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Umkehrruf zu Mittsommer: Johannes der Täufer
Bild: Pfarrbriefservice

Umkehrruf zu Mittsommer: Johannes der Täufer

Stefan Wanske
Ein Beitrag von Stefan Wanske, Katholischer Pfarrvikar im Pastoralraum Gießen-Stadt
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Geburtstage werden im Kirchenkalender nur sehr selten gefeiert. Es sind eher die Todestage von Heiligen, die zu Gedenktagen werden. Einer der wenigen, deren Geburtsfest jedes Jahr begangen wird, ist Johannes der Täufer. Gerade in der letzten Woche hatte er seinen großen Tag, den 24. Juni.

"Sommerweihnacht"

In der frühen Kirche war der Johannistag so etwas wie ein sommerliches Weihnachtsfest, und tatsächlich wurde er auch mancherorts früher „die Sommerweihnacht“ genannt. Denn rund um dieses Datum fiel die sogenannte Sommersonnenwende mit dem längsten Tag und der kürzesten Nacht des Jahres.

Die Sonne, die auf dem Höhepunkt steht, nimmt nach dem Johannisfest langsam wieder ab: Die Tage werden kürzer und die Nächte immer länger. Ein halbes Jahr später, kurz nach der Wintersonnenwende, am 25. Dezember, wird dann Weihnachten gefeiert: die Geburt des Messias. Die Tage werden länger und die Nächte kürzer: „Das aufstrahlende Licht aus der Höhe“ erlöst alle, die „im Schatten des Todes“ leben, so heißt es im Neuen Testament. (vgl. Lukasevangelium Kapitel 1, Vers 78).

Wendezeiten im Leben

Dem Johannistag und den Wendezeiten im Jahr und im Leben möchte ich heute in dieser Morgenfeier zum Mittsommer nachgehen.

Auch die Musik habe ich danach ausgewählt. Die folgende Chorkomposition stammt von Johann Michael Bach, einem der sogenannten „Bach-Enkel“, bei dem die Wissenschaft nicht mehr ganz genau nachvollziehen kann, wie das genaue Verwandtschaftsverhältnis zum großen Johann Sebastian Bach nun wirklich war. Er wirkte um 1786 als Kantor hier bei uns in Hessen, in Tann in der Rhön. Wahrscheinlich in dieser Zeit schuf er seine Kirchenkantate „Auf den 4ten Advent und aufs Johannisfest“ mit dem Titel „Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten“. Mit diesen Worten beginnt der Eingangschor.

Musik 1: Johann Michael Bach: Chor „Wie lieblich sind auf den Bergen“; CD: Johann Michael Bach, Friedens-Cantata and other Cantatas, Rheinische Kantorei / Das kleine Konzert / Hermann Max, Label cpo (999 671-2), Track 21, 03:22

Der Gedenktag des Johannes, das Johannisfest wurde sicher mit Bedacht auf den 24. Juni gelegt. Schon der Heilige Augustinus kennt im vierten Jahrhundert diesen Termin.

Er passt aber ein halbes Jahr vor Weihnachten nicht nur gut in die biblische Zeitrechnung, sondern der Johannistag hat wahrscheinlich auch Wurzeln in alten vorchristlichen Zeiten: Mindestens die Sonnwendfeuer hat es schon vor dem Christentum gegeben. Sie haben die Nacht etwa auch bei den alten Germanen erleuchtet, wenn Wotan der Sage nach Walhall verließ und segnend über die Erde schritt.

Vorchristliches Brauchtum und christliche Übernahme

Da dieses uralte eingewurzelte Brauchtum auch zum christlichen Festanlass passte, wurde es kurzerhand, wie so manche anderen Bräuche rund um die Sommersonnenwende, ins Christentum mit übernommen:

Zum Johannistag gehörten früher zum Beispiel auch Johanniskränze aus siebenerlei oder neunerlei Kräutern und Pflanzen. Die Kränze wurden über Tür und Fenster gehängt, um vor Geistern und Dämonen zu schützen; ein Johanniskranz unter dem Kopfkissen sollte mancherorts Glück in der Liebe bringen, ähnlich wie ein Blütenteppich unter dem Esstisch, die so genannte „Johannisstreu“.

