Die Erde, Gottes Schöpfung
Heute werde ich Gottesdienst im Freien feiern, ich freu mich schon drauf. Es ist Schöpfungszeit gerade. Die Erde als Schöpfung Gottes wird jetzt im September in den Mittelpunkt gerückt. Und deswegen gibt’s an vielen Orten Gottesdienste draußen in der Natur. Ich fand das schon in den letzten Jahren wunderbar: Auf einem Campingstuhl unter Bäumen sitzen, hinaufschauen in das wunderbar leuchtende Blattwerk – und in dieser Atmosphäre dann singen und beten zu Gott, der all das geschaffen hat! Ich genieße die Schöpfung jetzt im September wirklich besonders. Die Blätter, die sich gelb und rot färben und in der Sonne leuchten. Das Obst, das es jetzt zuhauf gibt in den Gärten oder auf dem Wochenmarkt, Äpfel, Birnen, Pflaumen, die wunderbar duften und schmecken. Ich lobe meinen Gott für all diese Herrlichkeiten und Köstlichkeiten!
Päpstliches Schreiben „Laudato si“
„Laudato si“, so heißt ein mittelalterlicher Lobgesang des heiligen Franz von Assisi. Gelobt seist du Gott, für diese Erde, für deine Schöpfung. Dieser alte Lobgesang hat auch der Umweltenzyklika von Papst Franziskus den Namen gegeben, die vor zehn Jahren erschienen ist, „Laudato si“. Sie hat das große Lob auf die Schöpfung verbunden mit einer großen Verantwortung für die Schöpfung. Wir müssen unsere Erde, unser gemeinsames Haus, schützen und bewahren, hat Papst Franziskus damals 2015 geschrieben. Das war kurz vor dem Klimagipfel in Paris.
Der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, ehemaliger Leiter des „Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung“, hat das Schreiben einmal einen „Game Changer“ genannt für die ganze Klimadebatte. Er sagt: „Sie … hat die Stimmung der Klimaverhandlungen und auch allgemein der Klimaaktivitäten der sozialen Bewegungen nachhaltig verändert.“ (vgl. www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2020-05/vatikan-laudato-si-schellnhuber-klima-corona-krise-umdenken.html)
Ich glaube an Gott, den Schöpfer
Auch mich hat „Laudato si“, das päpstliche Schreiben zur Schöpfung damals sehr beeindruckt. Seit meiner Jugend ist es mir wichtig, die Umwelt zu schützen. Und dann kam dieser Papst, der ganz ausdrücklich sagt: Die Bewahrung der Schöpfung ist nichts, was irgendwie noch dazukommt zu meinem christlichen Glauben und zur Nächstenliebe. Die Sorge um die Erde ist zentral und wesentlich. Schon, weil Gott diese unsere Erde geschaffen hat. Im christlichen Glaubensbekenntnis heißt es: „Ich glaube an Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat.“
Musik 1: Johann Sebastian Bach, „Patrem omnipotentem“ aus der h-Moll-Messe (CD: J. S. Bach, Messe in h-Moll, Gächinger Kantorei Stuttgart, Freiburger Barockorchester, Hans-Christoph Rademann, CD 2, Track 2)
Gott hat Himmel und Erde geschaffen, die sichtbare und die unsichtbare Welt. So steht es im christlichen Credo, im Glaubensbekenntnis. Johann Sebastian Bach hat das in seiner berühmten h-Moll-Messe wunderbar vertont.
Das ökumenische Bekenntnis von Nizäa
„Symbolum Nicänum“ wird das Credo auch genannt. Weil das Glaubensbekenntnis formuliert und festgelegt wurde beim Konzil von Nizäa, im Jahr 325 nach Christus. 1700 Jahre ist das jetzt her, das Credo feiert Jubiläum dieses Jahr. Es wurde übrigens damals in Nizäa, in der heutigen Türkei, von Bischöfen aus Ost und West formuliert und gilt deswegen als ökumenisches Glaubensbekenntnis. Bis heute vereint es die christlichen Kirchen verschiedener Konfessionen und Länder. Himmel und Erde sind Gottes Schöpfung: Das glauben Christinnen und Christen aller Glaubensrichtungen auf der ganzen Welt.
