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Der Herr der Ringe und der Morgenstern
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Der Herr der Ringe und der Morgenstern

Anja Harzke
Ein Beitrag von Anja Harzke, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt am Main
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Das Foto zeigt die Film-Figuren Gandalf und Frodo aus Tolkiens Epos "Herr der Ringe". Das Adventlied "Wie schön leuchtet der Morgenstern"  hat Tolkiens Bücher inspiriert. 

Heute ist der vierte Advent. An den Adventskränzen wird die vierte Kerze angezündet: Zuhause auf dem Wohnzimmertisch und in den Kirchen. Für mich ist das in jedem Jahr wieder ein ganz besonderer Moment, wenn die 4. Kerze angezündet wird. Oft übernimmt das ein Konfirmand oder eine Konfirmandin, ein feierlicher Augenblick. Bald ist es soweit!

In den Gottesdiensten der evangelischen Kirche werden die Besucherinnen und Besucher heute oft mit einem Wort aus der Bibel begrüßt (Phil 4,4). Das heißt so: Freut euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freut euch. Der Herr ist nahe.

Wie geht das, sich auf Kommando freuen?

Ich merke, wie ich über dieses "Freut euch" stolpere, daran hängen bleibe und denke: Was für eine merkwürdige Aufforderung. Auf Kommando freuen, das kann ich nicht. Los nun freut euch doch! Da schrecke ich zurück. Ich denke an ein Weihnachten in meiner Kindheit: Ich sollte mich über das Geschenk meiner lieben Tante freuen. Was sie ausgesucht hatte, war bestimmt gut gemeint, aber es gefiel mir so gar nicht. Die deutliche Aufforderung der Eltern: Nun freu dich doch!, bewirkte bei mir alles, nur keine Freude.

Heute höre ich diese Aufforderung wieder, nun in der Kirche: Freut euch in dem Herrn allewege. Und ich frage mich, wie das geht, mich auf Zuruf freuen. Eine ganz schöne Zumutung ist das am 4. Advent, dieser Aufruf der Bibel. Und leider funktioniert es, zumindest bei mir, nicht so recht.

Erschöpfte Menschen im Advent durch viele Krisen

Das liegt auch daran, wie ich gerade die Welt erlebe. Um mich herum treffe ich in dieser Adventszeit eher erschöpfte Menschen, das Grau in Grau kriecht in so manche Seele - kein Wunder bei all den Krisen, die uns durchschütteln. Nicht nur Corona hat seine Spuren hinterlassen. Es herrscht seit Februar ein Krieg in Europa. Das war noch zu Beginn des Jahres unvorstellbar. Es herrscht Krieg mit all seinen Grausamkeiten. Die Bilder der Menschen in der Ukraine, die von Bomben bedroht sind, die frieren, die fliehen müssen, gehen mir und vielen anderen nah.Dazu wird immer deutlicher, wie dringend der Schutz der Erde ist, des Klimas, der Tiere und Pflanzen. Nicht nur andere müssen ihren Lebensstil ändern, auch ich selbst. Nicht irgendwann einmal, sondern jetzt. Darüber hinaus müssen viele beim Einkaufen nun genauer hinschauen, was sie sich noch leisten können. Und wenn einen selbst vielleicht noch nicht so hart trifft, ist sicher: Die, die sowieso schon wenig haben, trifft es als Erste.

Freude einüben

Mitten hinein in diese Situation fällt dieser Satz: Freut euch! Jetzt? Ausgerechnet jetzt? Doch ich probiere das gerade jetzt mal. Ich mute mir diese Worte zu. Und ich merke, wenn ich das versuche: Es lohnt sich, dass ich mich diesen alten Worten aussetze. Zuhöre. Darüber nachdenke. Dann spüre ich: Mein Widerstand bröckelt. Es ändert sich was. Freut euch. Freu dich! Da blitzt etwas auf. In den Rissen der düsteren Gegenwart scheint etwas auf: Meine Sehnsucht nach Freude, nach Lebenslust, nach Zuversicht, nach Hoffnung. Vielleicht ist der Aufruf zur Freude ja doch – und gerade jetzt - wichtig. Es ist das Trotzdem, wenn ich mutlos bin. Es ist die Farbe und das Licht im Grau.

