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Die Fastnacht und ihr christliches Sinnpotenzial
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Die Fastnacht und ihr christliches Sinnpotenzial

Stefan Herok
Ein Beitrag von Stefan Herok, katholischer Pastoralreferent i.R. in der Pfarrei St. Bonifatius, Wiesbaden
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Guten Morgen und einen schönen Sonntag!

Das ist ja mal ein Tausch: Endlich keine Masken mehr! Gegen: Endlich wieder Masken! Nun ja, endlich wieder Fassenacht! Weitgehend ohne Coronabeschränkungen. Ich selbst bleibe weiterhin vorsichtig, trage also nach wie vor eher Schutzmaske als HelauMaskierung…

Ich gönne allen Leuten jedes Moment zurückgewonnener Freiheit und den „Narren“ erst recht! Denn ich finde die Fastnacht wundervoll! Ausgelassen Spaß haben und das, zumindest in der „echten“ Fassenacht, gleichzeitig aufgeladen mit viel humanem Ethos und sogar – man höre und staune – mit einigem christlichen Sinnpotenzial. Davon möchte ich heute gerne erzählen. Jetzt beginnt ja die Woche, mit der die „Kampagne“ auf ihre Höhepunkte zusteuert: Weiberfastnacht (oh, darf man das gendergerecht überhaupt noch sagen?), FernsehSitzung, Fastnachtssonntag und Rosenmontag! Da muss man doch einfach in Stimmung kommen!

„Nacht vor dem Fasten“

„Christliches Sinnpotenzial“ der Fassenacht! Ich hoffe mal: das klingt spannend und macht neugierig. Ein erster Zusammenhang liegt sehr schnell auf der Hand. Wenn man genau hinschaut, offenbart ihn schon der Name: FastNacht, die Nacht, bevor das Fasten beginnt, Aschermittwoch, Fastenzeit. Bevor es mit den kirchlich angesagten 40 Tagen Fastenzeit losgeht, darf man noch mal kräftig feiern! Dann kommt die Zeit, in der christlich geprägte Menschen sich mit körperlichen und geistigen Fastenübungen „neu einpegeln“ auf Ostern und ein gottgefälliges Leben.

In Rollen schlüpfen

Aber nicht nur bezüglich der nahenden Fastenzeit entdecke ich in der Fastnacht christlichen Lebenssinn. Darum nochmal zurück zu den Masken, den närrischen. Sie stehen ja symbolisch für Kostümierung überhaupt. Ich nehme eine andere „Rolle“ ein. Ich bin für die Zeit des „Maskenspiels“ ein anderer. Meistens werden dabei SehnsuchtsFiguren gewählt, was oder wer man gerne sein würde. Die Kinder immer noch ganz klassisch: „Prinzessin“, „Pippi Langstrumpf“, oder „Cowboy“, natürlich auch die modernen Helden von „Bat- und Superman“, über „Harry Potter“ bis Dinos und „König der Diebe“. Bei den Erwachsenen ist, wenn sie an Fassenacht überhaupt „Masken“ tragen, die Rollenwahl etwas subtiler. Oft setzen sie sich nur eine Narrenkappe oder eine rote Clownsnase auf, bleiben aber – mit Verlaub gesagt – die gleichen „Pappnasen“ wie vorher. Maskenbälle und Kostümfeste, mit Rollenspielcharakter, was ich persönlich an Fastnacht immer besonders geliebt habe, sind irgendwie seltener geworden. Wenn, dann geht es heute mehr ums Tanzen und vielleicht um die Prämierung der Kostüme.

Wer allerdings mit oft toller Maske ganz in eine andere Rolle schlüpft, das sind in der Regel die Büttenredner*innen auf den Karnevalssitzungen. Ich „gendere“ hier ordnungsgemäß, möchte aber anmerken, dass vieles an der Fastnacht im Blick auf die Rollen der Frauen leider noch wenig emanzipatorisch ist. Das ist besonders schade, weil die Fassenacht selbst eigentlich ein von Grund auf emanzipatorisches Projekt ist.