Auch die Asche des Johannisfeuers wurde als Segen auf die Felder gebracht.

Wichtiger Feiertag in Schweden

Gerade in den skandinavischen Ländern, wo es um den Johannistag herum nachts kaum noch richtig dunkel wird, wird das Mittsommer-Fest ausgiebig gefeiert, und es finden sich auch dort viele solche alten Bräuche wieder: Der Mittsommertag ist einer der wichtigsten Feiertage im schwedischen Kalender und rangiert in der Bedeutung gleich hinter Weihnachten. An diesem Tag verzehren die Schweden Räucherlachs, Hering, junge Kartoffeln und Erdbeeren und trinken dazu Aquavit, „Snaps“. Der Tanz ums Feuer und der Blütenkranz im Haar gehören bis heute dazu.

Kein Wunder, dass man die „Mitte des Jahres“ dann auch biblisch mit der „Mitte der Heilgeschichte“ identifizierte und so die beiden Feste, nämlich die Geburt Johannes des Täufers und das Mittsommerfest, von Anfang an verschmolzen sind:

Johannes der Täufer, der Einsiedler aus der Wüste, stand als „Mann der Mitte“ zwischen dem Alten und dem Neuen Testament: Er ist der letzte der großen alttestamentlichen Propheten. Die Bibel und die Überlieferung sehen in ihm einen Wegbereiter: Er ist der, der im hellsten Sommer ankündigt: Dann, wenn es am dunkelsten ist, wird das eigentliche Licht, nämlich Jesus Christus, kommen.

Johannes und Jesus

Auch der Evangelist Lukas verbindet im Neuen Testament die Geburt Johannes’ des Täufers gedanklich und literarisch mit der Geburt Jesu. In seiner Darstellung ist Johannes verwandt mit Jesus, die beiden Mütter sind Cousinen. Die Geburt des Johannes wird ebenso wie die Geburt Jesu durch den Engel Gabriel verkündet.

Wie später Jesus, hat Johannes zur Buße und Umkehr aufgerufen und als Zeichen für einen neuen Anfang im Leben Menschen im Jordan getauft. Jesus selbst, so erzählt es das Lukasevangelium, empfing von ihm eine solche Bußtaufe. Auch die ersten Jünger Jesu kamen aus dem Jüngerkreis des Johannes. Johannes selbst verstand sich als Rufer in der Wüste, als Vorläufer des Größeren, der nach ihm kommen würde. Umgekehrt aber nennt Jesus ihn „den Größten unter allen Menschen“.

Wolfgang Amadeus Mozart hat dieses biblische Wort für eine Festmesse zum Johannistag im Frühsommer 1771 vertont. Hier ist sein Offertorium „Inter natos mulierum“ in einer Aufnahme mit den Wiener Sängerknaben und den Wiener Symphonikern:

Musik 2: W.A. Mozart: Inter natos mulierum. Offertorium des S. Ioanne Baptista (KV 72); CD „Mozart: Krönungsmesse. Spatzenmesse“, Label Philips Digital Classics (411 139-2), Tack 6, fade out bei 04:25 (oder vorher )

Die Sonnenwende, das Mittsommer-Brauchtum und das christliche Johannisfest stehen für mich immer auch für die vielen Wendezeiten in meinem Leben. Es fasziniert mich in diesen Tagen immer wieder, dass sozusagen das Jahr „in der Balance“ ist. Denn gerade die Mitte des Jahres ist für mich oft eine besonders angespannte Zeit, bei der ich innerlich leicht mal die Übersicht und meine innere Balance verliere: In der Kirchengemeinde hat die erste Jahreshälfte viele hohe Feste mit sich gebracht: Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten und Fronleichnam mit ihren besonderen Gottesdiensten. Dazwischen haben wir im Pastoralraum Gießen-Stadt Pfarrfeste und Kirchweihen gefeiert und auch die Erstkommuniongottesdienste. Die Wochen nach Ostern sind immer eine besonders schöne und dichte Zeit, aber für alle Beteiligten jedes Jahr auch eine ziemliche Herausforderung.

