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Advent und Weihnachten unperfekt
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Advent und Weihnachten unperfekt

Ralf Schweinsberg
Ein Beitrag von Ralf Schweinsberg, Pastor der evangelisch-methodistischen Kirche in Gründau-Rothenbergen

Es gibt perfektere Arten, Lebkuchen zu genießen. Doch auf was es im Advent vor allem ankommt, hat nichts mit Perfektion zu tun, meint Autor Ralf Schweinsberg in den hr1 Sonntagsgedanken zum 3. Advent: 

Gerade habe ich mir einen Tee aufgegossen und die ganze Küche riecht nach Weihnachten. In meinem Adventskalender war heute grüner Tee mit Zimt.

Alles perfekt machen für Weihnachten

Das erinnert mich an Weihnachten als Kind. Für meine Mama war Weihnachten sehr wichtig. Sie wollte es für uns Kinder einfach perfekt machen. Es wurden unzählige Plätzchen gebacken und die ganze Wohnung auf Hochglanz gebracht. Das Wohnzimmer wurde tagelang umgeräumt und dekoriert - natürlich ohne uns Kinder. Am Tag selbst war der erste Höhepunkt das Weihnachtsmenü, das wir uns ausgesucht hatten und das meine Mama zubereitete. Jetzt musst nur noch alles rechtzeitig fertig werden. So wuchs die Spannung in der Familie ins Unermessliche.

Gute Kindheitserinnerungen an Heilig Abend

Am Heiligen Abend gingen wir zuerst in die Kirche. Als wir heimkamen, wurde das Essen vorbereitet. Dann, nach endlosem Warten, bimmelte ein kleines Engelsglöckchen und wir durften ins Weihnachtszimmer. Meine Mama saß am Klavier und wir sangen unzählige Weihnachtslieder. Als Kind waren es mir viel zu viele. Endlich wurde die Decke vom Gabentisch gelüftet und es gab Geschenke. Das sind gute Erinnerungen.

Aber auch Streit am Weihnachtsabend

Aber ich erinnere mich auch an ganz andere Gefühle: Es ist Heiliger Abend und ich stehe am offenen Fenster. Ich bin 6 Jahre und habe mich im Bad eingeschlossen. Gerade sind wir von der Kirche heimgekommen. Mama steht in der Küche, hat unendlich viel zu tun und schimpft, weil ihr niemand hilft. Alle streiten sich und ich habe das Gefühl: jetzt ist alles kaputt. Warum kann der Weihnachtsabend nicht perfekt sein? Warum gibt es einen Streit?

Dieses Gefühl, alleine im Bad und mit einem dicken Kloß im Hals, kann ich nicht vergessen. Natürlich haben wir es jedes Jahr irgendwie hinbekommen. Ich wurde aus dem Bad geholt und das Glöckchen an der Weihnachtstüre bimmelte.

Gegensätzliche Erinnerungen

Diese gegensätzlichen Erinnerungen und Gefühle an Weihnachten liegen dicht beieinander.  Seit meinen Kindertagen ist Weihnachten für mich sehr zerbrechlich geworden.

In meiner eigenen Familie habe ich später vieles anderes gemacht: Es gibt nur ein einfaches Abendessen am Heiligen Abend und das Weihnachtszimmer dekorieren wir als ganze Familie. Trotzdem habe ich verinnerlicht, dass Weihnachten perfekt sein muss. Muss ich diese Vorstellung weiter mit mir rumschleppen?

Musik

Weihnachten ist nie perfekt

Weihnachten muss perfekt sein. So habe ich es verinnerlicht. Obwohl ich leidvoll erlebt habe, dass Weihnachten nie perfekt war. Aber kann nicht wenigstens an Weihnachten die Welt ein wenig freundlicher und heller werden?  

Die Werbung bedient das Wunschbild "perfekte Weihnachten"

Ich kann nicht der Einzige mit diesem Wunsch sein. Ansonsten würde die heimelige Weihnachtswerbung nicht funktionieren. Sie spielt mit diesen Wunschbildern: die große, festlich geschmückte Weihnachtstafel, Vater, Mutter, Kinder und sogar die Großeltern, alle lachend und friedlich um den großen Weihnachtsbaum versammelt.

Die Realität sieht anders aus. Zumindest bei mir. Und die Bilder dieser Weihnachtsidylle stammen auch nicht vom ersten Weihnachtsfest, von der Geburt des Kindes im Stall.

Die unfreiwillige Reise von Maria und Josef

Da ging es eher um einen „Roadtrip“, eine unfreiwillige Reise einer jungen Familie. Maria und Joseph sind erst kurz zusammen. Maria ist schwanger. Obwohl die Vaterschaft für Joseph unklar ist, bleiben die beiden zusammen. Von einer Hochzeit erfahren wir nichts. Und von der Hilfe ihrer Eltern ist auch keine Rede. Das passt so gar nicht zur Weihnachtswerbung, in der Oma und Opa freundlich Geschenke verteilen.

Ein langer Fußmarsch nach Bethlehem und Maria hochschwanger

Mit der ungeplanten Schwangerschaft beginnt die lange Reise von Maria und Joseph.  Joseph - und mit ihm seine kleine Familie - muss sich für eine Steuerschätzung in seine Heimatstadt Betlehem begeben. 8 bis 10 Tage sind die beiden zu Fuß unterwegs, obwohl Maria hochschwanger ist.

