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GettyImages/Markusunger
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Himmelfahrt - Wo wohnt Gott?

Dr. Thomas Dörken-Kucharz
Ein Beitrag von Dr. Thomas Dörken-Kucharz, Evangelischer Pfarrer und Chef der Rundfunkarbeit im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, Frankfurt
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Sprecherin: Karmen Mikovic

Musikkonzeption: Kantor Uwe Krause

 

Autor: Ein Ausflug mit meiner Großmutter, ich war junger Erwachsener. Wir wollen ins Benediktinerkloster Neresheim. Sie kommt aus dem Ruhrgebiet und ist zu Besuch im Wohnort meiner Kindheit in Württemberg an der Ostalb. Meine Großmutter ist eine einfache Frau und in ihrem damals siebzigjährigen Leben nicht sehr viel herumgekommen. Mir selbst gefällt die Abteikirche Neresheim von Balthasar Neumann und die will ich ihr zeigen.

Sie hat Tränen in den Augen und stammelt: „Dass es so etwas Schönes gibt!“

Womit ich nicht rechne, als wir die Kirche betreten: Meine Großmutter ist vollkommen erschüttert. Sie hat Tränen in den Augen und stammelt: „Dass es so etwas Schönes gibt!“ Dann setzt sie sich in eine Bank, betet, kann sich nicht satt sehen an der Architektur und bewundert den barocken Himmel in der Kuppel. Noch Tage später spricht sie von diesem wunderbaren Erlebnis - auch wenn sie sonst in religiösen Dingen ziemlich wortkarg ist. In dieser Kirche war für sie Gott gegenwärtig.

Das Kirchenbauprogramm des Barock ist bei meiner Großmutter voll aufgegangen. Die Abteikirche in Neresheim besticht durch ihre gewagte Architektur und das größte einteilige Deckenfresko der Welt. Was in Neresheim in überwältigender Perfektion zu bewundern ist, gehört so ähnlich zum Programm jeder barocken Kirche. Sie geben eine Vorstellung vom Himmel als Wohnstätte Gottes und zeigen ihn in aller Pracht. Hier in der Kirche öffnet sich der Himmel, hier ist er bewohnt und Gott ist ganz nah.

Spirituelle Bauten: Orte, an denen man Gott erfahren kann

Der barocke Kirchenbau hat auf die Spitze getrieben, was Menschen schon immer wollten. Ihrer religiösen Erfahrung einen Ort geben und den Pfad zu Gott eindeutig machen, Gott nah herbeiholen. Schon in der Frühgeschichte haben Menschen die Orte gekennzeichnet und verehrt, an denen sie spirituelle Erfahrungen gemacht haben.

Solche Plätze haben oft bis heute eine spirituelle Aura. Wer Stonehenge in England oder Steinkreise in Schottland besucht, kann das noch tausende Jahre später empfinden. Auch das deutsche Pendant zu Stonehenge, das beeindruckende Ringheiligtum aus Holz in Pömmelte an der Elbe lässt das erahnen.

Man kann Gott nicht in ein Abbild pressen

Aus besonderen Stätten wurden feste Häuser für die Gottheiten: Tempel. Im Tempel brachte man der Gottheit Gaben und Opfer dar. Dort war Gott zu finden. Dort konnte man beten, Rat und Weisung bekommen. Meistens war der jeweilige Gott, die verehrte Göttin als Bildnis zugegen. Das hat sich in den monotheistischen Religionen dann radikal geändert. Ob Judentum, Christentum oder Islam, sie haben begriffen: Ein universaler Gott und ein Tempel vertragen sich nicht so einfach. Man kann Gott nicht in ein Abbild pressen.

Musik 1

Natürlich hatten die Israeliten seit der Zeit von König Salomo einen Tempel in Jerusalem. Und bis heute ist der Tempelberg ein heiliger Ort im Judentum, auch wenn vom Tempel nur noch die westliche Stützmauer steht, die im Deutschen leider Klagemauer heißt. Auch wenn es viel zu klagen gibt: Wer je dort war, weiß: Dort wird manchmal auch geklagt, vor allem aber wird still gebetet und oft auch gejubelt und gefeiert.

Den ersten Tempel hat König Salomo bauen können, nachdem sein Vater David bereits Jerusalem erobert und die Bundeslade in die neue Hauptstadt gebracht hatte. Die Bundeslade war das mobile Ursprungsheiligtum mit den Gesetzestafeln der zehn Gebote. Doch braucht Gott einen Tempel? Passt er dorthinein? Schon als Salomo den Tempel einweiht, thematisiert er diese Fragen:

Gottes Gegenwart übersteigt alles – sogar den Himmel.