Stressige Zeit zur Jahresmitte

Jemand hat mir erst vor ein paar Tagen auf die Frage, wie’s denn so geht, mit schöner Offenheit gesagt: „Eigentlich ganz gut, Herr Pfarrer. Aber wissen Sie, um meine Kraftreserven steht’s jetzt, vor den Sommerferien, nicht gerade zum Besten! Alles Mögliche soll noch unbedingt fertig werden. Und selbst die Aussicht auf den Urlaub macht mir im Augenblick eher ziemlich Druck: Ich muss im Job gucken, dass ich die Vertretung richtig gebrieft kriege, die Übergabe muss dann korrekt vorbereitet sein, und während ich das alles mache und mich eigentlich freuen müsste, da graust mir manchmal schon vor der Zeit danach, wenn alles vorbei ist und ich dann wieder seh, was alles liegengeblieben ist.“

Ich glaube, vielen kennen das:  den Stress vor, während und nach den Ferien. Doch wie geht man damit um? Auch da hilft mir ein Blick auf diesen Täufer Johannes.

Johannes ist der Vorläufer, der auf Jesus hinweist, der die Menschen zur Umkehr bewegt. Der Maler Matthias Grünewald hat auf seinem berühmten Isenheimer Altar Johannes den Täufer unter dem Kreuz dargestellt mit einem ausgestreckten Finger, der auf Jesus zeigt. Johannes selbst tritt zurück. Er weist in seiner Person ganz und gar auf Jesus hin.

Im Johannesevangelium sagt Johannes: „Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden“ (Johannesevangelium, Kapitel 3 Vers 30).

Johannes der Täufer und C.G. Jung

Ganz bestimmt sollen wir uns im Leben nicht kleiner machen, als wir sind. Aber die Frage ist, ob wir uns und unseren Alltag mit seinen Banalitäten und Notwendigkeiten ständig größer machen müssen als eigentlich nötig? Entscheidend ist, dass wir mit unserem Leben und in unserem Denken immer wieder etwas in den Blick nehmen, das über das tägliche Hamsterrad hinausweist.

Der biblische Christus ist für den Schweizer Psychoanalytiker Carl Gustav Jung ein Bild für etwas, das er „das Selbst“ nennt.

Jung meint: In jeder Wendezeit geht es darum, dass wir mehr mit unserem wahren Wesen, unserem „Selbst“ in Berührung kommen. Das „Ego“ muss dagegen abnehmen, damit das, was wir tun, immer mehr aus dem Selbst kommt, und nicht mehr so oft aus dem Ego. Das Ego will imponieren und hat dauernd Angst, zu kurz zu kommen. Das Selbst ist einfach. Und nur, wenn wir „einfach“ sind, verweisen wir auf das wahre Sein, auf Gott. Das können aber auch die Familie, gute Freundinnen und Freunde oder die Gemeinschaft sein, alles, was uns leben lässt

Johannes und Johann Sebastian Bach

Auch das klingt für mich mit, wenn Johannes der Täufer in seine biblischen Bußpredigten von „Umkehr“ spricht und damit seine Gemeinde auf das Kommen des Größeren, des Retters, einstimmt. Johann Sebastian Bach lässt in seiner Kantate „Freue dich, erlöste Schar“, die er 1738 in Leipzig für das Fest der Geburt Johannes des Täufers in Leipzig komponierte, eine solche Umkehr in biblischen Bildern besingen. Dort heißt es in einem Choral:

„Eine Stimme lässt sich hören
In der Wüste weit und breit,
Alle Menschen zu bekehren:
Macht dem Herrn den Weg bereit,
Machet Gott ein ebne Bahn,
Alle Welt soll heben an,
Alle Täler zu erhöhen,
Dass die Berge niedrig stehen.“

Musik 3: J.S. Bach, Kantate „Freue dich, erlöste Schar“ (BWV 30), Choral: „Eine Stimme lässt sich hören". CD: „Freue dich, erlöste Schar. Cantatas 30 / 69 / 191. Bach Collegium Japan / Masaaki Suzuki“; Label BIS Recouds AB (BIS-2031 SACD) Track 12; 01:12

Die Jahresmitte mit dem Johannisfest erinnert mich daran, wie gut es tut, nahe an meiner inneren Mitte zu sein.