Die ökumenische Schöpfungszeit
Und genauso ökumenisch ist die Überzeugung: Wir Menschen sollen diese Schöpfung Gottes schützen und bewahren. Die Schöpfungszeit, die viele Christinnen und Christen jetzt im September feiern, hat ihren Ursprung auch in den Ostkirchen. Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Dimitrios I., hat 1989 vorgeschlagen, den 1. September als einen „Tag zur Bewahrung der natürlichen Umwelt“ zu begehen. Der Vorschlag wurde aufgegriffen und erweitert: 2007 hat die Europäische Ökumenische Versammlung der Kirchen bei ihrem Treffen in Sibiu empfohlen, die Zeit vom 1. September bis 4. Oktober als Schöpfungszeit zu würdigen. Und Papst Franziskus hat 2015, in dem Jahr, in dem auch seine Umweltenzyklika herauskam, für die katholische Kirche den 1. September offiziell als „Weltgebetstag für die Schöpfung“ eingeführt. Zehn Jahre später wird die Schöpfungszeit an vielen Orten – auch in Hessen – ökumenisch gefeiert.
Oikos, Ökumene, Ökologie
Ich finde es wunderbar, dass die Bewahrung der Schöpfung ein großes gemeinsames Projekt der christlichen Kirchen ist. Im Grunde steckt das schon in dem Wort „Ökumene“: Es ist ja nah an dem Wort „Ökologie“ und geht auf das gleiche griechische Wort zurück: Oikos. Es meint ursprünglich das bewohnte Haus, die Hausgemeinschaft. Papst Franziskus greift das in seiner Umweltenzyklika gleich im Untertitel auf, er lautet: „Über die Sorge für das gemeinsame Haus“. Wir wohnen ja, egal, wie wir glauben und welche Ansichten wir haben, alle in einem oikos, einem gemeinsamen Haus, auf unserer gemeinsamen Mutter Erde. Und alle Erden- und Himmelsbürger staunen auch immer wieder über das Wunderwerk dieser Erde.
Musik 2: Joseph Haydn, „Mit Staunen sieht das Wunderwerk“ aus „Die Schöpfung“ (CD: Haydn, Die Schöpfung, Nikolaus Harnoncourt, Concentus Musicus Wien, Arnold Schoenberg Chor, CD 1, Track 5)
„Mit Staunen sieht das Wunderwerk der Himmelsbürger frohe Schar“, so heißt es hier in Joseph Haydns berühmtem Werk „Die Schöpfung“. Das Staunen steht für mich auch am Anfang jedes Engagements für die Umwelt. Wenn ich jetzt im September all den Reichtum der Natur genieße, leuchtend bunte Bäume, leckeres Obst. Wenn ich mich erinnere an die grandiose Bergwelt, die ich im Sommerurlaub wieder durchwandert habe: Dann kann ich manchmal auch gar nicht anders als aus vollem Herzen und voller Kehle zu rufen: Gott, danke für diese Erde! Auch Papst Franziskus hat sein päpstliches Umweltschreiben damals vor zehn Jahren mit dem Lob an den Schöpfer begonnen. „Laudato si“ hat er seine Enzyklika genannt, „Gelobt seist du, Gott“. Und er knüpft damit an den alten Lobgesang des Franz von Assisi an.
