal ihre Trauer über das Ende. Immer spürt man ihre Energie, damit irgendwie fertig zu werden. Sie will sich nicht unterkriegen lassen, will es besser machen.
Adeles Themenspektrum ist klein – Liebe und Beziehung eben. Aber darüber singt sie so elementar, dass man andere Themen darin zu entdecken meint - weit über die eigenen Beziehungskisten hinaus. Es kommt einem so bekannt vor, wie sie vom Zappeln im Netz singt, wie sie sich befreien will und es nicht schafft. Hängen so nicht auch viele Menschen in den Netzen der Finanzkrise fest, strampeln, schwanken zwischen Angst und Hoffnung – und kommen da nicht raus? Und fühlt sich so nicht auch unser Wirtschaftssystem an, das das Geld immer weiter in die eine Richtung schaufelt, obwohl jeder weiß, dass auf Dauer den sozialen Frieden kaputt macht? Aber es ist offenbar niemand da, der daran etwas ändern könnte. Ein System außer Kontrolle.
Unter Kontrolle hat auch Adele in ihren Liedern nichts. Sie besingt sich als einen Menschen, der verstrickt ist in die Turbulenzen des Lebens, der aber dennoch an seine eigene Stärke glaubt. Zumindest glauben will. Darum geht es auch in einem weniger bekannten Lied mit dem Titel „Turning Tables“ – übersetzt: „Wechselnde Standpunkte“. Darin besingt sie, wie satt sie es hat, sich im Streit mit ihrem Partner verletzen zu lassen. Und dass sie sich besser schützen will. Dann beschwört sie sich selbst: „Das nächste Mal werde ich mutiger sein. Ich werde mein eigener Erlöser sein, wenn der Donner nach mir ruft. Das nächste Mal werde ich mutiger sein. Ich werde mein eigener Erlöser sein und auf meinen eigenen Füßen stehen.“
Musik 2: Ausschnitt von „Turning Tables“
„Ich werde mein eigener Erlöser sein“ singt Adele. Und benutzt dabei das englische Wort Redeemer, mit dem Christen Jesus Christus als ihren Erlöser bezeichnen. Doch von ihm erwartet Adele offenbar nichts. Umso mehr von sich selbst. Adele bringt hier einen Grundbaustein des modernen Lebensgefühls zum Ausdruck. Sie will ihrem Leben aus sich selbst heraus einen Sinn geben. Sie will selbst ihres Glückes Schmied sein. Das ist ein Urdrang vieler Menschen – insbesondere heute:
Klar, jeder sollte sich für sich selbst verantwortlich fühlen und jeder muss sein Leben aktiv gestalten. Doch dabei stößt jeder irgendwann an seine Grenzen. Das zu erkennen ist auch wichtig. Ob das Leben gelingt oder nicht, ob eine Beziehung gelingt oder nicht, das kann niemand nur aus sich heraus sicherstellen. Für eine Weile mag das so scheinen oder - mit etwas Glück - auch gelingen. Aber in jedem Leben wird es andere Phasen geben. Und dann? Wann beginnt überhaupt gelingendes Lebens? Wann ist es gut genug, erfolgreich genug oder gesund genug? Denn es gibt immer andere, die sind noch erfolgreicher, noch besser, noch schöner. Die Sängerin Adele ist da ehrlich genug, sie sieht das. Sie besingt, wie sie sich durch das Leben kämpft. Doch sie beharrt darauf: Sie will sich selbst erlösen. Dabei lässt sie durchaus erkennen, dass sie an einen Gott glaubt. In ihrem Lied „Turning Tables“ klagt sie: „Alles, was ich habe, liegt am Boden. Gott alleine weiß, wofür wir kämpfen.“
Musik 3: Anfang von „Turning Tables“
„Gott alleine weiß, wofür wir kämpfen.“, singt Adele. Gott erscheint hier als unbestimmte Macht, die mehr weiß als die Menschen. Die aber nichts tut.