Musik: Kay Johannsen, Tochter Zion

Es gibt etwas, was mir dabei hilft, dass sich das Licht in mir ausbreitet. Das ist Musik. Wenn ich Musik höre und besonders beim Singen. Gerade die Advents- und Weihnachtslieder jetzt. Diese Lieder sind für mich ein zu Musik gewordenes "Trotzdem" und ein "Gerade jetzt". Ich erlebe es so: wenn ich ein vertrautes Lied höre oder noch besser singe, dann bewirkt das etwas. Es färbt ab, es macht hell. Die Musik und die Botschaft nehmen mich mit hinein in die besondere Adventstimmung und Weihnachtsfreude.

Singen und Musik sind das beste Rezept zur Stimmungsaufhellung

Mir geht es heute um das Lied, das zum 4. Advent oft gesungen wird: "O komm, o komm du Morgenstern" (Evangelisches Gesangbuch Nr. 19). Es ist ursprünglich ein englisches Lied: "O come o come, Emmanuel". Das Lied hat eine lange Geschichte. Die Melodie ist ein uralter Hymnus, 500 Jahre alt. Sanft schwingt sie sich in mein Herz hinein. Da heißt es: O komm, O komm du Morgenstern, lass uns dich schauen unsern Herrn. Vertreib das Dunkel unserer Nacht durch deines klaren Lichtes Pracht. Freut euch, freut euch, der Herr ist nah. Freut euch und singt Halleluja.

Immanuel - Gott ist mit uns

Im englischen Text heißt es: O come, o come, Emmanuel. Der hebräische Name Emmanuel heißt "Gott mit uns". Der Dichter des deutschen Textes hat den Namen also nicht wörtlich übersetzt. Emmanuel, Gott mit uns, nennt er Morgenstern. Der Morgenstern ist ein Bild dafür, was Christus ist: ein Licht im Dunkel, einer, der Gott nahebringt. Jesus ist der Morgenstern und kommt mir nahe, als Licht im Dunkel, als Friedefürst.  All das steckt in diesen Worten.

Musik: Franz Sturges, O komm, o komm Emmanuel, Schwesterhochfünf

O komm, o komm du Morgenstern. Das Lied beginnt in gedämpfter Stimmung, ja geradezu melancholisch. Es steigert sich dann langsam. Es gipfelt im Refrain, im Ausruf: Freut euch, freut euch, der Herr ist nah! Freut euch und singt Halleluja.  Auf Englisch: Rejoice, rejoice!

Eine Melodie geht unter die Haut

Diese Melodie geht unter die Haut und tastet sich langsam an die Freude heran. Damit lässt es ahnen: Der Komponist und der Dichter wissen um die Schwere der Welt, um das Dunkle, die Sorgen, die Nöte und das Leid. Es ist kein naives oder gar kitschiges Weihnachtlied, das Schlimmes unter den Teppich kehrte. Nein, es nimmt all das auf, was mich beschwert und niederdrückt. Gerade in diesen Zeiten.

Und dann ruft es trotzdem: Freut euch, freut euch! Das Lied bringt allen, die es hören, eine Verheißung und ruft ihnen zu: Es bleibt nicht dunkel. Im Dunkel scheint ein Licht. Was für ein Grund zur Freude! Rejoice! Diese Freude, die sich spürbar ihren Weg zu mir durch das Schwere bahnt, kommt bei mir an. Auch wenn mir erst gar nicht so danach zumute war.

Musik: Kay Johannsen, O komm, o komm Emmanuel

J.R.R. Tolkien, der Autor des "Herr der Ringe"

Von diesem Lied vom Morgenstern führt eine direkte Spur zu John Ronald Reuel Tolkien, dem großen englischen Geschichtenerzähler und Schriftsteller. Geboren 1892, begeisterte er sich so sehr für Sprachen, dass ihm Latein und Griechisch und Altenglisch nicht genug waren. Er lernte noch Finnisch, eine besonders komplizierte Sprache. Schließlich hat Tolkien sogar eigene Sprachen erfunden. Dabei blieb es nicht. Er wurde der Erfinder ganzer Welten und großer Mythologien. Seine Fantasy-Werke kennt heute die halbe Welt. Sie heißen „Der Hobbit“ und die große Saga von Mittelerde, das Epos "Der Herr der Ringe".