Die Geburt Jesu in einem alten Stall

Als sie in Betlehem ankommen, setzen die Wehen ein. Leider finden sie kein wunderschön dekoriertes Weihnachtszimmer, sondern nur einen alten Stall. In dieser Nacht wird ihr erstes Kind geboren, Jesus. Ohne Unterstützung einer Hebamme oder der weiteren Familie.

Hirten und Sterndeuter kommen vorbei

In dieser Nacht passieren merkwürde Dinge: Hirten kommen, um den „neugeborenen König“ zu bestaunen, der so ärmlich daherkommt, wie sie selbst. Später bringen Sterndeuter Geschenke.

Wenige Tage nach der Geburt muss die Familie fliehen

Schon wenige Tage nach der Geburt geht ihr Roadtrip weiter. Die drei fliehen vor der Rache des Landesherrn ins Ausland. Man schätzt, dass ihre Reise drei Jahre dauerte, bis sie wieder in ihre Heimat zurückkehren konnten.

Aus dieser Geschichte ist unser Weihnachten geworden

Aus dieser Geschichte ist im Laufe der letzten 2000 Jahre unser Weihnachten geformt worden. Sie hat nichts mit Perfektionismus zu tun. Gott sucht nicht die noblen Paläste seiner Zeit, um Mensch zu werden. Er sucht Eltern wie Maria und Joseph, auch wenn sie in einer schwierigen Situation sind.

Gott schaut nicht weg

Ich finde das sehr tröstlich und wichtig. Gott sieht, wie es mir geht. Gott sieht, wie es Menschen geht, die es schwer haben. Er schaut nicht weg. Er verdeckt nicht alles mit viel Weihnachtsschmuck.

Es ist, als wenn er sagen wollte: Ihr seid mir wichtig. Ich komme zu euch. Es sind einfache Hirten und ein paar Sternendeuter, die damals zum Stall kommen. Aber damit macht Gott deutlich: Ich sehe euch, euch junge Leute in Not. Das erste Weihnachten ist so etwas von unperfekt.

Musik

Möge  die Welt an Weihnachten etwas heller und freundlicher werden

Eigentlich weiß ich, dass Weihnachten nie perfekt sein wird, ebenso wenig, wie ich perfekt bin. Trotzdem bleibt bei mir der Wunsch, die Welt möge an Weihnachten etwas heller und freundlicher werden.

Mir hilft ein Weihnachtslied. Es geht so: „Mache dich auf und werde licht“. Das stammt von einem Propheten namens Jesaja. Er sagt: „Mache dich auf, werde licht, denn das Licht ist gekommen, das deine Finsternis erhellt.“ Eine uralte Sehnsucht und ein Auftrag. Ich soll mich aufmachen und zum Licht für andere werden.

Kleine Geschenke im Advent

Als ich Kind war, hat meine Mutter im Advent viele kleine Geschenke gebastelt und schön eingepackt. Wenn sie dann zum Einkaufen, zum Arzt, zum Friseur oder wohin auch immer gegangen ist, hat sie immer ein paar Geschenke eingesteckt. Mir war das meist peinlich, wenn sie wildfremden Menschen Geschenke gegeben hat. Später dachte ich sogar: das ist fast Bestechung, wenn man der Arzthelferin ein Geschenk gibt.

Ich erinnere mich aber auch noch gut daran, wie dankbar die Beschenkten oft reagiert haben. Die Welt ein wenig heller machen. Das ist ihr damit gelungen.

Ich denke: all diese Anforderungen waren viel zu viel für sie. Sie war ausschließlich für andere da, kein Wunder, dass es Ärger und Stress gab. Vermutlich hat sie sich selbst bei all dem völlig vergessen.

Für mich ist das aber eine Spur, wie ich für andere licht werden kann. Heute bewundere ich ihre Gabe, Menschen mit Aufmerksamkeiten zu beschenken, auch wenn das nicht mein Ding ist. Aber wie könnte ich zu einem Licht für andere werden? Sicher nicht, wenn ich versuche alles perfekt zu machen.

Wie werde ich Licht für andere?

Ich brauche Luft, Freiräume, einfach Zeit. Ich sollte Dinge lassen und überlegen wie mein „Licht“ für andere aussehen kann. Eine Idee: Ich kann andere unterstützen in ihrer weihnachtlichen Freiheit. Ich kann es lassen, von Partnern, Kindern oder Enkeln Perfektion zu erwarten.

Mach dich auf und werde licht. Mir hilft, wie der Satz weitergeht: „denn das Licht ist gekommen, das deine Finsternis erhellt.“ Das haben Maria und Joseph damals erlebt, als sie in ihrem Stall nicht alleine blieben. Andere haben sie besucht, Zeit und Geschenke mit ihnen geteilt.

Gott macht das Dunkel hell

Diese Weihnachtsbotschaft verstehe ich. Gott kommt auch in den letzten Stall. Perfektion braucht er nicht. Gott macht das Dunkel hell, durch ganz normale Menschen.

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