Sprecherin: „Die Sonne hat der HERR an den Himmel gesetzt. Doch er selbst wollte im Wolkendunkel wohnen. So habe ich nun für dich, HERR, dieses Haus gebaut: Ein würdiger Ort, an dem du für immer wohnen kannst.“ Dann drehte sich der König um und segnete alle versammelten Israeliten. Die ganze Versammlung Israels stand auf vor ihm. Und Salomo sprach:

„Sollte Gott wirklich auf der Erde wohnen? Selbst die unendliche Weite des Himmels kann dich, Gott, nicht fassen! Wie könnte das der Tempel, den ich gebaut habe? (1 Könige 8,12-15.27 BasisBibel)

Autor: König Salomo ist sich bewusst: Der Tempel, den er hat bauen lassen, ist zwar ein Haus für Gott. Aber Gott lässt sich darin nicht fassen oder festmachen. Gottes Gegenwart übersteigt alles – sogar den Himmel.

Wenn Gott im Tempel wohnte, wo ist er jetzt?

Außerdem: Der Tempel wird zerstört. Erstmals von den Babyloniern im 6. Jahrhundert vor Christus. Erst nach Jahrzehnten wird er neu aufgebaut. Und diesen zweiten Tempel legen die Römer dann im Jahr 70 nach Christus in Trümmer. Wenn Gott im Tempel wohnte, wo ist er jetzt? Ist Gott noch Gott, wenn er zulässt, dass sein Haus zerstört wird? In dieser Krise hilft den Jüdinnen und Juden, dass ihr Glaube längst mehr eine Buchreligion als eine Tempelreligion ist.

So kommen sie seit fast 2000 Jahren ziemlich gut ohne zentrales Gotteshaus zurecht. Der eine Gott, an den Juden, Christen und Muslime auf je ihre Weise glauben, ist viel zu groß, um in einem Tempel zu hausen.

Heute gibt es bei Juden, Christen und Muslimen keine Tempel mehr

Deshalb haben diese drei Religionen keine Tempel mehr, sondern Synagogen, Kirchen und Moscheen. Orte, an denen man Stille und Einkehr sucht, Gemeinschaft und Ansprache. Diese Orte haben nicht den Anspruch, Wohnort Gottes zu sein. Die Atmosphäre eines Gebetshauses soll aber helfen, sich zu sammeln, die Alltagssorgen abzulegen, Gott zu finden.

Für die Christinnen und Christen ist bis in die Neuzeit hinein selbstverständlich, dass Gott im Himmel wohnt. Und das meint: Es gibt zwei Räume, den sichtbaren und den unsichtbaren Raum, den irdischen und den ewigen. Beide sind real und ineinander verschränkt. Die Kirchengebäude erzählen genau das. Sie sind dazu da, Zugang zum ewigen, himmlischen Raum zu eröffnen.

Viele wundern sich über die zahlreichen Kostbarkeiten in alten Kirchen und kritisieren sie. Und tatsächlich haben Ruhmsucht, Gier und Neid oft den guten Grundgedanken pervertiert. Aber man kann die Schätze in den Kirchen nur verstehen, wenn man sich klarmacht: Für viele Menschen vergangener Jahrhunderte war der ewige Raum wertvoller und kostbarer als der irdische Raum.

Gold und Silber in den Kirchen als Hinweis auf die Reiheit der anderen Welt

Gold und Silber in den Kirchen waren nicht allein wegen ihres Marktwertes wichtig. Wichtiger war: Sie sind rein, vermischen sich nicht und glänzen einzigartig. Sie sind sehr besonders. Das Reinste verweist auf die andere Welt, auf den himmlischen Raum. Im Gold und Silber spiegelt sich am ehesten der Glanz der anderen Welt. Der wahre, der göttliche Himmel ist nicht Schönwetterblau, er ist golden!

Nun, das stimmt und stimmt auch nicht. Denn ebenso sieht man auf vielen Altarbildern, dass Blau die göttliche Farbe ist. Wenn da jemand ein blaues Gewand anhat, dann ist es entweder Maria oder Jesus. Blau ist in der Natur selten. So selten, dass es im Alten Testament und auch bei den frühen Griechen gar kein Wort für die Farbe gibt. Und Blau ist auch die göttliche Farbe, weil sowohl das Meer als auch der Himmel blau sind, unendlich und nicht greifbar.

