Über Bienen und Menschen – und die Welt, in der sie leben
I
Zur Zeit haben wir auf unserem Frühstückstisch einen besonders leckeren Honig.
Und wir wissen, er ist naturnah und mit Sorgfalt produziert worden. Wahrscheinlich schmeckt man das mit. Dieser Honig stammt von einem befreundeten Imker – beziehungsweise von dessen Bienen natürlich. In seinem Hauptberuf ist der Mann Lehrer. Die Imkerei ist seine zweite große Leidenschaft, ihr widmet er einen beträchtlichen Teil seiner Freizeit.
Und jahrelang hat er beides auch zusammengeführt, das Imkern und das Unterrichten. In der integrativen Schule, in der er arbeitet, hat er ein Projekt mit Bienen angeboten. Jugendliche mit Behinderung und Nichtbehinderte haben gemeinsam gelernt, wie das funktioniert mit der Imkerei und mit welcher Art von Lebewesen man es da zu tun hat. Am Anfang hat es die Schülerinnen und Schüler natürlich immer einige Überwindung gekostet, sich überhaupt an die Bienen heranzuwagen. Aber war das geschafft, war der Weg frei für Neugier und Faszination. Mit großen Augen haben die Jugendlichen beobachtet, wie Bienen arbeiten und wie perfekt sie ausgestattet sind für all die verschiedenen Dinge, die sie tun. Wie eine Biene z. B. den Pollen aus ihrem Haarkleid bürstet, ihn mit Nektar vermischt und ihn dann als sogenanntes Pollenhöschen an den Hinterbeinen transportiert. Oder wie sie mit ihren Mundwerkzeugen diese sechseckigen Wabenzellen so formvollendet hinkriegt. Ganz von selbst hat sich dabei ein großer Respekt vor der Schöpfung eingestellt. Es gab viel zu staunen und zu lernen, vor allem auch darüber, wie gut Bienen organisiert sind und wie sie zusammenarbeiten, Hand in Hand sozusagen.
Offenbar ist das ansteckend gewesen. Denn die Jugendlichen selbst hatten zunehmend Freude daran, dann auch ihren Teil der Arbeit zu übernehmen. Um Honig oder Bienenwachs zu gewinnen, braucht man einiges handwerkliche Geschick und vor allem auch Geduld. Wenn man z.B. ein Holzrähmchen mit den Waben herausgenommen hat, muss man die Bienen ganz sanft herunterfegen, mit einem feinen Besen oder einer Feder – und mit Fingerspitzengefühl. Eine echte Herausforderung – und dann ein echter Erfolg. Ebenso, wenn es daran ging, Kerzen zu ziehen. Das war jedes Mal ein großes Ereignis – und eine Geduldsprobe, erzählt der Lehrer beziehungsweise der Imker. Denn die Kerzen müssen ja viele Male ins flüssige Wachs eingetaucht werden, bevor sie die nötige Stärke erreicht haben.
Und klar, am Ende so eines Projektes haben die Jugendlichen ihre Produkte dann immer auch zum Verkauf angeboten. Ein krönender Abschluss – zu erleben, wie dieser ganz besondere Honig und diese ganz besonderen Kerzen da weggegangen sind.
II
Wer sich etwas mit dem Thema Bienen und Imkerei beschäftigt, ist in der Regel schnell fasziniert. Man stößt auf jede Menge Wissenswertes und Staunenswertes. Honigbienen verfügen über einen äußerst differenzierten Sinnesapparat. Durch den können sie sich im Dunkel des Stockes ebenso zielsicher orientieren wie unter freiem Himmel. Ihr feines Gespür liefert ihnen immens viele Informationen: Farben und Düfte, Temperatur und Luftfeuchtigkeit, Himmelsrichtungen und Entfernungen. Bienenvölker sind erstaunlich gut organisiert, ihre Arbeitsteilung und ihre Kommunikation sind hoch entwickelt. Kundschafterinnen beispielsweise fliegen aus, um das nächste Blütenparadies aufzutun. Ist das gelungen, kehren sie zurück und benachrichtigen die anderen – indem sie tanzen, mit Bewegungen, die alle wichtigen Informationen enthalten. Dann erst setzt sich die große Schar der Flugbienen in Bewegung, um die Ernte einzubringen.
Auch im Innendienst wird perfekt zusammengearbeitet. Die Stockbienen entziehen dem ihnen übergebenen Nektar in einem ausgetüftelten Verfahren das überschüssige Wasser. Währenddessen fächeln die anderen mit ihren Flügeln die feuchte Luft nach draußen. So sorgen sie für ein gutes Raumklima.
In der kälteren Jahreszeit bleiben die Bienen im Stock und rücken in einer Kugel eng zusammen. In der Mitte sitzen die Königin und ihr Brutnest. Dort wird ein Temperatur von etwa 20°C gehalten. Kühlen die Bienen, die außen sitzen, ab, krabbeln sie ins Innere und tauschen die Plätze mit den anderen. Durch diese Rotation hält man sich dauerhaft gegenseitig warm.