„Ein anderer werden“

Wieso ich im Maskenspiel christliches Sinnpotenzial sehe? Es weitet einen Horizont, der durch andere christliche Moralprinzipien doppelt eingeengt erscheint: Zum einen wird das „Vorspiegeln falscher Tatsachen“ schnell als lügenhaft bewertet. Zum anderen hielt das Christentum seine Gläubigen lange Zeit eher dazu an, ganz bescheiden nicht zu hoch hinauszustreben und sich mit den „Gegebenheiten“ abzufinden. Demgegenüber erprobt das Rollenspiel mit den Masken die „Selbstüberschreitung“. Spielerisch und experimentell trainiert es die Verwandlung, ich zu bleiben und trotzdem jemand anderes zu werden. Das kostümierte Rollenspiel ermöglicht, verborgenen, vielleicht verdrängten Anteilen der Persönlichkeit näherzukommen. Besonders typisch dafür ist der beliebte Geschlechtswechsel, aber auch die Annahme „dunkler“ oder „verwegener“ Rollen. Man spielt sich in Wirklichkeiten hinein, die man vorher nur erträumen konnte und für unerreichbar hielt. Darin kann positives Entwicklungspotenzial zur Entfaltung kommen, endlich mehr zu der Person zu werden, als die ich gedacht und angelegt bin. Im Rollenspiel können Selbstironie, Zivilcourage und die Vision, dass das Gute siegt, spielerisch vorweggenommen und eingeübt werden. Alles für mich wesentliche Aspekte einer christlichen Persönlichkeitsentwicklung…

Den Mächtigen den Spiegel vorhalten

Im Maskenspiel der Büttenredner*innen geht es weniger um Selbstverwandlung. Hier werden Rollen eingenommen, um aus ganz bestimmten Perspektiven der Welt Botschaften mitzuteilen. Beide berühmten Genres, nämlich die KokoloresFassenacht wie die politische, halten den Mächtigen in der Gesellschaft den Spiegel vor. Wie früher am Königshofe der Hofnarr ungestraft unbequeme Wahrheiten vorbringen durfte, so heute die Narren in der Bütt. (Oder auch mit ihren Motivwagen bei den Fastnachtsumzügen.) Damit sehe ich in der Fastnacht ein herrschaftskritisches und emanzipatorisches Moment. Natürlich stellt sich – wie schon beim Hofnarren damals - die Frage, ob diese Art von Kritik und Protest erfolgreich Veränderungen bewirken kann oder letztlich nur systemstabilisierend, ins Leere geht. Ich baue trotz aller Skepsis auf die „Macht der Narren“, vor allem auch, weil ich den Humor für eines der souveränsten Mittel halte, um Auseinandersetzungen zu führen.

Eine Art prophetischer Rede

Aus christlicher Sicht verleihe ich all den die Büttenredner*innen, denen ein gewisser innerer Ernst, moralischer Tiefgang und gesellschaftliche Brisanz gelingen, den „Orden der quasiprophetischen Rede“! Für mich sind sie moderne Zeugen dessen, was die Bibel „Propheten“ nennt: Botschafter, die im Namen des Himmels und der Menschlichkeit der Welt mahnend ins Gewissen reden. Auch in deren Reden und Handeln gab es zuweilen satirisches Potential. Zum Beispiel, wenn der Prophet Hosea im Auftrag des Himmels eine Prostituierte zur Frau nehmen soll, um dem Volk Israel zu demonstrieren, wie sehr es sich von Gott abgewandt und quasi an die Welt „verkauft“ hat.

Das Unterste zu oberst

Und noch ein kritisch-soziales Moment christlichen Lebenssinns möchte ich in der Fastnacht aufweisen: „Sie stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“, so könnte man es mit einer berühmten Zeile aus der Bibel (Magnifikat von Maria; Lukas 1,52) apostrophieren. Die Fassenacht stellt die Welt von oben und unten auf den Kopf. Sie steht damit für Freiheit und Gerechtigkeit. In den sogenannten „tollen Tagen“ übernehmen die Narren die Macht im Lande, an „Weiberfastnacht“ ausdrücklich auch die Frauen. Symbolisch wird das in manchen Rathäusern sogar umgesetzt. Natürlich, wie eben schon angemerkt, selten mit nachhaltiger Wirkung. Aber das Symbol trägt über den Augenblick hinaus doch ein herrschaftskritisches Moment in sich, das auf humane Machtausübung hinweisen will. Auch die KarnevalsGarden sind pure Ironie. Sie nehmen Militarismus und Konfliktlösungen durch Gewalt auf die Schippe. Ebenso der sogenannte „Elferrat“ als „Regierung der Fastnacht“. Der Name kommt nicht von der Zahl Elf, sondern von den Anfangsbuchstaben der Leitworte der französischen Revolution: E wie Egalité, L wie Liberté, F wie Fraternité; Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit. Die Kirche hielt es zwar öfter mit den Mächtigen, aber in seiner Grundbotschaft ist das christliche Lebenssinnangebot eine höchst soziale Kraft – wie die Fassenacht!

Ich habe jetzt auch eine konkrete Idee für meine Fastnacht dies Jahr: Ich „kostümiere“ mich mit meiner FFP2-Maske und gehe in diesem Jahr als „letzter Narr“, der sich noch dafür starkmacht, nicht nur sich selbst, sondern auch seine Mitmenschen zu schützen… Helau!

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