Gold, Silber und Blau sind nicht der Himmel, sie symbolisieren ihn. Gott und der Himmel sind nicht verfügbar, nicht einzuholen, aber real. Gott ist fern und doch nah. Einerseits wohnt Gott in einem unzugänglichen Licht, das niemand sehen kann (1. Timotheus 6,16). Andererseits zeigt sich Gott in Jesus, einem greifbaren Menschen, und ist da, wo sich zwei oder drei in seinem Namen versammeln (Matthäus 18,20).

Musik 2

Autor

Gott wohnt im Himmel. Und Himmel ist das, was die Menschen umgibt und sich ihnen gleichzeitig entzieht, was „über“ ihnen ist. Dieser Himmel stimmt mit dem sichtbaren Himmel nur zum Teil überein. Das Wesentliche, nämlich Gott, ist ja unsichtbar darin. Dieser Himmel ist Gottes Raum. Das galt unbestritten bis in die Neuzeit.

Der Himmel als unendlicher Raum

Doch dann entdeckt der Naturphilosoph Isaac Newton: Der irdische Raum, also der berechenbare dreidimensionale Raum, ist prinzipiell unendlich. Zur gleichen Zeit erforscht und berechnet man intensiv den sichtbaren Himmel. Mit optischen Hilfsmitteln kann man auch immer weiter sehen. Da ist kein Himmelsgewölbe mehr, sondern unendlicher Raum mit ungezählten Planeten und ungeheuerlichen Entfernungen.

Der dreidimensionale Raum ist unendlich, der Himmel ist Teil dieses Raumes und da ist nirgends ein Gott zu entdecken. Gott hat plötzlich keinen Raum mehr. Anscheinend gibt es auch keinen Platz für einen anderen Raum. Newton und in seinem Gefolge Generationen von Forschern halten den Raum für absolut. „Daneben“ kann es keinen anderen geben. Salopp gesprochen stehen Gott und der Glaube mit dem Rücken zur Wand, wenn es denn eine solche Wand gäbe.

Manche beschreiben Gott als eine weitere Dimension

In den letzten beiden Jahrhunderten sucht die Theologie nach Auswegen. Manche meinen, von Gott als einer anderen, weiteren „Dimension“ reden zu können. Doch auch das macht die Wissenschaft zunichte. Denn auf der Suche nach der Weltformel entdecken die Physiker, dass der Raum mindestens elf Dimensionen hat und alles, selbst die Zeit eine Dimension dieses Raumes ist.

Die Zeit als vierte Dimension kann man sich noch halbwegs vorstellen. Elf Dimensionen übersteigen das Vorstellungsvermögen. Man kann sie höchstens beschreiben und berechnen. Und von Gott als einer weiteren Dimension zu sprechen, ergibt keinen Sinn. Denn niemand wüsste, was man sich dann unter Gott vorzustellen hätte.

Ist Gott nur innerlich?

Wenn Gott keinen Raum beanspruchen kann, wo ist er dann? Der Philosoph Immanuel Kant behauptet: Gott ist nur innerlich. Gott ist eine Vorstellung, ein moralisches Gesetz. Er braucht keinen Raum, er ist eine wirksame Idee. Doch auch diese raumlosen Vorstellungen lässt die Wissenschaft nicht in Ruhe: Psychoanalyse und Hirnforschung zerkratzen das Bild, dass Gott ganz innerlich ist. Hat die Wissenschaft Gott endgültig obdachlos gemacht?

Nun, die Weltformel wurde nicht gefunden und der Raum ist nicht länger totalitär. Denn es gibt das Internet, den virtuellen Raum. Das klingt verblüffend, aber seit es das Internet gibt, hat sich die Diskussionslage verändert. Denn das Internet schafft mit physikalischen Mitteln einen Raum, der sich trotzdem physikalisch nicht berechnen lässt.

Alle, die Tag für Tag in Videokonferenzen sitzen, die online Computerspiele mit anderen spielen oder die Live-Events in Social Media beiwohnen, erleben diesen Raum. Der sogenannte Cyberspace ist so real wie der physikalische Raum, und doch „nur“ virtuell. Wobei das „Nur“ in Anführungszeichen steht.

Gott kann also im Himmel wohnen und der Himmel ist nicht einfach das physikalische Universum

Hier sollen keineswegs Cyberspace und Internet himmlisch verklärt werden. Anfangs haben das tatsächlich viele getan und es mit großen Verheißungen religiös aufgeladen. Davon bin ich weit entfernt. Im Internet gibt es mindestens so viel Müll und Schmutz, Hass und Böses wie in der physikalischen Welt. Aber dass es einen solchen virtuellen Raum gibt, holt die religiösen Vorstellungen und Erfahrungen aus der Defensive. Durch den Cyberspace ist es plötzlich selbstverständlich, dass es virtuelle Räume gibt und auch weitere Räume geben kann. Der Wind hat sich gedreht. Plötzlich sind die „Es-gibt-nur-was-man-sieht“-Erklärer in der Defensive.