Leider bin ich das nicht immer. Es gibt vieles, was mich aus dem inneren Gleichgewicht bringen kann: Das kann Unerledigtes sein, was sich immer mehr auftürmt, Unvorhergesehenes, was meine eng getaktete Planung zerschießt, alle möglichen Sorgen, die ein Gedankenkarussell in Bewegung setzen und mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Natürlich fällt es dann schwer, Entscheidungen zu treffen, und die Versuchung ist groß, nur noch stumpf zu funktionieren und Dinge lustlos abzuarbeiten. Wenn ich so oder so ähnlich empfinde, dann weiß ich: Ich bin ganz offensichtlich aus dem Gleichgewicht geraten.

"In meiner Mitte sein"

Wenn ich dagegen in meiner Mitte bin, dann fühl ich mich von äußeren Einflüssen ziemlich unabhängig, stabil und ruhig. Ich habe gute Ideen, was ich als nächsten kleinen Schritt machen kann, und muss weder in Hektik noch in Resignation verfallen.

In der Fülle des Lichts zur Jahresmitte innezuhalten, aufzuatmen und neue Kräfte zu sammeln, dazu lädt diese Zeit ein. Der Wiener Hofkomponist und Kapellmeister Johann Josef Fux hat dies musikalisch in seinem Oratorium „Johannes der Täufer“ zum Klingen gebracht. Es wurde 1714 in der Wiener Hofburg uraufgeführt. In einer Chorkomposition heißt es darin mit Bezug zum Johannistag in italienischer Sprache:

„Noch nie wurde eine schönere Morgenröte gesehen als heute. Nie vergoldete sie den Himmel so mit ihren ersten Strahlen. Sie schmückt die Bahn der Sonne, schon labt sie die Hügel, Wiesen und Felder.“

Musik 4:

Johann Josef Fux: Chor „Mai piu bella non fui vista“ aus Oratorium „Johannes der Täufer“; CD 2/2: Johann Josef Fux: Oratorium „Johannes der Täufer“ Track 2; ab 01:02 bis Ende; ca. 04:20

Johannes der Täufer und sein Fest um die Mitte des Jahres ermuntern mich dazu, meiner eigenen Mitte wieder näher zu kommen: Hat das, wofür mein Herz im Leben schlägt, genug Platz?  Lass ich in meinem Leben genug Raum für stille Zeiten und zum Beten? Für die Familie und Freunde? Oder brauch ich wieder mehr Bewegung, draußen im Grünen beim Sport, wo ich beim Radfahren oder Laufen einen freien Kopf bekomme?

Umkehrruf zu einem neuen Anfang

Die äußere Sonne, die wir im Sommer so ausgiebig wahrnehmen und die uns wärmt, scheint ab der Jahresmitte vielleicht wieder weniger Stunden am Tag. Aber die innere Sonne, die jeder in seinem Herzen trägt, die kann wieder zunehmen.

Johannes der Täufer ist dafür ein guter Wegbereiter, mitten im Alltag. Er ruft heraus aus Langeweile und dem üblichen Trott. Er setzt mit seinem Festtag in der Mitte des Jahres einen neuen Anfang auf dem Weg, der Leben heißt und der mich zu Gott und mir selbst führt.

Musik 5: J. S. Bach: Choralbearbeitung „Christ, unser Herr, zum Jordan kam“ (BWV 685); CD 9/12 Helmut Walcha: Bach. The Organ Works, Track 2; 01:14

 

 

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