Zuneigung und Zärtlichkeit für die Erde
Darin heißt es: „Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde, die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.“ Vielleicht klingt das für manchen ein bisschen naiv oder sogar esoterisch: dieses Staunen und Singen über Natur und Mutter Erde. Aber Papst Franziskus hat, finde ich, recht, wenn er sagt: Es macht einen Unterschied, ob wir die Welt nur in der Sprache von Berechnung und Gewinn wahrnehmen – oder eben in der Sprache der Poesie, mit Zuneigung und Zärtlichkeit. Wenn ich mich der Welt nähere mit einer Offenheit für das Staunen und das Wunder: Dann entsteht eine andere Art von Beziehung. Eine Beziehung zur Erde, die mich vielleicht auch davor bewahrt, sie nur als bloßen Gebrauchsgegenstand oder Objekt meiner Herrschaft zu sehen. (vgl. Laudato Si Nr. 11) Das war ja lange Zeit auch eine problematische Deutung der Schöpfungserzählung aus der Bibel: Der Mensch dürfe angeblich die Welt beherrschen und ausbeuten. Aber die Bibel wird da falsch interpretiert, erklärt Papst Franziskus in seinem Umweltschreiben. Schon in diesen ersten Texten der Bibel geht es darum, dass der Mensch die Welt bebauen und behüten soll, im Sinne von: kultivieren, schützen, bewachen, erhalten. (vgl. Laudato Si Nr. 67)
Loblied über und mit der Schöpfung
Auch im Lobgesang des heiligen Franz von Assisi steckt dieser Zugang zur Welt: Der Mensch staunt über sie, fühlt sich mit ihr verbunden, will sie bewahren – und ist voll des Lobes über sie. In der Bibel gibt es auch schon solche Lobgesänge über die Erde. In den Psalmen vor allem. Und wie im Loblied des heiligen Franziskus wird auch dort nicht nur über die Welt gesungen, sondern sogar mit ihr. Mensch und Natur jubeln gemeinsam zu Gott. „In die Hände klatschen sollen die Ströme, und die Berge sollen jubeln im Chor“, heißt es in Psalm 98 (Psalm 98,8). Wunderbar vertont hat das Vytautas Miskinis, ein zeitgenössischer Komponist aus Litauen. „Cantate Domino“, „Singt dem Herrn“ heißt sein Stück.
Musik 3: Vytautas Miskinis, Psalm 98 – Cantate Domino (CD: Buch der Psalmen. Vertonungen des 20. Jahrhunderts. Kölner Kantorei, Volker Hempfling, Track 11)
Menschen, Ströme und Berge singen zusammen das Lob Gottes. So heißt es im Psalm 98, hier in der Vertonung von Vytautas Miskinis. Die Erde lobt Gott – aber im Umweltschreiben von Papst Franziskus aus dem Jahr 2015 steht auch noch etwas andres: Die Erde seufzt und schreit zu Gott, wegen des Schadens, den wir Menschen ihr zugefügt haben. Papst Franziskus nimmt auch damit Bezug zur Bibel, zum Römerbrief, in dem es schon heißt: Die Welt seufzt und liegt in Geburtswehen (Römer 8,22).
Die Welt seufzt und leidet
Es geht der Erde heute nicht gut, das weiß jeder Mensch, der mit offenen Augen und Ohren in dieser Welt lebt und der Wissenschaft glaubt und den Klimaberichten und -prognosen. Menschen, die gerne in den Bergen wandern wie ich, können es jeden Sommer sehen: wie Geröll und Steinschlag zunehmen und die Gletscher verschwinden. Wir haben es dieses Jahr in den Dolomiten an der Marmolada beobachtet und letztes Jahr am Dachstein: Da waren wir 15 Jahren vorher schon einmal gewesen, und ich war wirklich schockiert, wie wenig von der gewaltigen weißen Masse noch da ist. Statt Eis nur noch Bäche und Seen. Was das für die Wasserversorgung der Menschen auch bei uns im Tal bedeutet, mag man sich gar nicht vorstellen. Und auch mir kommt deswegen manchmal nicht nur Lobgebet über die Lippen, sondern ein Seufzen: „Oh Gott, bitte pass auf deine Schöpfung auf! Und gib uns Ideen und Kraft, dass wir die Erde besser bewahren!“
Wie kann ich die Erde behüten und bewahren?