Millionen Menschen lieben die Bücher und ihre Verfilmungen

Es sind große, detailverliebte Geschichten, die weltweit Millionen Menschen in ihren Bann zogen und immer noch ziehen. Mehrfach wurden sie sehr erfolgreich und aufwändig verfilmt. Darin schildert Tolkien den Kampf des Bösen gegen das Gute. Das Grausame und abgrundtief Böse bedroht die Welt und will alles andere erobern und vernichten. Es will alles beherrschen.

Der Kampf des Guten mit dem Bösen

Tolkien hat darin auch verarbeitet, was er als Soldat in den blutigen Schlachten des ersten Weltkriegs erlebt hat. Drastisch schildert er in seinen Werken, was Menschen einander antun können. Die Bücher und dann die Verfilmungen schwelgen in Schilderungen und Bildern des Bösen, das grausig ist und übermächtig scheint. Deshalb hat es mich erstaunt zu erfahren, was Tolkien zu seinem Buch „Der Herr der Ringe“ inspiriert hat. Es war ausgerechnet das Lied O come o come Emmanuel, O komm, o komm, du Morgenstern.

Christliches seit der Kindheit zusammen mit historischem Interesse als junger Mann

Tolkien verlor sehr früh seinen Vater. Er hat ihn kaum gekannt. Seine Mutter war eine sehr fromme Frau und hat ihre zwei Kinder im christlichen Glauben erzogen, in einem Glauben, der ihr als junger Witwe Halt gab. Das hat Tolkien sehr geprägt. In seinem späteren Studium der altenglischen Sprache stieß er auf ein Werk mit religiösen Gedichten. Das hat ihn nachhaltig beeindruckt. Diese alten Worte aus dem 9. Jahrhundert über den ewigen Lichtstrahl, den Morgenstern, fanden sich in dem Lied O come o come Emmanuel wieder, und es ließ ihn nicht mehr los.

Musik: Dietrich Buxtehude, Cantate Domino canticum novum, Kammerchor Halle

Woher kommt Licht in die Dunkelheit?

Was gibt Hoffnung, wo kommt in allem Dunkel ein Lichtschein her - und sei er noch so schwach? In den düsteren Kämpfen seiner Zeit stellt sich Tolkien die Frage: Was hilft einem durchzuhalten und in scheinbar aussichtsloser Lage nicht aufzugeben? Darauf gibt ihm das Lied vom Morgenstern eine Antwort. Darin heißt es: Vertreib das Dunkel unserer Nacht durch deines Lichtes Pracht. Von Schuld und Knechtschaft mach uns frei und von des Bösen Tyrannei. Diese Bilder sprechen ihn an. Es kommt also ein Licht in die Welt mit dem Morgenstern. Er leuchtet auch im Dunkel der Nacht, im Finstersten, ja, er bahnt sich in allem Hässlichen, in allem Bösen doch seinen Weg. Auch wenn es oft so gar nicht danach aussieht.

Die Königin der Elben als weise Lichtbringerin

Dieser Gedanke des Lichtes, das sich Bahn bricht, wird zur Botschaft, zum roten Faden des wichtigsten Werks von Tolkien, des "Herrn der Ringe". So finster die Gestalten und ewigen Kriege des Bösen auch sind, das Licht scheint doch weiter und wird weitergegeben. Bei Tolkien wird es von der weisen Lichtbringerin weitergegeben, der Königin der Elben, an die, die reinen Herzens sind. Übertragen könnte man sagen: Es wird an die Kinder, die nächste Generation weitergereicht. Am Ende wird das Licht über die Dunkelheit siegen.

Erfüllt vom Morgenlicht

Tolkien selbst war erfüllt von diesem Morgenlicht. Angerührt von diesem Lied, schrieb Tolkien sein Epos, beschrieb auf hunderten von Seiten den Sieg des Lichtes über die Dunkelheit. Es ist ein langer Weg, ein mühsamer Sieg im Herrn der Ringe. Aber am Ende führt er hinaus aus den dunklen Zeiten des Krieges. Das Licht siegt, weil es aller Bosheit und Grausamkeit trotzt. Das war für Tolkien der rote Faden seines Buches. In dem Lied steht dieses Licht für Jesus Christus. Er ist der Morgenstern, der in die Welt gekommen ist. Er ist der Friedensbringer, der Tyrannei und Krieg beenden wird. Darüber jubelt das Lied nach jeder Strophe: Freut euch, freut euch: dieser Herr ist nah.