Ich kann diese Einschätzung verstehen. Angesichts von so viel Gewalt und Elend auf der Welt. Da liegt der Eindruck nahe, dass es keinen handelnden Gott gibt und schon gar keinen Liebenden. Das christliche Bekenntnis von der Liebe Gottes, es müsste doch mehr zu sehen sein! Wo ist der Krankenwagen Gottes, wenn jemand krank wird? Wo ist der Sozialarbeiter Gottes, wenn die Armut droht? Wo ist Gottes liebevolle Hand, wenn der Liebesschmerz die Seele verbrennt?
Selbst dem Apostel Paulus ist es so ergangen. In der Bibel berichtet er davon. Da liegt er krank am Boden. Er betet zu Gott um Hilfe. Das ist doch sicher kein Problem, wird er gedacht haben, ausgerechnet ihm Gesundheit zu schenken. Schließlich will Paulus doch nur wieder auf die Beine kommen, er will wieder herumreisen und vom Glauben erzählen. Immerhin ist er die Stimme der ersten Christenheit. Doch Gott verwehrt ihm das. Stattdessen hört der kranke Paulus das Wort von Jesus Christus: „Lass dir an meiner Gnade genügen. Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“. Bestimmt hat das den Apostel Paulus zunächst einmal bitter enttäuscht. Doch die Antwort führt ihn direkt in die Tiefe des christlichen Glaubens hinein. Dort sind Glück, Erfolg und Gesundheit nicht die entscheidenden Währungen für ein gelingendes Leben. Dort steht Gottes Handeln in der Mitte. Dessen Kraft erfährt Paulus gerade in seiner Schwachheit. Am eigenen Leib erschließt sich dem kranken Paulus, um was es Jesus Christus geht. In ihm leidet Gott selbst ohnmächtig und stirbt am Kreuz. Darin wird er allen Schwachen zum Bruder und eröffnet ihnen neues Leben. Paulus lernt: Das Leben gelingt nicht nur dort, wo Glück, Erfolg und Gesundheit sind, sondern überall dort, wo Menschen sich im Tiefsten von Gottes Liebe getragen wissen. Das kann in Krankheit oder in Gesundheit sein, in Armut oder Reichtum und auch in den Höhen und Tiefen der Liebe.
„Lass dir an meiner Gnade genügen. Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Dieser Satz könnte auch die Sängerin Adele ermutigen, sich von Gott mit getragen zu wissen. Egal, wie viel Erfolg sie hat. Denn auch der hat seine Schattenseiten, die sie jetzt übrigens gerade erlebt.
Denn natürlich wollen alle wissen, wer denn der Mann ist, mit dem sie eine so turbulente Beziehung hatte. Die Jagd auf ihr Privatleben ist im Gange. Sie muss sich und ihre Freunde schützen und dabei mehr von sich preisgeben, als sie eigentlich wollte. Das bringt neue Turbulenzen in ihr Leben.
Am nächsten Sonntag wird Adele als junge Frau von 23 Jahren wahrscheinlich den Olymp des Erfolgs erreichen. Dann werden mit den Grammys die höchsten internationalen Auszeichnungen für Musiker vergeben. Für sechs davon ist sie vorgeschlagen: als beste Sängerin des Jahres, für das beste Lied des Jahres, das beste Album des Jahres, das beste Musikvideo des Jahres und so weiter. Aber vielleicht ist ihr schönster Erfolg ja, dass sie so vielen Menschen aus der Seele singen kann. Immerhin: Sie kann etwas ganz besonderes, mit ihren ehrlichen Liedern über das brüchige Leben kann sie Mut machen zu genau diesem Leben. Damit wäre sie ganz nah dran an dem, was Jesus Christus angetrieben hat. Der sagt: „Lass dir an meiner Gnade genügen. Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“
Musik 4: „Turning Tables“ komplett