Wie kann das gehen? Wie kann ich effektiv etwas tun gegen den Klimawandel, den Gletscherschwund, die Zerstörung der Erde? Die Schöpfungszeit jetzt, vom 1. September bis 4. Oktober, inspiriert mich, noch weiter darüber nachzudenken und mich mit anderen auszutauschen. Zum Thema Mobilität zum Beispiel. Ich erzähle gerne davon, dass wir zu unseren Hüttentouren in den Alpen seit über zwanzig Jahren mit dem Zug fahren. Das klappt natürlich auch deswegen gut, weil wir vor Ort dann kein Auto mehr brauchen, wir bleiben oben in den Bergen und laufen von Hütte zu Hütte. Aber es ist wirklich auch ein gutes Gefühl, dass wir mit unserer Anreise nicht übermäßig CO 2 produzieren. Mittlerweile gibt der Alpenverein sogar auf manchen Hütten Ermäßigungen für Menschen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Und es gibt noch so viel mehr Möglichkeiten, etwas zu tun für die Bewahrung der Schöpfung.
Musik 4: aus: Heinrich Schütz, Danket den Herrn, denn er ist freundlich, SWV 32, (CD: Heinrich Schütz: Psalmen Davids SWV 22-47, Kammerchor Stuttgart, Musica Fiata Köln, Frieder Bernius, CD 1, Track 11)
Das Lob auf Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, erklingt auch herrlich in dieser Psalmvertonung von Heinrich Schütz. Schöpfungszeit ist jetzt im September. Die Kirchen regen dazu an, das Lob auf die Schöpfung zu singen und sich für sie einzusetzen. Und sie tun auch selbst einiges. Im Bistum Mainz gibt’s zum Beispiel regelmäßig einen Umweltpreis – letztes Jahr für Projekte rund um die Klimaanpassung, ein Stück neues Grün neben dem Gemeindezentrum etwa. In der EKKW, der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, die ja den Wald schon im Namen hat, pflanzen sie neue Bäume – 700.000 sind das Ziel. Sich um Bäume kümmern, neue pflanzen und alte hegen und pflegen: Das, find ich, ist auch ein gutes Ziel für die Schöpfungszeit. Ich hab es mir besonders für die kommenden Wochenenden vorgenommen: Da stehen nämlich zwei große Aktionstage an, der „Rhine clean-up“-Tag am 13. September, an dem die Flussufer des Rheins aufgeräumt werden, und der „World clean up“-Tag am 20. September, auch an diesem „Weltaufräumtag“ da gibt es viele Aktionen.
Aufräumen rund um Bäume
Ich werde mir dabei besonders die Bereiche rund um die Bäume vornehmen. Ich mag Bäume. Gerade in den immer heißer werdenden Sommern werden sie mir immer wertvoller. Ihr Schatten tut dann besonders gut. Aber auch jetzt im Herbst stell ich mich gerne unter einen Baum, schaue hinauf in die Baumkrone, die immer bunter wird, und genieße das. Rund um die Bäume liegt aber auch immer wieder viel Müll, vor allem Zigarettenkippen. Die sind hoch giftig, eine Kippe kann bis zu 40 Liter Wasser verseuchen. Wenn ich mit meiner Müllzange unterwegs bin, dann nehme ich mir deswegen gerade diese Kippen rund um die Bäume besonders vor und sammle sie ein. Und ich erwisch mich dabei, wie ich dann manchmal sage: So, lieber Baum, jetzt hab ich für dich das giftige Zeug weggeräumt, jetzt bleibt das Wasser, das du trinkst, sauber.
Gottesdienst unter Bäumen
Bäume sind ein wunderbarer Teil der Schöpfung. Und deswegen freu ich mich auch besonders darauf, heute unter Bäumen Gottesdienst zu feiern. Schöpfungsgottesdienst in der Schöpfungszeit. Ich danke und lobe dann Gott aus vollem Herzen dafür, dass er Himmel und Erde so großartig geschaffen hat. Die Bäume, die Berge, die Flüsse, das Meer, jede kleine Blume. In der Musik von Joseph Haydn kommt die Begeisterung für Gottes Schöpfung besonders gut zum Ausdruck, zum Schluss soll sie noch einmal erklingen: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“.
Musik 5: Joseph Haydn, „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ aus „Die Schöpfung“ (CD: Haydn, Die Schöpfung, Nikolaus Harnoncourt, Concentus Musicus Wien, Arnold Schoenberg Chor, CD1, Track 14)