Nochmal: Damit ist keine Gleichsetzung von Cyberspace und religiösem Erfahrungsraum gemeint. Es bricht nur die Vorherrschaft des physikalisch erklär- und berechenbaren Raums. Es kann selbstverständlich neben dem physikalischen Raum andere, nicht berechenbare Räume geben, die nicht weniger real sind. Also kann Gott im Himmel wohnen und der Himmel ist nicht einfach das physikalische Universum.

Musik 3

Autor 

Damit ist natürlich nichts bewiesen. Ob es Gott gibt und ob er im Himmel wohnt, das kann nur jede und jeder mit dem eigenen Glauben oder Nicht-Glauben beantworten. Wer glaubt, dass es Gott gibt, glaubt aber nicht nur an ein moralisches Gesetz und an einen raumlosen Gott. Gott ist mehr als eine Idee.

Es gibt viele verschiedene Bilder für den Raum Gottes

Die alten Fresken in den Kuppeln und die Bilder auf den Altären sind vielleicht doch nicht so abwegig. Sie sind in vielem naiv, aber nicht überholt und aufgeklärt erledigt. Man kann Wissenschaft schätzen, wissenschaftlich denken und dennoch glauben, dennoch Gott Raum geben. Der Himmel ist eben nicht das seit dem Urknall sich beständig ausdehnende Universum, das wir Menschen erforschen und immer mehr darin entdecken. Gott kann „daneben“ und „darin“ oder „darüber hinaus“ eigenen Raum haben. Dafür kann das Bild des Himmels dienen. Es gibt aber auch andere Bilder für den Raum Gottes: Der Garten Eden am Anfang der Bibel oder die himmlischen Stadt am Ende.

Die Bilder wollen zeigen, dass ein anderer Raum unseren Raum berührt. Die Wirklichkeit Gottes lässt sich weder erfassen noch bemessen. Man kann sich aber von ihr berühren lassen und sie sich ausmalen. In der biblischen Apostelgeschichte heißt es: „In Gott leben, weben und sind wir“ (Apostelgeschichte 17, 28).

Gott in der Wolken

Die Bibel hat für diese unsichtbare Nähe Gottes das alte Bild der Wolke. So hatte es schon König Salomo gesagt bei der Einweihung des Jerusalemer Tempels, „Gott will im Wolkendunkel wohnen“. Das hat eine lange Tradition, denn das Volk Israel erlebte Gott während seiner Wüstenwanderung als Wolkensäule und Feuerschein. Zeichen der Nähe Gottes.

Nebel ist nichts anderes als eine Wolke, die einen umhüllt. Dieses Wolken- oder Nebelbild spielt auch bei der Himmelfahrt Jesu eine Rolle. Als Jesus „in den Himmel fährt“, da hebt er nicht ab wie eine Rakete, sondern es heißt, eine Wolke nimmt ihn auf. Er ist vor den Augen der Jüngerinnen und Jünger entschwunden. Man könnte auch sagen, der Nebel verschluckt ihn. Denn er ist in Gottes Raum hinein- oder hinübergegangen.

Gott wohnt da, wo man ihn einlässt

Das „Wo“ Gottes ist befreit von der raumlosen Ideenhaftigkeit und reinen Innerlichkeit. Gott ist groß und fern und alles umfassend, zugleich aber uns ganz nah. Er ist überall und nicht nirgends. Aber alles Wissen über Himmelsräume und Ewigkeiten nützt nichts, wenn Gott nicht in uns Wohnung nimmt. Deswegen kann und will Gott in Menschen wohnen. Gott will im Herzen Einzug halten. Gott wohnt da, wo man ihn einlässt.

Das drückt spielerisch das Gedicht des Schweizer Pfarrers und Schriftstellers Kurt Marti aus, es heißt „grosser gott, klein“:

Sprecherin: 

grosser gott:

uns näher

als haut

oder halsschlagader

kleiner

als herzmuskel

zwerchfell oft:

zu nahe

zu klein –

wozu

dich suchen?

wir:

deine verstecke  [i]

Musik 4

 


[i] Kurt Marti, abendland. Darmstadt, 5. Aufl. 1984, S. 82

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