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Gott, die Glucke
GettyImages/Tunatura

Gott, die Glucke

Ein Beitrag von Mirjam Jekel, Evangelische Theologin, Rüsselsheim
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Gott wird in der Bibel oft mit Bildern beschrieben. Viele davon sind Ehrfurcht gebietend oder betonen den Abstand zwischen Mensch und Gott: Der Herr der Heerscharen, der mächtige König, die Feuersäule…

Gott. die Henne, die ihre Küken schützt

Aber es gibt auch andere. Zum Beispiel Gott als Glucke. Als ich das zum ersten Mal hörte, dachte ich, ich hätte mich verhört. Gott als Huhn? Das ist doch ungewöhnlich. Wenigstens ein Adler müsste es sein! Aber nein, im Matthäusevangelium vergleicht Jesus eindeutig Gott mit einer Henne, die ihre Küken unter ihre Fittiche sammelt (Matthäus 23,37; Psalm 91,4).

Glucken kümmern sich auch um fremde Tiere

Eine Henne, die auf ihrem Nest sitzt, habe ich mal zufällig in einem Video gesehen. Ein Mensch hebt sie vorsichtig hoch. Im Nest sind nicht nur einige Küken der Henne, sondern auch ein Kätzchen, das verschlafen ins Licht blinzelt. Die Henne hat das Kätzchen offenbar adoptiert.

So ungewöhnlich ist das nicht, habe ich erfahren. Glucken bebrüten nahezu alles. Sie brüten nicht nur ihr eigenes Gelege aus, sondern auch Eier anderer Hennen – und nehmen sogar fremde Tiere in ihr Nest auf. Das ist für mich ein schönes Gottesbild. Gott, die Glucke, in deren Gefieder ich Geborgenheit finde. Gott, die Glucke, die alle Wesen wärmt.

Hühner verteidigen totesmutig ihre Küken

Aber eine Glucke ist nicht nur kuschelig, sie kann auch gefährlich sein! Wenn ihre Küken bedroht werden, stürzt sie sich in jede Gefahr. Zum Beispiel, wenn eine Glucke draußen ihre Küken ausführt und ein Habicht kommt und will sich auf die Küken stürzen. Dann rennt die Glucke mit ausgebreiteten Flügeln auf ihn zu. Todesmutig verteidigt sie ihre Küken. Oft haben dann die Greifvögel keine Chance und ziehen von dannen.

Im Bild der Glucke steckt Hoffnung

Der Dichter Paul Gerhardt nimmt diese Vorstellung in seinem Lied „Nun ruhen alle Wälder“ auf (Ev. Gesangbuch 477). Dort heißt es: „Breit aus die Flügel beide, oh Jesu, meine Freude, und nimm Dein Küken[1] an. Will Satan Dich verschlingen, so lass die Englein singen, dies Kind soll unverletzet sein.“ Im Bild der Glucke steckt also auch die Hoffnung: Ich werde beschützt. Und wenn ich in Gefahr gerate, dann vertraue ich darauf, dass Gott mich hindurchführt.

Es gibt viele Gottesbilder

Niemand hat Gott je gesehen. Und keines der Bilder, die sich Menschen von Gott machen, ist wirklich angemessen. Wir können nur versuchen, unsere Erfahrungen und Hoffnungen irgendwie in Bilder zu kleiden. Manche Bilder erzählen davon, wie fremd Gott ist. Andere berichten von der Ehrfurcht gebietenden Macht Gottes. Und beides sind wichtige Aspekte. Aber ich bin froh, dass daneben auch dieses andere Bild steht: Gott als liebevolle Glucke, die alle Küken, egal woher sie kommen, annimmt, sie wärmt und vor Gefahren beschützt.


[1] Im Original „Küchlein“, aus Gründen der Verständlichkeit hier vereinfacht.

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