Musik: Cantate Domino, Lords of Chords

Freut euch, der Herr ist nah, freut euch und singt Halleluja. Wie ist das mit der Freude auf Zuruf? Das geht, wenn ich die Freude herbeisinge. Und damit auch die Hoffnung einübe. Ich kann so lange Freuenüben und ausüben, bis sie sich ganz leise in mir breitmacht. Immer weiter Besitz von mir ergreift. Dafür ist die Adventszeit genau richtig.

Anrufen, Schreiben, Besuchen

Freuen und Vorfreude regelrecht üben! Dazu zünde ich die Kerzen auf dem Adventskranz an. Dazu höre und singe ich die Lieder. Und die zarte Freude teile ich mit anderen, übe sie mit ihnen zusammen ein, indem ich gerade in den Adventswochen Menschen besuche, die alleine sind, es endlich schaffe, ein Paket mit netten Dingen und ein paar Süßigkeiten in der Flüchtlingsunterkunft vorbeibringe. Oder in dem ich die, die ich länger nicht gesehen habe, gerade jetzt anrufe oder einen richtigen Weihnachtsbrief schreibe- nicht nur eine Mail oder eine Nachricht auf dem Handy schicken.

Große Hoffnungsworte vom Friedefürst

Ich übe die Freude auch, wenn ich auf die großen Hoffnungstexte der Bibel höre. Gerade auf die im Alten Testament, der hebräischen Bibel. Sie erzählen von der Verheißung, der überschäumenden Freude über Gottes Liebe für die Welt, von seinem Versprechen, frei zu machen von unseren Ängsten und Sorgen, von Zwängen, dem ständigen Ringen um Anerkennung und Erfolg, oder vor der Angst zu versagen. Die Texte des Propheten Jesaja zeigen etwas auf, das mich aus meinen Sorgen aufblicken lässt, mich aufrichtet und mir den Blick weitet. Auch Jesaja lebte in finsteren Zeiten von Krieg und Gewalt. Gegen alle Zerstörung und die Mutlosigkeit seines Volkes schreibt er an. Er schreibt seinen Mitmenschen ins Herz:

Das Volk sieht im Finstern ein großes Licht

"Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finsteren Lande, scheint es hell. Du Gott, weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter zerbrochen" (Jesaja 9). Jesaja zeichnet ein großes Hoffnungsbild. Es gipfelt darin: "Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter und er heißt Wunder-Rat, Gott- Held, Ewig- Vater, Friede-Fürst." Diese Worte sind Hoffnungsworte. In bitteren Zeiten verfasst, gaben sie den Menschen im alten Israel Mut und Hoffnung und den Juden und Christen heute.

Zur Ruhe kommen. Vorfreude spüren. 

Diese Texte rühren auch in mir etwas an. Ich reihe mich ein in die lange Linie von Menschen, die auf diese Verheißung vertrauten und die das bis heute tun. Ich merke, wie Worte und Musik mir helfen, Freude einzuüben. Wenn ich die vertrauten Adventslieder höre oder singe, geschieht etwas mit mir. "O komm, du Morgenstern, lass uns dich schauen unsern Herrn. Vertreib das Dunkel unserer Nacht durch deines klaren Lichtes Pracht. Freut euch, der Herr ist nah. Freut euch und singt Halleluja."

Wenn ich das singe, merke ich, wie das Gedankenkarussell der Sorgen Tempo verliert. Es kommt zur Ruhe. Ich komme zur Ruhe. Und langsam steigt in mir wirklich Freude auf, Vorfreude. Die Vorfreude, dass Christus in die Welt kommt und sein Licht auch in diesem Jahr wieder leuchten wird – allem Dunkel zum Trotz.

Musik: Andreas Hammerschmidt, Musikalische Gespräche über die Evangelia: Freue dich, Schweriner Blechbläserensemble

Quellen: Wikipedia zu JRR Tolkien

Michael Hageböck: O Antiphone als Initialzündung zu Tolkiens "Hobbit" 

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