Mit menschlichen Augen betrachtet, sieht das ganz nach einem beneidenswerten Sozialverhalten aus. Aber die verschiedenen Rollen sind doch sehr festgelegt. Das Leben der männlichen Drohnen ist vergleichsweise kurz und unerfreulich, jedenfalls eintönig: maximal vier bis fünf Wochen haben sie auf dieser Erde. Im Herbst oder Winter, wenn man(n) nicht mehr gebraucht wird, wird man auch mal früher aussortiert. Die anderen füttern einen dann nicht mehr und schmeißen einen raus. Eine Königin kann es auf vier, fünf Jahre bringen. Aber auch dieses Leben ist vergleichsweise eintönig – Eierlegen ist ihre einzige Aufgabe im Bienenvolk. Immerhin gibt es einen gewissen Luxus: sie bekommt das spezielle Königinnenfutter, das Gelèe Royale.
Die Arbeitsbienen haben wohl das beste Los gezogen. Denn sie haben Abwechslung in ihrem Leben, weil sie Schritt für Schritt alles erledigen können, was anfällt: Putzen, Füttern, Bauen, Wachen, Fliegen und die Ernte eintragen – je nach Lebensabschnitt. Wobei so ein Abschnitt immer nur ein paar Tage dauert; in der Saison kommen sie auf insgesamt 40 bis 45 Tage Lebenszeit. Trotzdem scheint arbeiten zu können wirklich das große Los zu sein. Zugegeben, das alles ist sehr menschlich gedacht. Die Rollen sind festgelegt, wie gesagt, viel Spielraum ist da nicht. Ich habe es bei aller Liebe doch mit einem Stück Natur zu tun. Allerdings ist das ein überaus vielseitiges und faszinierendes. Und als solches steht es in einem größeren Zusammenhang.
III
Mit religiösen Augen betrachtet, habe ich es bei den Bienen nicht nur mit einen Bereich der Natur zu tun, der mich fasziniert. Sondern ich sehe darüber hinaus einen Teil von Gottes Schöpfung, der mich begeistert. Da meldet sich meine innere Stimme dann auch mal mit Worten aus der Bibel: „Gott, wie sind deine Werke so groß und so viel! Du hast sie alle weise geordnet“(Psalm 104, Vers 24).
Sicher, in diesen Wochen seit dem 11. März kommt einem so ein Satz nicht leicht über die Lippen. Denn in dem Erdbeben und dem Tsunami ist einmal mehr die Gewalt aufgebrochen, die auch in der Natur steckt. Sie hat ihr Schreckensgesicht gezeigt. Und die Schöpfung oder der Schöpfer selbst kann einem dabei fremd und unheimlich werden. Aber was die Katastrophe dann ins Unermessliche und menschlich nicht zu Bewältigende gesteigert hat, ist die gigantische Unfallserie in den von Menschen dort gebauten und betriebenen Atomkraftwerken.
Wenn ich mich in solchen Zeiten mit Bienen beschäftige, dann merke ich nicht nur, wie ich neben all den Schreckensnachrichten auch mal ein anderes Thema und andere Bilder brauche. Ich merke vor allem auch, was die Faszination der Imkerei wesentlich ausmacht: zu sehen, wie da Mensch und Natur sich ergänzen und zusammenarbeiten. In diesem Fall ist das für beide Seiten mal ein echter Gewinn. Sicher, die Bienen werden für menschliche Zwecke benutzt. Man erntet Honig und Wachs und noch ein paar weitere Produkte – aber doch nur so viel, dass genug für die Tiere selbst übrigbleibt. Imker und Imkerinnen pflegen ihre Bienenvölker und schützen sie davor, von Schädlingen befallen zu werden, kollektiv zu erkranken oder wegzusterben.
Bienen und Menschen im Verbund leisten ein immenses Pensum für die Landwirtschaft und den Obstanbau, auch für die Vermehrung von Wildpflanzen sowie generell für das ökologische Gleichgewicht. Aber seit einigen Jahren macht sich stark bemerkbar, wie die Bienenbestände zurückgehen. Es gibt da deutliche Alarmsignale.
Um so wichtiger, Bedingungen zu schaffen, unter denen die Imkerei ein gute Zukunft hat. Damit möglichst vielen ihre Freude an dieser naturnahen, schöpfungsnahen Arbeit erhalten bleibt – und andere die für sich vielleicht neu entdecken können.
Ich selbst werde wahrscheinlich nie ein Imker werden. Aber ich kann mich informieren und genauer hinschauen – und dabei immer mal wieder von Herzen staunen. Nicht zuletzt darüber, wie Gott in seiner Schöpfung anwesend ist. Was sich offenbar auch darin spiegelt, wie die Bienen beschaffen sind und was sie alles können. Und darin, wie Menschen für sie sorgen und mit ihnen zusammenarbeiten.